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Neue Maßstäbe

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Es hatte symbolische Bedeutung, daß die neuen Audi-Modelle der Motorpresse unseres Kontinentes gerade in Luxemburg, dem Sitz der EG, erstmals für Probefahrten zur Verfügung standen. Richtungweisend für die Zukunft sind die neuen Wagen, wie es in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht die EG ist. Die Tagespresse hat ausführlich über die in' drei Motor- und drei Ausfüh-rungswarianten hergestellten „Audi 100“ berichtet, die ersten Kontakte mit dieser Neuheit und die Gespräche mit ihren Schöpfern sind jedoch so ungewöhnlich, daß sie einiger Kommentare bedürfen.

Audi gehört zwar zum VW-Konzern und kommt damit in den Genuß eines weltweiten, durch Genauigkeit und Preiswürdigkeit bekanntgewordenen Kundendienstes, aber man legt in Ingolstadt Wert darauf, als eigenständige Marke angesehen au werden. Sie repräsentiert nunmehr die gehobene Mittelklasse des Konzerns, insbesondere durch den neuen 190 km/h schnellen Reihen-Pünfzylinder, 22 Liter von 136 PS, mit der K-Jetronic-Einspritzung.

Motoren mit dieser ungewöhnlichen Zylinderzahl sind an sich nichts Neues. Vor zwei Jahren kam Mercedes mit dem 240-Diesel heraus, Ber-liet baut seit 1950 einen Achtliter-Reihenmotor für Lastwagen, Gardner in England tat das gleiche, dann gab es in der Flugtechnik Sternmotoren mit ungerader Zytinderanzabl, darunter häufig Fünfzylinder. Als Kuriosität: ein solcher Motor wurde 1923 von einem Schweizer in ein „Turbo“ genanntes Personenwagenauto eingebaut. Er dürfte nur in einem Exemplar existiert haben. Dreizylinder-Benzinmotoren in Reihe bauten die tschechischen Aero-Werke in der Zwischenkriegszeit, aber Reihen-Fünfzylinder als Ottomotoren gab es bisher nicht, Audi macht da einen vielversprechenden Anfang.

Das bestätigten übrigens die ersten Probefahrten auf einer gemischten Strecke (gute und schlechte Straßen, Autobahnen, Steigungen, Kurven zwischen Saar und Mosel), die mit allen drei neuen Modellen durchgeführt wurden. Das Flaggschiff bestach vor allem durch Laufruhe,

selbst bei hohen Geschwindigkeiten, durch Vibrationslosigkeit und bemerkenswerte Beschleunigung, aber auch die beiden kleineren Modelle, der 85 PS mit 1.6 1 Motor (160 km/h) und der 115 PS Zweilitermotor (180 km pro Stunde), erwiesen sich dem großen Bruder als ebenbürtig, was Straßenlage, Handlichkeit, Geräumigkeit und sehr elegante Linienführung anbelangt. Besonders bemerkenswert der sagenhaft große Kofferraum und ebensolche Ablagefächer.

Das oft strapazierte Wort von „neuen Maßstäben“ findet bei den neuen Audis Bestätigung, auch was die vielen Maßnahmen für die passive Sicherheit betrifft. Da gibt es beispielsweise ein neues Prinzip für den Insassenschutz, das „autogene Faltbeulen“. Die Längsträger des vorderen Fahrzeugrahmens knicken bei einem Frontalaufpral nicht mehr aus, sondern falten sich wie eine Ziehharmonika zusammen. So wird über einen kürzeren Weg mehr Energie absorbiert als bisher durch die bekannten Knautschzonen der Blechstrukturen. „Neue Maßstäbe“

wu'tiden, wie dieses eine Beispiel von vielen zeigt, nicht nur in der Technik gesetzt, auch die Farben der

neuen Wagen, ebenso wie die Innenausstattung, sind ungewöhnlich, sie verbreiten eine Atmosphäre der Ruhe, vermeiden jede Art von Aggressivität. Schwanz ist übrigens verpönt. Die Heizung und die Belüftung überbieten alles bisher Dagewesene.

Wie Direktor Sehneider-Manns-Au aus Salzburg und Pressechef Doktor Paul erklärten, werden nur die viertürigen Fahrzeuge, und diese wieder nur in der reicheren Ausstattung, nach Österreich kommen. Im Oktober die beiden kleineren Modelle, der Fünfzylinder erst im Frühjahr 1977. Das entscheidende Verkaufsargument ist neben den erwähnten Vorzügen der Preis, der als geradezu stabilisierender Faktor bezeichnet werden kann. Die billigste Version (100 L) kostet S 123.900, der 100 GLS wird für S 150.900 zu haben sein, auch der GL und LS schlagen die vergleichbare Konkurrenz um Nasenlängen, Der Fünfzylinder könnte je nach Ausführung auf S 146.000 und S 161.400 (immer einschließlich Möhrwertsteuer) zu stehen kommen, .allerdings kann sich das noch ändern.

So günstig diese Werte liegen, so teuer kommen allerdings die auf Wunsch lieferbaren Extras wie Automatic, Servolenkung, Klimaanlage, die nach unserer Meinung einer Revision unterzogen werden müßten, denn sie sind für den Normalverbraucher fast unerschwinglich. Auch über die Bezeichnung der „Neuen“ sprachen wir mit den Chefkonstrukteuren Dr. L. Kraus und Dipi.-In-genieur F. Piech. Wenn schon eine unpersönliche Zahl als Typencharakteristik, warum die eines bestehenden Modelles, warum nicht Audi „110“ oder, der PS-Zahl des mittleren Modelles entsprechend, „Audi 115“, oder, nach dem Spitzenfahrzeug „136“? Eine befriedigende Antwort erhielten wir leider nicht. Allerdings stimmt „100“, die Leistung in Kilowatt ausgedrückt, zumindest für das stärkste Modell. Vielleicht war das der Grund für die Modellbezeichnung.

Zum Schluß noch einige Zahlenangaben, um das Bild abzurunden: Der 85-PS-Motor verbraucht bei konstanter Geschwindigkeit des Wagens von 100 km/h laut Wenk 8.9 Liter pro 100 km Narmalfoenein, der 115-PS-Motor 9.6 Liter Super und der Fünfzylinder 10,5 Liter Super. Bei der Verwendung eines Automatic-Getriebes erhöhen sich diese Werte um einige Zehntelliter. Diesem niedrigen Verbrauch stehen sehr beachtliche Beschleunigungen gegenüber. Von null auf 100 km/h sind es jeweils 13.4, bzw. 10.7 und 9.5 Sekunden. Das sind Zeiten, die sich sehen lassen können. Die Pflege- und Wartungsdienste sind hingegen eher bescheiden. Ein Pflegedienst ist minimal — zweimal jährlich oder alle 7500 km —, der Wartungsdienst einmal im Jahr oder alle 15.000 km notwendig. Für heuer ist eine Tagesproduktion von 800 Stück der neuen Modelle, für das nächste Jahr eine solche von 1000 Stück geplant.

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