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Schwarzer Riese erwacht

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Die demokratische Revolution in der ehemaligen Sowjetunion und in den Ländern ihres einstigen europäischen Vorfelds ist mühsam, aber doch in unser Bewußtsein getreten. Tausend Medienmeldungen befehlen dem Gehirn die Erkenntnis: Es gibt sie. Daß in den letzten drei Jahren auch in Afrika eine ähnliche demokratische Revolution stattgefunden hat, haben wir so gut wie überhaupt nicht wahrgenommen. Aber es ist ebenso Tatsache: Der schwarze Kontinent erwacht aus autoritär und diktatorisch bewirkter Trance.

Als die Berliner Mauer fiel, wurden 38 der 45 schwarzafrikanischen Staaten von Einparteiregimen beherrscht. Seither haben sich mehr als die Hälfte davon zumindest formell in Demokratien verwandelt. So gut wie alle haben sich der Marktwirtschaft verschrieben. Einige Völker haben ihre Alleinherrscher gestürzt, andere sie mit prodemokratischen Großdemonstrationen zum Nachdenken gebracht. Am klügsten waren jene, die wie Felix Houphouet de Boigny von der Elfenbeinküste die Demokratie-Forderungen der Opposition selbst verwirklichten und sich dann Wahlen stellten.

Das Stürzen von Marx- und Lenin-Denkmälern in Osteuropa, nicht zuletzt auch die brutale Hinrichtung des in Afrika vielhofierten rumänischen Diktators Ceausescu, per Fernsehen auch den 500 Millionen Afrikanern vorgeführt, haben sicher ihre Wirkung getan. Aber auch andere Ursachen haben eine Massenbewegung zugunsten von Demokratie in Afrika ausgelöst: mehr Informationen überhaupt, auch über das schamlose Ausbeutertum ihrer eigenen Herrscher, und vor allem der Konkurs sozialistisch getönter Wirtschaftspolitik.

Die Folgen sind spektakulär: Der Gesamtwerter von allen Ländern Schwarzafrikas erzeugten Güter und Leistungen ist kleiner als das Bruttosozialprodukt des kleinen Belgien. Der Anteil Afrikas am Welthandel ist nur noch halb so groß wie vor zehn Jahren. Zwischen 60 und 80 Prozent der nationalen Budgetmittel fressen bürokratische Apparate auf. Die Auslandsvermögen schmaler Eliten sind in Einzelfällen größer als die Gesamtschulden eines Landes. Und die Kapitalinvestitionen westlicher Großmächte gehen seit Ende des Kalten Krieges zurück, verlagern sich nach Osteuropa und in die EG.

In dieser Situation setzen auch immer mehr Afrikaner auf Demokratie. Das ist gleichzeitig das gewaltige Risiko: Werden überzogene Erwartungen nicht zu neuer Enttäuschung führen? Werden die Afrikaner besser als die Osteuropäer verstehen, daß es nach dem Sturz von Tyrannen erst noch schlimmer kommt, ehe es aufwärts geht?

In materieller Not flüchten immer mehr Afrikaner weniger zu etablierten Kirchen, sondern zu fundamentalistischen Predigern islamischer und christlicher Herkunft, die alle diese Nöte nicht falschen Strukturen, sondern dem Teufel zuschreiben. Gewaltige Glaubenskriege zwischen Fanatikern verschiedener Religionen sind nach Meinung besorgter Beobachter die größte Gefahr, die dem Kontinent droht, in den der Papst zuletzt gepilgert ist.

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