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Schweiz: Der Kampf um kranken Wald

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Jeder fünfundzwanzigste Baum im Schweizer Wald ist nicht mehr zu retten und jeder siebte kränkelt. Das ist der triste Befund einer breitangelegten offiziellen Studie unter Beteiligung von 1400 Förstern. Die Zahlen stammen vom Herbst 1983 und verschiedene UmWeltorganisationen sind der Ansicht, daß sie bereits stark hinter der Wirklichkeit herhinken.

Angesichts solcher alarmierender Zahlen faßte der Bundesrat als Sofortmaßnahme eine Temporeduktion für den Autoverkehr ins Auge. Statt 130 km/h sollte auf Autobahnen nur noch mit 100 gefahren werden, auf gewöhnlichen Uberlandstraßen 80 statt heute 100 km/h.

Das Bundesamt für Umweltschutz hatte wissenschaftlich errechnet, daß sich damit der Ausstoß von Stickoxid um neun Prozent oder 9000 Tonnen pro Jahr verringern würde. Das könnte dem kranken Wald etwa gleichviel helfen wie 33 autofreie Sonntage. Dazu würden erst noch etwa vier Prozent weniger Benzin verbraucht.

Die Zahlen waren kaum veröffentlicht, brach ein Protestgeheul der Automobilwirtschaft und der Straßenverkehrsverbände los. Da werde wieder versucht, das Auto zum Sündenbock zu stempeln. Es sei überhaupt nicht erwiesen, daß die Temporeduktion wirklich etwas bringe, wurde die Glaubwürdigkeit der Untersuchung angezweifelt.

Flugs war ein Initiativkomitee aus Automobilisten gebildet, die „sich nicht länger für dumm verkaufen lassen wollen". Mit dem (problemlosen) Sammeln von 100.000 Unterschriften soll eine Abstimmung erzwungen werden, über die Frage, ob in der Bundesverfassung Tempo 130, beziehungsweise 100 verankert werden soll.

Die Landesregierung — ursprünglich fest entschlossen Temporeduktionen als Sofortmaßnahmen vorzuziehen (neben der Einführung von bleifreiem Benzin und Katalysatoren, die lange Umstellungszeiten bedingen) — bekam angesichts des sich anbahnenden innenpolitischen Kraftaktes schlottrige Knie und tat das, was man hierzulande immer in die Wege leitet, wenn man eigentlich eine Lösung treffen sollte, aber nicht überall auf Gegenliebe stößt:

Man entzieht sich der Verantwortung und leitet ein Vernehm-lassungsverfahren bei Kantonen, Parteien, Verbänden usw. ein. Die mangelnde „Akzeptanz" der Vorschläge beim Volk gebiete dies, wurde argumentiert.

Seither ist dieses neu eingeführte Fremdwort zum vielzitierten und von Umweltschutzkreisen vielgeschmähten Begriff geworden. Die Fronten sind längst klar — Neues wird die Vernehmlassung nicht bringen. Die Frage der Temporeduktion bleibt im Spannungsfeld zwischen Eigennutz und Gemeinwohl.

Statt sich weiter in diesen Glaubenskrieg zu verstricken, versuchte der Bundesrat die Diskussion auf einen weniger prestigebe-ladenen „Sünder" zu lenken: Den Borkenkäfer. 150 Millionen Franken sollen in den nächsten Jahren für die Bekämpfung dieses Waldschädlings bereitgestellt werden.

Den Umweltschutzorganisationen ist solche „Borkenkäfer-Politik" zu wenig. Sie wollen Ursachen und nicht Symptome bekämpft wissen.

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