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Sprache ist das Thema

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Mit Lawinen von Buchstaben, zierlichen aufgeklebten, großen aus Kunststoff, solchen, die an die Wand gelehnte Holzlatten bekrönen, mit Buchstaben als Neonleuchten, die nacheinander aufleuchten und das Wort W-I-N-D ergeben, Buchstaben, die so an einen Spiegel gerückt sind, daß durch die Verdopplung Wörter wie EHE oder TOD entstehen. Kurz, mit Buchstaben aller Art wird der Betrachter im Museum des 20. Jahrhunderts konfrontiert. Da liegt zum Beispiel ein Löffel auf einem Tisch, daneben ist eine Gabel aufgezeichnet, „Messer“ steht in schwarzen Lettern rechts davon; und dort wo eine Sitzgelegenheit postiert sein sollte, steht „Sessel“ zu lesen ... Eine Ausstellung dessen, was man nicht ausstellen kann. Und doch: Zusammenhänge zwischen Kunst und Sprache bewußt durchsichtig zu machen und vielleicht auch uns auf unsere abgenützten, Klischee gewordenen Beziehungen zu Sprache und Schriftbild aufmerksam zu machen: Das will man mit dieser Ausstellung „Kunst und Sprache“ im Wiener Museum im

Schweizergarten erzielen. Sprache selbst ist also das Thema. • Das Unternehmen ist wichtig, könnte großes Gewicht haben. Man hat sich zwar auf die Österreicher beschränkt, auf die Pioniere, auf Gerhard Rühm, Friedrieh Achleitner, Ernst Jandl, den Tiroler Eigenbrötler Ernst Gappmayer besonnen und sie mit den Nachfolge-Gruppen zu einer großen Sprach-Kunst-Schau zusammengestellt. Die Linzer Gruppe um Josef Bauer (vereint in der Zeitschrift „Neue Texte“), die der Concept-Art nahestehenden Peter Weibel, Valie Export, Bechtold, der Hermetiker Dominik Steiger, die Schreibzeichner Arnulf Rainer und Dieter Roth, die den gestisch schreibenden Impuls verwerten, manche Versuche zu Annäherungen an die amerikanische Kunstentwicklung der Gegenwart sind hier zu sehen. Und „Kunst aus Sprache“ bedeutet dabei sowohl visuelle Poesie, Konstellationen, die schließlich bis in den Con-cept-Art-Bereich geführt haben, als auch linguistische Varianten der Konzeptkunst selbst; und die Schau impliziert damit eigentlich auch theoretische Voraussetzungen.

Dieses ganze Feld dem damit kaum befaßten Besucher klarzumachen, wäre die Hauptaufgabe der Ausstellung gewesen: eine „Dokumentation“ des Bereichs Sprache also, eine Art Einstieg in ihre Probleme zu schaffen. Das hat man freilich versäumt. Wer sich nicht seine Gedanken gemacht hat über die Beziehungen von Schrift und Laut, über Schriftbild und Symbol, über die „Übersetzung“ phonetischer Werte ins Optische, über das Funktionssystem von „Partituren“ aller Art, der wird sich hier in die Einsamkeit entlassen fühlen: in die Einsamkeit der Sprache, die sich ihm plötzlich verschließt... Nicht zuletzt, weil er zu ihr keinen

Zugang findet, weil diesen Schriftbildern und Montagen keine Erklärungen beigegeben wurden, weil man sie zeigt, ohne ihre Traditionen mit-zupräsentieren: also etwa all die hellenistischen Buchstabenspiele, hermetischen Texte des Mittelalters, die persischen Kalligraphien, die Kalligramme eines Apollinaire oder die typographischen Verfahrensweisen der Futuristen und Dadaisten, eines Stephan Mallarme. In diesem historischen Konnex sähe sich der Betrachter viel eher zu Hause. Er könnte eine Entwicklung ablesen, die ihm so verborgen bleibt. Es wunderte mich nicht, wenn viele Besucher diese „Kunst-aus-Sprache“-Ausstellung als exklusive Sprachspielerei abtun würden.

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