draft for an altar - © www.kultum.at/museum   -   Draft For An Altar (2009) von Werner Reiterer

Das Wort Gott – toxisch?

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Was Heinrich Böll bereits 1955 in seiner bösen Satire „Doktor Murkes gesammeltes Schweigen“ voraussah, ist heute Wirklichkeit: „Gott“ soll in Diskurs und Ästhetik möglichst nicht vorkommen.

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Was Heinrich Böll bereits 1955 in seiner bösen Satire „Doktor Murkes gesammeltes Schweigen“ voraussah, ist heute Wirklichkeit: „Gott“ soll in Diskurs und Ästhetik möglichst nicht vorkommen.

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Mitte der 1970er Jahre erregte ein Wort des Psycho­therapeuten Tilmann Moser die Gemüter: „Gottesvergiftung“. Damals war „toxisch“ noch kein Modewort. Heute gilt Reden von oder gar mit Gott (was man einmal „Beten“ genannt hat) vielen als „toxi­sche Beziehung“. Das Wort „Gott“ – so fällt spürbar auf – wird im aufgeklärten literarisch-philosophischen Diskurs fast peinlich gemieden. Man vermeidet das Wort "Gott", wie man auch nicht mehr "Neger" sagt. Es droht auch kein Hadern mit Gott mehr am Horizont, keine Wolke, in der er sich vielleicht verbergen könnte, keine Feindschaft mehr, kein Atheismus, lediglich ein großes Vergessen.

Tilmann Moser ließ das Wort als solches noch stehen und gelten, wohl im heftigen Widerspruch mit jenen, die glauben, „Gott“ sei das Codewort, damit sie sicher in der Wahrheit wären. Tilman Moser sagt in seiner heftigsten Empörung zu Gott immerhin noch Du: „Du bist ein Geschöpf des Missbrauchs menschlicher Gefühle.“

Wenn man aber einmal doch ein Wort braucht, das über einen selbst hinausweisen soll, dann ersetzt man „Gott“ mit Begriffen, die nicht einmal toxisch sein können: mit „Universum“ oder mit dem „Großen Geheimnis“ (David Steindl-Rast). Da hört sich dann auch das Du-Sagen auf.

„Jenes höhere Wesen, das wir verehren“

Wer einmal Heinrich Böll gelesen hat, erinnert sich gewiss gerne an seine böse Kurzgeschichte „Doktor Murkes gesammeltes Schweigen“, geschrieben vor bald siebzig Jahren. Da hatte ein Kulturredakteur im Radio aus dem Vortrag einer einflussreichen Geistesgröße auf dessen Verlangen siebenundzwanzigmal das Wort „Gott“ herauszuschneiden – wegen der Bedenken hinsichtlich einer zunehmend „religiösen Überlagerung des Rundfunks“. Das Wort „Gott“ sollte durch die Formulierung „jenes höhere Wesen, das wir verehren“ ersetzt werden. Mit Tonband und Schere war das kein Problem. In einer Zigarettenschachtel hat der Redakteur dann die siebenundzwanzig Gott-Schnipsel aufbewahrt, eventuell zur Wiederverwertung, man weiß ja nie. Ein Kollege konnte einige Schnipsel auch tatsächlich gut gebrauchen und tauschte sie gegen Tonbandreste mit Schweigen. Doktor Murke sammelte nämlich Schweigen und gab gerne seine Gott-Schnipsel, für die er keine Verwendung mehr hatte. Gott anstelle des Schweigens? Umgekehrt wäre es vielleicht besser.

Heinrich Böll wollte mit dieser Satire den oft recht abrupten Gesinnungswandel geistiger Größen in der Bundesrepublik der 1950er Jahre verspotten. Er hat damit aber auch eine heute virulente Phobie in den Medien getroffen, die Phobie vor religiös – und damit „toxisch“ – konnotierten Wörtern. Von „Jesus“ oder „Christus“ ganz zu schweigen. Zeitgenössische Autoren scheuen poetische Glaubensaussagen. „Einstens“ war Gott da, „dann“ nicht mehr, heißt es bei Ernst Jandl.

Auch das Reden über bildende Kunst, besonders über „religiöse“, vermeidet zumeist geflissentlich das Wort „Gott“. James Elkins, ein sich selbst als agnostisch bezeichnender amerikanischer Kunsthistoriker, beklagt, dass es eine rigide und frigide Kunstwissenschaft ist, wenn sie alles verachtet, ja denunziert, was mit dem tremendum und fascinosum, mit dem „Geheimnis einer Gegenwart“ zu tun hat. Wenn sie geradezu klinisch steril, religiöse Begriffe aus ihren Erörterungen fernhält. Kunst gehört in die Abteilung Ästhetik, und die ist – selbst angesichts eines religiös-narrativen Sinngehalts – bekenntnisfrei zu halten, also gottfrei.

Ist also Gott zu einer „Vier-Buchstaben-Reliquie“ verkommen, wie Johannes Röser, der langjährige Chefredakteur von Christ in der Gegenwart, einmal gefragt hat. Oder als das „Gemurmel von oben“, wie Jean Paul Sartre das Wort „Gott“ einmal umschrieben hat. Die einen möchten dieses Gemurmel endlich abstellen wie ein lästiges Geräusch, weil es stetig daran erinnert, „du bist nicht umsonst geboren. Man erwartet dich“ (Sartre). Die anderen gehen dem Gemurmel nach und es macht sie sogar zu Mystikern oder Heiligen. Auch heute. Was aber, wenn einmal dieses Gemurmel aufgehört haben wird wie eine Quelle, die versiegt ist. Was, „wenn Totenstille / eintritt“ (Ingeborg Bachmann)?

Peter Handke schreibt in der „Obstdiebin“ von den „Unerreichbaren“, die – nicht durch eigene Schuld! – kein „Wahres wie Schönes“ erreichen kann, „und schon gar kein, es war einmal, Gottschönes“. Handke brennt „seit je darauf, es zu schaffen, dass sie zu Erreichbaren würden – Aufhorchende – Offene – Antwortende“! Braucht es dazu das Wort „Gott“? Nein. Aber Handke hat ein neues Wort erfunden – oder einem uralten den Staub aus dem Gesicht geblasen.

Ich wünsche mir, dass wir die Scham und die Angst verlieren, wenn wir Gott vor anderen nennen möchten. Nicht leichtfertig, versteht sich. Diese Angst vor einem Tabubruch. Franz von Assisi, als er noch alleine war, hatte einmal bei einem Gastgeber mit diesem den Schlafraum zu teilen. Als Franz glaubte, der Zimmergenosse schliefe fest, stand er leise auf, hob Augen und Hände zum Himmel und murmelte bis zum Morgengrauen die Worte „Iddio mio! – Mein Gott!“ Der andere – es war Bernhard von Quintavalle – hatte aber nur vorgegeben zu schlafen und alles gehört. Er wurde, so heißt es, daraufhin der erste Minderbruder.

„GOD IS DAD“ und andere Zugänge

Eine bevorzugte Gottesbenennung im Neuen Testament ist „Vater“. Sie steht für Schutz, Fürsorge und Vergebung, ebenso für einen konkreten Willen zum Besten „der Kinder“. „Vater“ ist bekenntnishafter als das eher apodiktisch grobe Wort „Gott“.

Als Sarah Lucas, eine Künstlerin von den Young British Artists, einmal an der Fassade einer Kirche vorbeifuhr, sah sie über dem Portal ein Transparent mit den Riesenlettern GOD IS DAD. Sie musste lachen. Und sie hat diese drei Wörter im Jahr 2005 zum Logo ihrer nächsten großen und ziemlich provokanten Ausstellung gemacht. Was immer sie sich dabei gedacht haben mag.

Als ich GOD IS DAD zum ersten Mal gelesen hatte, musste auch ich lachen. Wahrscheinlich habe ich mich sogar gefreut. Und habe Nietzsche eine lange Nase gedreht. Doch ich habe die Botschaft von Sarah Lukas sicher so verstanden, wie ich sie verstehen wollte. Und dabei Nietzsches Erzählung vom „tollen Menschen“ – wieder einmal – nicht zu Ende bedacht. „Wohin ist Gott? rief er, ich will es euch sagen! Wir haben ihn getödtet, – ihr und ich! Wir Alle sind seine Mörder! Aber wie haben wir diess gemacht? Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was thaten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen?“

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