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Mit der Cola-Flasche Geschichte gemacht

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„Mir war nie bewußt, Probleme zu haben, weil ich mir nie spezifische Gedanken über sie gemacht hatte“: Andy Warhol, seit Picassos Tod wohl der berühmteste, meistdiskutierte Künstler der Gegenwart, dessen sich auch die Massenmedien wie keines anderen bemächtigt haben, hat das einmal über sich selbst geschrieben. Gewiß, ein Satz mehr von rhetorischer Bedeutung, denn eine analytische Erhellung des Phänomens Warhol. Zumal man weiß, daß der junge Warhol bereits als Kind unter Nervenzusammenbrüchen litt, sich auf eines Psychiaters Couch rettete, um einen Weg zu finden, wie er wenigstens mit den Problemen der anderen fertig werden könnte, mit Problemen, die ihn „wie Bazillen überfielen“. Aber wieviel es dennoch mit diesem Satz auf sich hat, zeigt gerade jetzt die Ausstellung im Wiener Museum des 20. Jahrhunderts: Andy Warhols zeichnerisches Werk (1942 bis 1975).

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„Mir war nie bewußt, Probleme zu haben, weil ich mir nie spezifische Gedanken über sie gemacht hatte“: Andy Warhol, seit Picassos Tod wohl der berühmteste, meistdiskutierte Künstler der Gegenwart, dessen sich auch die Massenmedien wie keines anderen bemächtigt haben, hat das einmal über sich selbst geschrieben. Gewiß, ein Satz mehr von rhetorischer Bedeutung, denn eine analytische Erhellung des Phänomens Warhol. Zumal man weiß, daß der junge Warhol bereits als Kind unter Nervenzusammenbrüchen litt, sich auf eines Psychiaters Couch rettete, um einen Weg zu finden, wie er wenigstens mit den Problemen der anderen fertig werden könnte, mit Problemen, die ihn „wie Bazillen überfielen“. Aber wieviel es dennoch mit diesem Satz auf sich hat, zeigt gerade jetzt die Ausstellung im Wiener Museum des 20. Jahrhunderts: Andy Warhols zeichnerisches Werk (1942 bis 1975).

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Eine „indiskrete“ Ausstellung - das fand Warhol selbst, als diese Kollektion in Stuttgart erstmals präsentiert wurde. „Indiskret“, weil sie diese „Pro-blemlosigkeit“ bloßlegt, weil sie Bereiche berührt, die hinter der Direktheit der künstlerischen Aussage und Ausdrucksweise angesiedelt sind und die auf Erfahrungsmaterial und persönliche Komponenten Warhols eingehen, über die er sich selbst kaum äußert. Nicht einmal in seinem 1975 erschienenen berühmten Buch „The Philosophy of A. W. (From A to B and back again)“.

Eine Ausstellung, die mit ihren oft ungemein privaten Skizzen und kleinformatigen Photodokumenten (leider im ganzen stark reduziert!) einen Hauch von Werkstattatmosphäre übermittelt: Wunderbar leicht hingeworfene Skizzen zu seinem „Boy“-Buch, die Serie goldener Schuhe der Stars Judy Garland, Mae West, Elvis Presley... dazu geistvoll-witzige Marcel-Proust-Anspielungen, wie er sie mit aparten Blättern „A la Recherche du Shoe perdu“ 1955 wagte; das „Gold Book“ (Goldene Buch) mit der Protestfigur Amerikas in den fünfziger Jahren, James Dean, auf dem Cover; die amüsanten Puttenreigen, nahe dran, kitschig zu wirken... eine Revue der Pop-Geschichte und ihrer Anfänge.

Denn die Anfänge dieses größten Pop-Artisten (geboren 1928 als Sohn eines tschechischen Bergarbeiters), von dem übrigens einst alle Juroren sagten, daß er nicht zeichnen könne, liegen in der Werbegraphik, in Reklameentwürfen, in „pr“ für Schuhfirmen, für Parfümerien, in Entwürfen für Plattenhüllen, Magazine, Schaufenster ... Sachen, die er so um 1949/50 alle gemeinsam mit seinem Freund Nathan Gluck in einem winzigen New Yorker Atelier, später mit anderen Mitarbeitern in der berühmten „Factory“ herstellte. Aber aus Werbung war da plötzlich Kunst geworden.

1957 erhielt Warhol die „Art Direc-tors Club“-Medaille: Der kleine, blasse, neurotisch wirkende Gebrauchsgraphiker hatte sich zum Star emporgearbeitet. Aber Warhol schaffte auch den entscheidenden gedanklichen Schritt. Was er vorher als billige Werbegags produziert hatte, erhob er nun zum Motiv seiner Kunst: die Cola-Flasche als Symbol der US-Popkunst ein Weltsymbol, Mona Lisas Porträt, Mao-Bilder, Marilyn Monroe... Motive der Konsumwelt, die zeitgemäßen Methoden der Massenproduktion: das wurden für ihn Charakteristika der Kunst der Gegenwart-. Das hat er mit der Massenproduktion an Kunstwerken in seiner Kunstfabrik gezeigt. Ein Register des Output allein für 1964: Rund 400 Holzkisten mit Aufschriften als Kunstobjekte, 1002 Blumenbilder, 16 große Suppendosenbilder, 86 Porträtbilder. Er hat damit Kunstrevolution gemacht. Und die Preise seiner Werke gehen heute in siebenstellige Zahlen. Darf es einen wundern, daß Warhol einmal feststellte, daß für ihn große Geschäfte die faszinierendste Art von Kunst darstellen?

Eine Welt in der Schräge - Sessel scheinen da im Museum des 20. Jahrhunderts in eine absurde Perspektive hinausgeschoben und durch absonderliche Verzerrungsmethoden unbenutzbar geworden; im „Normalbad“ flieht alles nach rechts ... Oberlichte, Lampe, Waschbecken streben kühn am Betrachter vorbei, und sogar die Abflußrinne sträubt sich gegen ihre übliche Richtung... Und man erkennt auf den ersten Blick, wer da am Werk ist: Deutschlands Avantgardekünstler Stefan Wewerka, einer, der mit seiner eingefahrenen Umwelt seit Jahr und Tag aufzuräumen versucht, der Dinge des Alltags, Banales, all das, was man sonst achtlos liegenläßt, durch perspektivische Wunder sich so theatralisch gebärden läßt, daß es uns plötzlich anspringt.

Ein grüner Stuhl etwa (in der Galerie Gras zu sehen), den man sonst kaum beachtete, erregt plötzlich unsere Neugier. Er fordert uns heraus, „was dazu zu sagen“, zu hinterfragen, was diese Verzerrung eigentlich soll... Wewerka hat erreicht, was er beabsichtigt: Daß wir unsere eigene Position in dieser Welt verunsichert sehen, weil Fliehkraft, Gleichgewicht, klassische Proportionen plötzlich aufgehoben scheinen. Mit den „klassischen“ Begriffen und Formgesetzen, wie sie etwa Palladio für die Architektur geprägt hat, räumt er besonders lustvoll auf. In Radierzyklen, Gouachen und Zeichnungen deformiert er systematisch die „Sieben Weltwunder“, daß sie zu Weltwundern eines gegenwärtigen Manierismus werden. Dokumente einer brüchig gewordenen Welt, brüchiger Existenz. Dokumente einer. Krisenlandschaft.

Und doch: Wewerka ist natürlich ein witziger Künstler, der auch geistvoll zu amüsieren versucht. Absurd-Spekulatives läßt einen manchmal herzlich lachen. Etwa wenn er die Erdkugel halbieren und diese Scheiben gegeneinander verschieben möchte ..., so daß Akkra plötzlich zu einem Vorort von London wird und Paris am Nordpol liegt. Da geht's der „heilen Welt“ doch ernsthaft an den Kragen.

Wewerka, bekannter Architekt, Gastprofessor in den USA, ein sensibler Zeichner und Projektemacher, ist außerdem in der Galerie Gras (Grünangergasse) zu besichtigen. Es lohnt sich, wenn man fürs Spekulative was übrig hat.

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