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Tisch statt Schalter ist auch erlaubt

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Delphi-Umfragen und Umfragen von Meinungsforschungsinstituten beweisen, daß Verwaltungsreform auf der öffentlichen Wunschliste steht - zwar nicht als dringendstes Anliegen, aber doch im Vorderfeld der Wünsche. Diese Umfragen signalisieren die Unzufriedenheit mit der Verwaltung als Serviceeinrichtung, sie bringen die - bestehende oder empfundene - Distanz zwischen Bürger und Verwaltung zum Ausdruck.

Die Umfragen beweisen aber auch, daß ein Gefühl der Skepsis weit verbreitet ist. Verwaltungsreform ist - und das nicht nur in Österreich - ein klassisches Abschiebethema: Man schiebt es ab in eine Kommission, die von Zeit zu Zeit Bericht erstatten soll.

Schon 1967 wurde die Verwaltungsreformkommission beim Bundeskanzleramt eingerichtet. Und sie arbeitet im selben Schoß der Geheimniskrämerei, in der nahezu alle wichtigen Reformvorhaben in Österreich abgewickelt werden, sei es die Verfassungsreform, sei es die Grundrechtsreform, sei es die Verwaltungsreform.

Es gibt keine der Öffentlichkeit zugänglichen Protokolle, keine diskutierbaren Berichte und Vorschläge, nur dann und wann eine Regierungsvorlage zü einem Gesetz, deren Verteidigung für die Regierung naturgemäß eine Prestigefrage ist.

Für den Bürger wird die Verwaltung vor allem durch die wachsende Sensibilisierung für Umweltfragen und für Abhängigkeiten zum Problem:

In vielen Angelegenheiten der Umweltgestaltung und des Umweltschutzes (Flächenwidmung, Betriebsansiedlung, Verkehrsplanung etc.) müssen initiative Bürger immer öfter feststellen, daß die Entscheidungen der Verwaltung nicht in Vollziehung der Gesetze ergehen, sondern als selbständige „politische Entscheidungen" der Verwaltung. Damit wird jedoch die Legitimation dieser Entscheidungen stets aufs neue problematisch.

Die neue Abhängigkeit des einzelnen von der Verwaltung geht mit der Entwicklung des Wohlfahrtsstaates einher: Unter vielen Titeln (Geburtenbeihilfe, Heiratsbeihilfe, Wohnbeihilfe etc.) muß der Bürger heute „sein Geld", das er in der Form von Abgaben entrichtet hat, wieder „zurückerkämpfen".

Umso augenfälliger wird bei dieser Entwicklung das Fehlen des demokratischen Gesprächs zwischen Bürger und Verwaltung: „Von der Wiege bis zur Bahre Formulare, Formulare". Diemuß man sich zunächst vom Amt holen, dann eine kleingedruckte Anleitung zum Ausfüllen lesen, und dann das Formular einreichen. Deutsche Finanzbeamte füllen heute mit dem Bürger das Formular aus und brauchen dazu keine 60 Sekunden.

Mit dicken Dokumentenmappen gehen Bürger in der Hoffnung aufs Amt, auf diese Weise alle Beamtenwünsche befriedigen zu können: Originaldokumente oder beglaubigte Abschriften!

Warum genügt nicht die bloße Angabe, wo doch ohnehin Falschangaben unter Strafandrohung stehen?

Jeder hat schon einmal eine Postkarte bekommen, mit der er „Wegen Jahresausgleich 1979" oder gar „Wegen Sohn Oliver" geladen wird. Eine Vorbereitung ermöglicht diese „Information" nicht.

Einen „besonderen" Amtsstil erlauben Schalter mit Schiebetüren, wie etwa am Zollamt Schwechat, dem Beamten. Das Gespräch mit dem Bittsteller kann beliebig aufgenommen und abgebrochen werden - und wird es auch.

Unzählige Schicksale dieser Art lassen sich zusammentragen. Am bedrük-kendsten ist zweifellos die Aura von Geheimwissen, die die Verwaltungsfüh-rung umgibt. Wenn es Amtsinteresse und Beamtenbrauch so wollen, dann unterliegt selbst der Entwurf eines Flächenwidmungsplans dem Amtsgeheimnis.

In den nordischen Staaten und in den USA ist man sich dagegen schon seit langem bewußt, daß Demokratie auch Transparenz der gesamten Verwaltungsführung bedeutet.

Es ist aber keineswegs so, daß auf der Seite der Verwaltung lauter böse Ungeheuer wirken, die nur den Bürger quälen wollen. Der Bürokrat wird nicht zuletzt dadurch zum Bürokraten, daß er in einem „Büro" arbeitet. Schließlich sind es die Gesetze, die die Formulare vorschreiben, sind es die Dienstanweisungen und das Willkürverbot, die es verbieten, jeden Fall so zu bearbeiten, als wäre er der erste seiner Art. Und Amtsdeutsch ist zunächst oft Gesetzesdeutsch.

Das beweist, daß eine sinnvolle und demokratische Verwaltungsreform eine Gesetzesreform, ja sogar zum Teil eine Verfassungsreform umfaßt. Es ist keineswegs nur der böse Beamte, der dem Bürger die Verwaltung „unbegreiflich" macht.

Aber es ist der konkrete Beamte, der als letztes Glied eines als herzlos empfundenen Systems dem Bürger gegenübertritt und damit zum Inbegriff der bürokratischen Unmenschlichkeit wird. Da dieser Beamte aber nur ein Mitglied einer Organisation ist, ist das Anliegen einer sinnvollen Verwaltungs-reform, diejenigen gesetzlichen Regeln z,i ändern, die dem Beamten seine Bürokratenrolle aufzwängen.

Die andere Aufgabe der Verwaltungsreform aber ist es, innerhalb des bestehenden Regelsystems diejenigen Freiräume aufzuspüren, in denen sich der eine oder andere „Amtsstil" einnisten konnte, und hier wieder dem Respekt des Bürgers als Person Rechnung tragen.

Ein kleines, aber augenfälliges Beispiel: Man kann den Schalter durch einen runden Tisch ersetzen, der keine Breitseite für die Autorität und keine Schmalseite für den Bittsteller hat. Gesetzlich verboten ist das nicht.

Der Verfasser ist Universitätslektor am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Wien.

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