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Vom (sich) Bilder machen

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Von wem die Auffassung stammt, die via Fernsehen ausgestrahlten Bilder seien „nur Bilder", weiß ich nicht. „Nur Bilder": immer das gleiche, oder künstliche Dinge, die mit dem Leben nichts zu tun haben, weniger wirklich als ihre Inhalte, Täuschungen, eine Scheinwelt.

Vor kurzem haben zwei Bildberichte in der Zeit-im-Bild-Sendung, die nichts miteinander zu tun hatten (oder zu tun haben wollten), gerade durch ihre auffallenden Unterschiede gezeigt, worin sie einander tätsächlich ähnlich sind. Vom einen Bericht sollte man sich ins Gestrüpp der kroatischen Kampfgebiete mitgenommen fühlen. Die Kamera fuhr nicht, schwenkte nicht, sie schaukelte schrittweise über Unebenheiten, schlüpfte und kroch, den Zuschauer spürbar irriterend.

Der zweite Bericht handelte von den aus einem Tiroler Depot unseres Bundesheeres verschwunden gewesenen Waffen. Das in Vösendorf sichergestellte Diebsgut wurde den Zuschauern in mustergültiger Anordnung präsentiert. Gewehr neben Gewehr, in Reih' und Glied hingelegt, die Pistolen (oder Revolver?) im Kreis, alle Läufe zeigten in den Mittelpunkt des Musters, ein adrettes Pistolenballett, zentimeterweise zu-rechtgeschoben, kein kriegerisch-oder diebisch-wilder Waffenhaufen.

In beiden Berichten sprachen die Bilder eindeutig nicht für sich selbst, sie sollten dem Zuschauer etwas von Menschen außerhalb des Bildes sagen, vermitteln, ausrichten. Auch wo eine solche Absicht nicht ins Auge springt, enthalten Bilder mehr oder weniger deutliche Mitteilungen für den Betrachter und wirken entsprechend, so daß die Auffassung, alle ausgestrahlten Bilder seien „nur Bilder", zumindest merkwürdig klingt.

Wenn die Caritas „nur Bilder" von Menschen im Elend zeigt, sollen die Bilder beim Zuschauer nicht nur etwas bewirken, sondern auch die Spendenhandlung auslösen, und die Caritas sagt das ehrlicherweise dazu. Was Werbeeinschaltungen bewirken, ist bekannt, auch wenn sie die direkte Aufforderung „brauch und kauf nicht enthalten. Genaugenommen schaffen oder verstärken alle Sendungen, die der ORF dienend-verdienend ausstrahlt, bestimmte Interessen-Bindungen, ob Krimis, Kultur, Diskussionen, Tatsachenberichte, Religiöses, Unterhaltung et cetera, auch wenn nicht eigens erwähnt wird, welchen Zwecken eine Sendung oder Sendereihe dient. Die Zuschauer erleben etwas mit, anders wären sie nicht bei den Bildern zu halten, und man kann annehmen, daß der ORF von diesen Vorgängen mehr versteht als die Zuschauer selbst, die beim Blickkontakt mit den Bildinhalten naturgemäß dilettieren.

Daß der ORF nicht ständig mit Rückmeldungen beschickt oder von Unzufriedenen belagert wird, hat mindestens drei Gründe: Man kann weder den ORF als Ganzes, noch einzelne Verantwortliche wirksam „beim Bild nehmen", weil immer erschwerende Umstände mit mildernder Wirkung der Fall gewesen sein können. Das Bewußtsein für die Kompliziertheit der Bilder-Erzeugung, das man auch als Laie hat, bringt es mit sich, daß man den Bildern gern nur probeweise Glauben schenkt (ob das geht, entzieht sich meiner Kenntnis). Zugleich will man auf die Bilder-

Erlebnisse nicht verzichten, sitzt aber notgedrungen nur der Glotze gegenüber, nicht einem Einzelmenschen, den man auch etwas fragen oder dem man etwas entgegnen könnte. Die Situation entspricht der dem Femsehen immanenten hochgradig technischen Intelligenz, die einem auch außerhalb der Femsehweiten als pseudo-fort-schrittlicher Zivilisationsfilz das Kritisieren abgewöhnen und das Funktionieren beibringen will.

Die katholische Kirche ist in ihrem Umgang mit Bildern dem Femsehen um mehr als tausend Jahre voraus und hat ihre eigene Bilderpraxis intuitiv in zweierlei Richtungen entwickelt, ohne damit verhindern zu können, daß Protestanten sie wirksam „beim Bild nahmen": Gemälde, Skulpturen, Reliquienschreine, Insignien waren nur Bilder einer jenseitigen, absoluten Wirklichkeit, zugleich waren Prozessionen zu und mit Bildern, Wallfahrtsorte, Ringküsse, Schutzbildchen, geweihte Gegenstände als hilfreich und dem Glauben förderlich erlaubt.

DerORFhat vielleicht nur minimale Ähnlichkeiten mit einer klerikalen Hierarchie, aber er hat Mitverantwortung für die Gesellschaft in einem solchen Ausmaß übernommen, daß Anzeichen von Überforderung (bei den Bilder-Produzenten wie bei den Konsumenten) zu gewärtigen sind. Vielleicht gehört auch die Auffassung „nur Bilder sind das" in diesen Bereich. Wenn jemand vergibt oder vergessen will, daß die Bilder verschiedenes bewirken und auslösen und unbedingt übersehen will, wieviele Menschen den Bildern glauben, „abnehmen", was sie enthalten, hat dieser Mensch sich dann nicht in bewußter oder unbewußter Abwehr seiner eigenen zwischenmenschlichen Mitverantwortung entschlossen, an „Bilder" zu glauben?

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