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Vorbild für Deutschland?

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Der Staatsbesuch von Bundespräsident Rudolf Kirchschläger, begleitet von den Ministern Willibald Pahr und Josef Staribacher, der vergangenen Woche in der Bundesrepublik verlief im Grunde problemlos. Zwischen Österreich und der Bundesrepublik gibt es keine „offenen Fragen” mehr. Zwar hat Österreich am Rhein-Main-Donau-Kanal naturgemäß ein großes Interesse — er wurde von Kirchschläger bedeutungsvoll „Europakanal” genannt—doch alle anderen Fragen (z.B. Vermögensvertrag) sind schon längst in den sechziger Jahren geklärt worden.

Der Besuch Kirchschlägers wäre in den deutschen Medien fast routinemäßig behandelt worden, wenn nicht ein Abstecher nach Berlin zur Debatte gestanden wäre. Von Bonn dazu eingeladen, lehnte Österreich mit der Begründung ab, nur Staatsoberhäupter von NATO-Staaten besuchten Berlin, die anderen — vor allem Neutrale und Blockfreie—nicht An Beispiele solle man sich halten, so die österreichische Sprachregelung.

Findige Zeitungen servierten den Österreichern eine ganze Reihe von neutralen oder blockfreien Staatsoberhäuptern als Gegenbeispiel, die dennoch zur Spree und Mauer eilten. Daß dadurch ein leichter Schatten auf den an sich problemlosen Staatsbesuch fiel, konnte man den Kommentaren entnehmen.

Bemerkenswert jedoch waren zwei Aussagen Kirchschlägers. Im Hinblick auf seinen Besuch in Bremen sprach er davon, daß Österreich als einem Binnenstaat die „Küstenmentalität” abgehe. Er meint damit die sich aus der Natur der Sache ergebende Weltoffenheit, die für die Hansestädte Bremen und Hamburg so typisch ist.

Bei der Tischrede anläßlich des offiziellen Dinners im Schloß Au-gustusburg bei Köln bekannte sich Kirchschläger zu der historisch gewachsenen deutschen Sprach- und Kulturgemeinschaft: „Diese Gemeinsamkeit in Sprache und Kultur hindert die

Österreicher nicht an qualifizierter Eigenständigkeit und auch nicht an dem Prozeß einer österreichischen Nationswerdung, den wir als eine positive Bereicherung und nicht als eine Entwicklung gegen das deutsche Volk ansehen.”

In Österreich war, wie man sich erinnern wird, die Diskussion um eine österreichische Nation bis Mitte der sechziger Jahre sehr heftig, sie ist aber in dem oben beschriebenen Sinn seitdem als abgeschlossen zu betrachten, wenn man von Randerscheinungen am rechten Spektrum einmal absieht. Dieser Prozeß ist jedoch vielfach in der Bundesrepublik unbekannt geblieben. Nicht selten kann man von den drei (oder vier, wenn man die Schweiz hinzuzählt) deutschen Staaten lesen oder hören.

Die vielen Österreicher, die in der Bundesrepublik leben, werden von der dortigen Bevölkerung gar nicht so richtig als Ausländer angesehen. Es kann einem nördlich des Mains passieren, daß den Österreichern mehr Sympathie entgegengebracht wird als den Bayern.

Ungeachtet dieser Vorteile gerade im Hinblick auf die Ausländerproblematik in der Bundesrepublik war es richtig, daß Kirchschläger auf diesen Prozeß der österreichischen Nationswerdung hinwies. Der einheitliche deutsche Nationalstaat, wie er seit Beginn des 19. Jahrhunderts gefordert wurde, ist — abgesehen von einer kurzen, aber schrecklichen Realität - Utopie geblieben.

Im Vergleich zur Bundesrepublik konnte Österreich mit seiner Vergangenheit fertig werden. Die Staats- und Nationswerdung haben dazu beigetragen, die historische Identität Österreichs zu finden. Deutschland hat diesen Weg noch nicht beschritten, viele Probleme der Bundesrepublik sind ursächlich darauf zurückzuführen. Vielleicht kann Österreich einmal ein Beispiel für Deutschland geben.

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