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Neujahrswunsch aus Deutschland

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Nicht In Bonn und nicht in Wien, auch picht auf, mittlerem Wege, etwa in Salzburg oder in München, kam es zur ersten offiziellen Wiederbegegnung zwischen deutschen und österreichischen Staatsmänner!). Es war in Paris, wo einander Dr. Adenauer und der Wiener Außenminister, Dr. Gruber im Rahmen der internationalen , Konferenzserie der zweiten NovemberhälFte zu einer Aussprache trafen. Der herzliche Charakter des Treffens ist verbürgt; immerhin könnte man in der Orts wähl ein Anzeichen für die Verkümmerung der deutsch-österreichischen Beziehungen erblicken. Das Jahr 1951 sah Adenauer in Rom. in Paris, in London — kaüm jemand aber wäre auf den Gedanken gekommen, einen Staatsbesuch Adenauers in Wien oder umgekehrt des österreichischen Kanzlers beziehungsweise Außenministers in Bonn auch nur in Erwägung zu ziehen. Dafür ist offenbar die Zeit noch nicht reif.

Aber seien wir nicht ungerecht. Gemessen an der schockartigęn Entfremdungspsychose der ersten Nachkriegszeit bat, das nun zu Ende gehende Jahr eine größere Zahl von deutsch-österreichischen Begegnungen gebracht. Es trafen einander auf ihren Kongressen die Bruderparteien, die Christlichen Demokraten und die Sozialdemokraten. Eine Abordnung deutscher Journalisten reiste durch. Österreich, und eine Delegation österreichischer Pressevertreter besuchte Westdeutschland und Berlin. Im kleinen Grenzverkehr kam es zu einem günstigeren Arrangement — was freilich nicht hinderte, daß in den sommerlichen Ferienmonaten nur zu viele Deutsche ihre Reise oder auch nur ihren Ausflug nach Österreich an Paß- und Devisenschwierigkeiten scheitern sahen. An den Salzburger Hochschulwochen nahmen einige hundert deutsche Studenten teil. Künstler und Regisseure gastieren hüben und drüben, ein Burgtheaterensemble wurde in westdeutschen Städten begeistert gefeiert (ungeachtet der Verstaubt- heit des Ibsen-Stückes, das sich die Wiener für ihre Deutschlandtoumee ausgesucht hatten). Kein Österreichischer Film, der nicht in den Kinos Westdeutschlands seine Haupteinnahmequelle hätte.

Handelsvertreter, amtliche und private, fuhren hin und her, und mit Nachdruck sei vermerkt, daß Westdeutschland wieder zum wichtigsten Außenhandelspartner Österreichs geworden ist. Mehr denn je schälte sich im vergangenen Jahr heraus, wie sehr Deutschland von den großen österreichischen Wasserkraftwerken Nutzen zieht und erst recht in Zukunft ziehen kann. Die gemeinsame deutsch-österreichische Baustelle bei Simbach-Braunau am Inn —- jenes „Territorium des guten Willens“, wie «Christ und Welt“ jüngst schrieb — mag hier als Modellfall, gelten, sowohl für ein deutsch-österreichi: sches wie • für ein gesäniteuropäisches Verbundnetz; „Schuman-Plan en miniature"hat man dieses Bauvorhaben über-

staatlichen Gharakters am Inn genannt. Seine Lehren, möchte man wünschen, sollten auf das ganze, nun entzerrte Verhältnis zwischen den Nachbarn übertragen werden.

So tat sich denn manches Erfreuliche in jenem Prozeß, den man die „Normalisierung“ der deutsch-österreichischen Beziehungen nennt. Aber eben mit Normalisierung ist es, so scheint uns, nicht getan. Wir wollen uns nicht in der Vergangenheit verlieren, in ihren glücklichen oder ihren leid- und peinvollen Erinnerungen. Auch, ja gerade beim Blick nach vorwärts erweist sich, daß Deutschland und Österreich nicht Rücken an Rücken dahinleben können, sondern Seite an Seite miteinander gehen müssen. Der Krampf, welcher der staatlichen Trennung von 1945 folgte, hat sich gelöst, und hüben und drüben sieht man ein, daß es mit der gegenseitigen Isolierung ein Ende haben muß. Das Mißtrauen «des Auslandes, daß sich mit solcher Erkenntnis die Anschlußidee wieder zur Hintertür einschleichen könnte, ist aus der Sicht von gestern geboren. Großdeutsch-kleindeutsch ist eine überholte Alternative. Kein Deutscher und kein Österreicher, dem es um eine zukunftsträchtige Gestaltung des gegenseitigen Verhältnisses geht, wird sich heute der Einsicht verschließen, daß sich die Wiederbegegnung der beiden Nachbarländer nur auf der höheren, der europäischen Ebene vollziehen kann.

Wir sind nicht ungeduldig und haben Verständnis für die Schwierigkeiten der Situation Österreichs, das, anders als Westdeutschland, zwischen der östlichen Besatzungsmacht und den Westallierten mühsam seine Einheit und sein staatliches Gleichgewicht ausbalancieren muß. Dies erklärt es in vielem, daß zwischen Bonn und Wien noch immer keine diplomatischen Vertreter ausgetauscht sind und der Verkehr von Staat zu Staat sich mit Provisorien begnügen muß. Westdeutschland hat nahezu fünfzig und Österreich nur sieben Millionen Bewohner: auch diese verschiedenen Größenverhältnisse mögen um einiges daran schuld sein, daß die beiden Nachbarländer noch nicht mit der notwendigen Unbefangenheit aufeinander zugekommen sind. Wir verkennen auch nicht, daß Österreich heute den Westdeutschen weit weniger „interessant“ erscheint als der große deutsche Nachbar den Österreichern. Es kommt .vor, daß man in einer westdeutschen Zeitung eine ganze Woche lang dem Wort „Österreich“ überhaupt nicht begegnet. Auch dieses Desinteresse auf deutscher Seite scheint uns eine der Ursachen dafür zu sein, daß die Atmosphäre noch nicht herzlicher und wärmer wurde.

Kein Zweifel, es bleibt hüben und drüben noch vieles zu tun. An Begegnungen im offiziellen Bereich wird es auch 1952 n;cht fehlen. Noch wichtiger erscheint uns die unmittelbare Begegnung von Mensch zu Mensch. Man finde, und das ist unser Hauptwunsch für das kommende Jahr, endlich einen Ausweg aus den Paß- und Devisenschwierigkeiten! Wir brauchen nicht erst zu betonen, was Österreich für den deutschen Rucksacktouristen — und was zugleich der deutsche Rucksacktourist für Österreich bedeutet. Ein weiterer Wunsch an der Jahreswende: daß 1952 Österreich das Ende der alliierten Brief- und Telephonzensur bringe, jenen grotesken Anachronismus, der den Postverkehr mit den österreichischen Freunden zu einer ebenso zeitraubenden wie verärgernden Angelegenheit macht. Um nur noch einen Punkt unseres (an sich sehr langen) Wunschzettels zu nennen: wir möchten 1952 bessere österreichische Filme als in den Vorjahren sehen. Filme nämlich, die wohl unverwechselbar «österreichisch" sind, aber nicht in Walzer- und Heurigenseligkeit eines «Mariandl“ ein sentimental-sacharinsüßes Traumland vorspiegeln. Weshalb sollte nicht dem österreichischen Film ähnliches gelingen wie 1 Engländern mit dem «Dritten Mann" und Schweizern mit dem «Vier im Jeep“, nämlich eine Durchdringung und Erhellung der viergeteilten Wiener Wirklichkeit unserer Zeit?

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