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Wer fürchtet sich vorm Broda?

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Das Justizministerium ist in besonderem Maße dazu berufen, Hüter von Gesetz und Verfassung zu sein. Bedenklich stimmt daher, wenn unter Christian Broda gerade in diesem Ministerium am laufenden Band Gesetze produziert werden, die (Fristenlösung, Scheidungsreform) in riskanter Form am äußersten Rand der Verfassungsmäßigkeit wandeln und auf zumeist sehr eigenwilligen Interpretationen der Grundrechte beruhen.

Jüngster Streich in dieser Richtung ist der Entwurf zu einem neuen Mietengesetz, der mit der Eigentumsgarantie und dem auch von den Sozialisten immer wieder anerkannten Prinzip, keine Enteignung dürfe ohne angemessene Entschädigung erfolgen, in seltsamer Weise umspringt. Es wird der Versuch unternommen, mit einem einfachen Bundesgesetz eine in der Praxis totale Enteignung durchzuführen und die Verfassung dadurch zu umgehen, daß man de iure zwar den Eigentumstitel aufrecht erhält, aber durch den Entzug jeglicher Verfügungsgewalt in der Praxis illusorisch macht. Die Tatsache, daß dem „Eigentümer“ zwar Nutz- und Fruchtgenuß entzogen, Risiko, Verwaltungsarbeit, Verantwortung und natürlich auch Steuerpflicht belassen werden, macht eine derartige kalte Enteignung noch schlimmer als eine offene Konfiskation.

Es geht hier nicht um die Frage, ob einem die Hausbesitzer sympathisch sind oder nicht, und ob man sich in kleinkarierter Manier eventuell persönliche Vorteile aus einzelnen neuen Bestimmungen ausrechnen kann, sondern darum, daß dann, wenn eine derartige entschädigungslose Enteignung mit einfachem Bundesgesetz als mit der Verfassung vereinbar angesehen wird, ein gefährlicher Präzedenzfall entsteht. Einer weiteren Aushöhlung der Verfassung stünde nichts mehr im Wege.

Solche Präzedenzfalle werden mit Hilfe scheinbar nebensächlicher Probleme und unter Ausnützung bewußt konservierter Ressentiments geschaffen. Die Opposition wäre gut beraten, den Plänen der Regierungspartei nicht nur die Zustimmung zu versagen, sondern die Interessierten auch über Hintergründe und Fernwirkungen der Reform aufzuklären.

Die harmlos klingenden Hauptpunkte der „Großen Mietenreform“ sind:

• Die Vereinheitlichung des Mietrechts.

• Die Ermöglichung des Wohnungstausches auch gegen den Willen der Hausinhabung.

• Die Behandlung sämtlicher Mieteinnahmen als Sondervermögen.

Zweifellos ist eine Vereinheitlichung des Mietrechts prinzipiell zu bejahen. Doch durch immer neue Bestimmungen ohne Beseitigung der bereits bestehenden wurde eine Unzahl von Wohnungskategorien geschaffen, daß selbst Spezialisten diesem Paragraphendschungel ohnmächtig gegenüber stehen.

Das neue Mietengesetz benützt aber dieses legitime Anliegen nicht zur Vereinheitlichung im Sinne einer aus ökonomischen, sozialen und budgetpolitischen Gründen längst überfälligen Liberalisierung, sondern für eine verschärfte Reglementierung. Mietenstopp und rigoroser Kündigungsschutz sollen auf weitere Wohnungskategorien ausgedehnt werden, also auf Kleinhäuser, Eigentumswohnungen (auch bei völliger Abzahlung der Kredite) und auf Untermieten. Die gesetzliche Stoppmiete soll für Neubauten in gleicher Weise gelten wie für Altbauten, ja sogar für künftig zu erbauende Wohnungen.

Freie Mietvereinbarungen sollen nicht bloß bei künftigen Vermietungen verboten sein, auch für bestehende Verträge sollen sie nicht mehr gelten. Dieser Eingriff in bestehende Verträge ist verfassungsmäßig besonders bedenklich. Er war bereits im Rahmen der „kleinen Mietenreform“ vorgesehen, wurde aber dann aus eben diesen Gründen eliminiert. Diesmal wollen die Experten Christian Brodas nicht lockerlassen.

Die Möglichkeit des Wohnungstausches gegen den Willen der Hausinhabung bedeutet den Entzug von deren letzten noch bestehenden Verfügungsrechten. Zusammen mit der Auflage, daß sämtliche Mieteinnahmen einem Sondervermögen zugeführt werden müssen, das nur für die Instandhaltung und Verbesserung des Hauses verwendet werden darf (wobei auch die Entscheidung über die Verwendung dem Besitzer weitgehend entzogen wird), bedeutet dies praktisch die Enteignung auf kaltem Weg, noch dazu ohne Entschädigung. Nach dieser Bestimmung könnte jeder Hausbesitzer, der Mieteinnahmen für persönliche Ausgaben verwendet, wegen Veruntreuung strafrechtlich belangt werden.

Sicherlich wird der Entwurf nicht in dieser radikalen Form Gesetz werden. In bewährter Lizitationsmanier wird absichtlich überzogen, um „Konzessionen“ machen und trotzdem eine verschärfte Reglementierung durchboxen zu können. Problematisch bleibt es aber trotzdem, daß solche bedenkliche Gesetzentwürfe überhaupt im Justizministerium entstehen können.

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