6841323-1975_45_14.jpg
Digital In Arbeit

Wessen das Herz voll ist...

Werbung
Werbung
Werbung

Hans Joachim Seil, geboren 1920 in Neustettin, aufgewachsen in Berlin, legt nun nach drei Romanen, zwei von der Kritik besonders gewürdigten Spanienbüchern und einem Erzählband mit sogenannten „schwarzen Geschichten“ sein neuestes Werk: „Thekengespräche“ vor. Gemeint sind Dialoge in einer Bar, im Gasthaus an einem Schanktisch, meistens werden sie von Männern geführt an einem unverbindlichen Ort, an dem man sich keinesfalls an seinen Partner gebunden fühlen muß.

Die Gespräche sind vom Schriftsteller her gestellte Zufallsdialoge, die „Die Zeit sichtbar machen“ sollen. Sie tritt einem auch aus manchem — etwa zwischen der Exzellenz und dem Qberst im Offizierskasino in Madrid“,' 'wenn Exzellenz sagt: „Wer nachts unterwegs ist, hat Sinen Grund ...“, oder bei dem der beiden Portiers der Präsidenten in Lissabon — geradezu plastisch entgegen. Die Geisteshaltung und psychologischen Reaktionen der heutigen Zeit werden schonungslos aufgedeckt. Doch nicht nur im politischen Bereich — der setzt nur die Farbtupfen — werden ganz persönliche Anschauungen und Wünsche ausgesprochen, keine Besondernheiten, nein, alltägliche banale Sätze, die man so gewohnt ist, daß sie erst schocken, wenn sie vor uns auf dem Papier stehen.

Seil geht den subtilsten psychologischen Reaktionen nach, um den Menschen aus seinem Beruf, seiner Stellung und seinem Erleben heraus bloßzulegen. Wenn etwa der Schauspieler seinen Freund, den Rechtsanwalt, bittet, die Scheidung einzureichen, weil seine Frau eben nicht zu ihm passe und dann die Wunschfrau beschreibt, mag dies gar manchem arrivierten Zeitgenossen aus dem Herzen gesprochen sein, wobei jener geflissentlich auf Einwürfe und Fragen des Rechtsanwaltes stets nur die Bedürfnisse seines bemerkenswerten Selbst im Auge hat.

Das Gespräch zwischen dem Pfarrer und dem Elternvertreter berührt, das Nichtverstehen der Eltern, das Pochen auf ihr Anrecht, aber auch das Unverständnis, die Eifersucht gegenüber dem, der das Vertrauen der Jugend besitzt, das Aufbegehren, ihre Anklage, ohne eigentlich damit wirklich den Pfarrer treffen zu können, wird ausgedrückt; mit einem warmen Herzen wird hier eine Lanze für die Jugend gebrochen.

Die Dialoge zwischen dem Redakteur und dem Denunzianten oder zwischen dem Propagandisten und dem Kunstmaler sind symptomatisch für die heutige Haltung, der Hippie und der Werbefachmann: Ausgezeichnete Beobachtungen, Genrebilder der Gegenwart, die die Absicht der Darstellung verschleiern, schmutzige Innenwäsche, doch ohne Stellungnahme wirken sie pointenlos. Der Nicker und der Parkettabzieher mag, wie im Vorwort erwähnt, norddeutscher Humor sein, „ein Gespann für Gelächter“, für uns allerdings eröffnet sich solch ein komponierter Scherz nicht.

Zum Schluß ein Monolog, dessen Sinn und Zweck dem Rezensenten nicht klar geworden ist.

„Thekengespräche“, zufällig oder mit Absicht gewechselte Sätze, die zu einem Gespräch führen, manchmal schlägt die Wahrheit wie ein Lichtstrahl durch, dann wieder erscheint die seelische Landschaft verschwommen, ohne markante Konturen, ein Zeugnis unserer jetzigen Zeit. Seil hat ein sicheres Gespür, existenzielle Probleme des heutigen Menschen, seinen Charakter, seine geheimen Gedanken wie mit einem Seziermesser aus einem Dialog freizulegen. Sie wären geschaffen für 5-Minuten-Sendungen im Fernsehen oder Radio.

THEKENGESPRÄCHE. Von Hans Joachim^ Seil. Claasen Verlag. 160 Seiten, 20 DM.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung