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Genrebilder der Gegenwart

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Hans Joachim Seil, 1920 geboren in Neustettin, aufgewachsen in Berlin, ausgezeichnet mit zwei Literaturpreisen — einer davon wurde ihm im Vorjahr von der Concordia in Wien verliehen —, legt nun nach drei Romanen, zwei von der Kritik besonders gewürdigten Spanienbüchern und einem Erzählband mit sogenannten „schwarzen Geschichten“ sein neuestes Werk: „Thekengespräche“ vor. Gemeint sind Dialoge an einer Bar, im Gasthaus an einem Schanktisch, meistens werden sie von Männern geführt an jenem unverbindlichen Ort, an dem man sich keinesfalls an seinen Partner gebunden fühlen muß, an dem man sich jedoch auch nicht so leicht von ihm trennt wie bei einer Cocktailparty.

Die Gespräche sind vom Schriftsteller her gestellt Zufallsdialoge, die „die Zeit sichtbar machen“ sollen. Sie tritt einem auch aus manchem — etwa zwischen der Exzellenz und dem Oberst im Offiziers-kasino in Madrid, wenn Exzellenz sagt: „Wer nachts unterwegs ist, hat einen Grund...“, oder bei dem der beiden Portiere der Präsidenten in Lissabon — geradezu plastisch entgegen. Die Geisteshaltung und psychologischen Reaktionen der heutigen Zeit werden schonungslos aufgedeckt. Doch nicht nur im politischen Bereich — der setzt nur Farbtupfen — werden ganz persönliche Anschauungen und Wünsche ausgesprochen, keine Besonderheiten, nein alltägliche, banale Sätze, die man so gewohnt ist, daß sie erst schocken, wenn sie vor uns auf dem Papier stehen.

Wenn Seil den Professor sagen läßt: „Wie könnte man sich mit einer guten Tat brüsten wie mit einer bösen“, und wenn etwas später sein Gesprächspartner, der Detektiv, von den „Exhibitionisten des Bösen“ und den „Höhlenbewohnern der Gemeinheit“ spricht und feststellt, daß er eigentlich nie den Auftrag bekam, eine gute Tat zu entschleiern, dann deckt er mit einemmal eine Wahrheit auf, die ein Mensch plötzlich in einem Gespräch erkennt, auch wenn dies an einer frequentierten Bahnhofsbar geschieht.

Seil geht den subtilen psychologischen Reaktionen nach, um den Menschen aus seinem Beruf, seiner Stellung und seinem Erleben heraus bloßzulegen. Wenn etwa der Schauspieler seinen Freund, den Rechtsanwalt, bittet, die Scheidung einzureichen, weil seine Frau nicht zu ihm passe, und dann seine Wunschfrau beschreibt, mag dies gar manchem arrivierten Zeitgenossen aus dem Herzen gesprochen sein, wobei jener geflissentlich auf Einwürfe und Fragen des Rechtsanwaltes stets nur seine eigene Person und die Bedürfnisse seines bemerkenswerten Selbst im Auge hat.

Das Gespräch zwischen dem Pfarrer und dem Eltern Vertreter berührt, das Nichtverstehen der Eltern, das Pochen auf ihr Anrecht, aber auch das Unverständnis, die Eifersucht gegenüber dem, der das Vertrauen der Jugend besitzt, das Aufbegehren, ihre Anklage, ohne eigentlich damit wirklich den Pfarrer treffen zu können, wird ausgedrückt; mit einem warmen Herzen bricht Seil hier eine Lanze für die junge Generation.

Die Dialoge zwischen dem Redakteur und dem Denunzianten oder zwischen dem Propagandisten und dem Kunstmaler sind symptomatisch für die heutige Einstellung, der Hippie und der Werbefachmann: ausgezeichnete Beobachtungen, Genrebilder der Gegenwart, teils schmutzige Innenwäsche, zeichnen die Gespräche schonungslos die geheimen unsauberen Gedankengänge des heutigen Menschen. Der Nicker und der Parkettabzieher mag, wie im Vorwort erwähnt, norddeutscher Humor sein, „ein Gespann für Gelächter“, für uns eröffnet sich solch komponierter Scherz jedenfalls nicht.

Zum Schluß ein Monolog, dessen

Sinn und Zweck der Rezensentin nicht klar geworden ist.

Thekengespräche, zufällige oder mit Absicht gewechselte Sätze, die zu einem Gespräch führen, manchmal schlägt die Wahrheit wie ein Blitzstrahl durch, dann wieder erscheint die seelische Landschaft verschwommen, ohne markante Konturen, ein Zeugnis unserer jetzigen Zeit. Seil hat ein sicheres Gespür, existentielle Probleme des heutigen Menschen, seinen Charakter, seine Gedanken wie mit einem Seziermesser aus dem Dialog freizulegen. Diese „Thekengespräche“ wären geschaffen für Kurzsendungen in Fernsehen oder Radio.

THEKENGESPRÄCHE. Von Hans Joachim Seil. Ciaassen Verlag, Düsseldorf. 156 Seiten.

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