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Methaphysische Gaukelspiele

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DIE ZIMTLÄDEN und alle anderen Erzählungen. Von Bruno Schulz. Aus dem Polnischen von Josef Hahn. Mit einem Nachwort von Franęois Bondy. „Bücher der Neunzehn.“ Hanser-Verlag, München 1966. S 352. Leinen DM 9.80.

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DIE ZIMTLÄDEN und alle anderen Erzählungen. Von Bruno Schulz. Aus dem Polnischen von Josef Hahn. Mit einem Nachwort von Franęois Bondy. „Bücher der Neunzehn.“ Hanser-Verlag, München 1966. S 352. Leinen DM 9.80.

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Die Publikationen aller von Bruno Schulz erhalten gebliebenen Erzählungen in der Reihe „Bücher der Neunzehn“ — eine erste vollständige Ausgabe seines Werkes neben der polnischen — sind willkommener Anlaß, wieder auf diesen genialen Dichter hinzuweisen.

Sohn eines jüdischen Seidenhändlers, wurde der Autor 1892 in

Grohobycz, im damals österreichischen Galizien geboren. 1942 erschoß ihn ein SS-Mann auf offener Straße; auch die Fragmente eines Romans, an dem Schulz damals arbeitete, gingen ebenso wie ein Band für den Druck fertiger Erzählungen in jener unseligen Zeit verloren.

Beides, die unverfälschte ostjüdische Umwelt in einem kleinen

Provinznest, aber auch die Zugehörigkeit dieses Städtchens zur alten Donaumonarchie, haben Wesen und Weltanschauung des Dichters geprägt. Seine hintergründige Einbildungskraft und erstaunliche Fabulierkunst ist gespeist aus ostjüdischen Traditionen und Anlagen. Die andere Seite hat Franęois Bondy in seinem Nachwort zu der vorliegenden Ausgabe ausgezeichnet formuliert, wenn er Schulz’ Werk „ein Stück eines k. u. k. Reiches“ nennt, „das bei Herzmanovsky—Orlando Tarockanien, bei Musil Kakanien heißt, und zu dem auf eigene Art auch noch das Trient von Italo Svevo, das Zagreb von Miroslaw Krleza gehören, ohne... Kafkas Prag vergessen...“

Was Schulz aus diesem zweifachen Erbe gestaltet hat, ist nun freilich von ausgeprägter Eigenständigkeit. Da fällt zunächst die bedrängende Spannung zwischen Phantasie und Wirklichkeit, zwischen Geist und Materie ins Auge, die sich in großartigen Träumen und Visionen spiegelt ... Imaginäre Züge, eine Überfülle von Bildern und Symbolen, sind typisch für den Stil von Schulz und für den Inhalt seiner Geschichte. Die Gestalt des Vaters wird zum Mittelpunkt vieler Erzählungen. Er sieht in ihm einen der letzten Verteidiger der „verlorenen Sache der Poesie“ und berichtet entzückt von den „glänzenden Gaukelspielen dieses metaphysischen Zauberkünstlers.“ Anderseits zeigt er ihn — auch hier wieder die für Scholz so typische Spannung, das Hinund- hergerissenrein zwischen Gegensätzen — als von der Materie bedrängtes und gefährdetes Geschöpf, das, in allerlei tierischen Verwandlungen — als Kondor, Küchenschabe und Skorpion zum Beispiel — seine Familie in Schrecken versetzt. Schier unerträglich das Kapitel „Die letzte Flucht des Vaters“, in dem dieser, in einen Krebs verwandelt, gekocht, auf einer Schüssel angerichtet, auf den Tisch gebracht wird.

„Er lag groß und aufgequollen, infolge des Kochens, blaßgrau und gallertartig da. Wir saßen schweigend wie vergiftet herum ... Meine Mutter befahl, die Schüssel in den Salon zu stellen. Dort lag er auf dem mit einer Plüschdecke bedeckten Tisch neben dem Photoalbum und einem mechanischen Leierkasten mit Zigaretten: von uns gemieden und regungslos...“

Das geht noch weit über Kafkas Grauenszenen hinaus, den Schulz übrigens ins Polnische übersetzt hat.

Ein anderes Element taucht immer wieder in den Erzählungen auf: die Faszination des Autors von der Welt des Abfalls und Trödels. „Die Materie wird in ihrem mißlungenen, unansehnlichen und schlechthin monströsen Zustand verherrlicht...“ (Andrzej Wirth). Aber zugleich mit Abscheu betrachtete und genauest geschildert. Schulz haßt die zeitgenössische Massengesellschaft mit ihrer billigen Zivilisation voll Kitsch und Plunder und glaubt doch, daß die Entwicklung in dieser Richtung nicht aufzuhalten ist. Er hat diese ihn bedrängende Welt in der „Krokodilgasse“ personifiziert und stellt sie in Gegensatz zu den zum Untergang verurteilten „Zimtläden“.

Es gibt neben den „Welten des Wahns“, den „Labyrinthen des Inneren“ freilich auch andere, hellere Töne und Farben in den Traumgeschichten des Autors. Hinreißende, wortgewaltige Naturschilderungen zum Beispiel. Unvergeßlich die Beschwörung des Frühlings und Sommers in der kleinen Heimatstadt:

„Julinacht! Womit sie vergleichen, wie sie beschreiben? Oder soll ich sie mit dem Innern einer riesigen schwarzen Rose vergleichen, die uns mit dem hundertfältigen Schlaf Tausender samtener Blätter bedeckt? Der Nachtwind blättert ihre flaumige Fülle auf und gibt uns auf ihrem duftenden Grund den Blick zu den Sternen frei ..

Oder die Preisung des Herbstes und Winters! Wenn er übersprudelnd und tief betroffen von diesen Dingen spricht, verwandelt sich Schulz’ Lust an grotesken Deformierungen zum reinen Lob der Schöpfung. Ein Ausruhen, scheint es, von den quälenden Erfahrungen, denen er sich stellt und die er dann zu kompensieren versucht. Es ist sicher kein Zufall, daß in seinen Geschichten die „Luftmenschen“, von denen die ostjüdische Literatur so viel erzählt, eine große Rolle spielen. Im „Pensionisten“ fliegt der Held am Ende über die Dächer davon, oder der Onkel Edward fährt mit einer gläsernen Kugel geradewegs in die Sonne. In „Einsamkeit“ sinniert der in einem eingemauerten Zimmer sitzende Erzähler:

„Wie ich dann hinausgehen könnte? Das verhält sich eigentlich so: für den guten Willen gibt es kein Hindernis, einem intensiven Verlangen stellt sich nichts entgegen. Ich muß mir nur eine Tür vorstellen, eine gute alte Tür, wie in der Küche meiner Kindheit eine war... Es gibt kein so fest zugemauertes Zimmer, in dem sich nicht eine solche vertrauliche Tür öffnen ließe, wenn nur die Kräfte langen, sie hinzudenken ...“

Der genauen Erfassung des Dinglichen steht also immer auch seine Auflösung gegenüber. Rätsel über Rätsel, zu denen auch die hintergründigen Reflexionen über die Zeit, über „Ereignisse, die keinen Platz in der Zeit haben“. Aber Bruno Schulz wollte kaum die Welt enträtseln oder gar verändern. Er ist Geheimnissen auf der Spur, die über sie hinausreichen — auch das ein Erbe seiner ostjüdischen Herkunft —, und er gibt dem Leser in seinen Bildern und Visionen Einblicke in diese poetische Übeiwirklichkeit, und damit eine heilsame Distanz zum Hier und Jetzt.

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