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Zeitgenosse

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Obwohl er, Jahrgang 1920, zu jener Generation gehört, die sich gern als die „verlorene“ apostrophieren läßt, teilt er nicht deren Pessimismus und Skeptizismus, ist auch nicht politisch engagiert — wohl aber kulturpolitisch tätig — ein Wort, das er sicher nicht mag. Viele kennen seinen Namen nur als Präsident des österreichischen Schriftstellerverbandes, wo er als Nachfolger von Ernst Schönwiese gewählt wurde. Und obwohl er ein rundes Dutzend Bücher veröffentlichte, die von der Fachkritik, auch der ausländischen, mit hohem Lob bedacht wurden, hat er es verstanden, als Person im Hintergrund zu bleiben: Dr. Franz Richter, nach acht Jahren Militärdienst und Kriegsgefangenschaft seit 1948 Professor an der Theresianischen Akademie. Aber nicht für Literatur, sondern für Chemie. Und diese Doppelgleisigkeit ist charakteristisch für den Mann und sein Werk, das durch vielerlei „Einflüsse“ bereichert wurde und viele unbekannte, aus speziellen

Wissensgebieten gewonnene Details enthält.

Vor kurzem ist er als neues Mitglied in die Hörer- und Sehervertretung des ORF ernannt worden, und zwar auf Grund einer Wahl unter sieben Kandidaten, bei der sieben Organisationen und Vereinigungen (von neun) seinen Namen primo loco nannten. Es gibt also noch ein Ansehen bei uns, das nicht durch lautes Getue und militante Parolen, nicht durch „gewisse Kreise“ und durch politische Parteien erworben wird...

Denn Franz Richter ist eigentlich ein Introvertierter, jedoch mit hellem Blick und scharfem Gegenwartsbewußtsein. Hier trügt der Schein, die Marke „vornehmlich Lyriker“. Ja, unter seinen Büchern enthalten viele Gedichte. Aber ihre Thematik ist ganz unkonventionell. Es handelt sich da oft um Gedankenkonzentrate, wie zum Beispiel in „Diogenes ultraviolett“, wo vor der menschenzerstörenden Industrie ebenso gewarnt wird wie vor der Forschung, soweit sie dem Menschen Mittel zur Veränderung des Menschen in die Hand gibt, also quasi ein „Antiprometheus“. Und im „Wendekreis der Blumen“ ist eine sehr feinsinnige und versteckte Ant-

wort auf Henry Millers „Wendekreis des Krebses“. „Liebespraxis der Blumen“ heißt ein Kapitel, und darin gibt es „Die Hochzeit der Palme.“

Aber das ist nur ein Teil von Richters schriftstellerischer Tätigkeit. Den andern bildet eine Fülle von Essays. „Das Maschinendenkmal“, „Ethik und Allgemeinbildung“, „Die Literaturwissenschaft als Lieferant von literarischen Schocks“, „Kunst als Verteidigungs-mittel und als Angriff“, „Die mutwillige Wahrheit“, „Die faustische Regierung“: das sind nur einige Titel, die einen Eindruck von der Weite des Horizonts und von Richters weitgestreuten Interessen geben sollen. (Wir haben in der FURCHE mehrere seiner Essays veröffentlicht, zuletzt „Das religiöse Lächeln“.)

Nun ist also Franz Richter im ORF zusammen mit einem Vertreter der Musiker (Alfred Uhl) und der bildenden Künstler (Adolf Froh-ner) eine neue Verpflichtung eingegangen. — Der österreichische Schriftstellerverband hat etwa 350 Mitglieder, und Richter will sich besonders um die Bundesländer-Zentren kümmern. Er sieht aber auch die Gefahren der Vereinsmeierei und der Hausmachtpolitik solcher Institutionen. Und jetzt

spricht man von ihm als künftigem Generalsekretär des österreichischen PEN-Zentrums, als Nachfol-

ger des verstorbenen Reinhard Federmann ...

Warum, so fragt man sich, macht er das alles, zumal wir kaum einen Mann seines Ranges mit weniger persönlichem Ehrgeiz kennen? Richter glaubt an einen ethischen Auftrag (weniger an einen politischen). Aber es macht ihm Freude, Veranstaltungen wie „Dichtung und Glaube“ im Rahmen des Katholischen Bildungswerkes im Stift Lilienfeld zu organisieren. Und er meint, daß wir uns vor unseren Kindern verantworten müssen, nicht nur indem wir das gute Alte erhalten, sondern uns auch fürs Neue rüsten. In dieser Hinsicht scheint ihm, dem guten Österreicher, sein Vaterland völlig unvorbereitet. Die von allen Seiten herranrückende Tyrannis ist eine der größten Gefahren. Für solche Dinge muß der Mensch von heute ebenso sensibilisiert werden wie für die Kunst und die Auswirkungen der Technik. Das geht in Richters Schriften ineinander. Einer seiner Rezensenten hat ihn als einen vom pädagogischen Eros Getriebenen bezeichnet. Seine von jedem Schema freie Sprache und seine nobel-gepflegte Erscheinung wirken werbend für die vielen „Anliegen“ des Dichters, Organisators und Kulturkritikers.

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