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„Zu einem Grenzland geworden“

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„Die immerwährende Neutralität Österreichs, die allen Staaten, mit denen Österreich im Jahre 1955 diplomatische Beziehungen hatte, in gleicher Weise notifiziert wurde und die von den übrigen vier Signatanstaaten des Staats- Vertrages mit gleichlautenden Noten anerkannt wurde, ist einer der besten Ausgangspunkte für die Außenpolitik unseres Landes. Diese Ausgangslage wurde auch seit 1955 in vollem Umfang genützt. Wir sind in unserer Gesellschaftsform durch die Ereignisse nach dem zweiten Weltkrieg zu einem Grenzland geworden, aber nur in der Gesellschaftsform. Wir sind in allen übrigen Belangen ein Land der

Mitte in Europa geblieben oder es vielleicht erst so richtig geworden.

Unsere Beziehungen zur Schweiz bedürfen keines besonderen Kommentars. Sie sind durch eine weitgehende Zusammenarbeit geprägt.

Die Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland sind von Sentiments befreit. Wir haben das Selbstbewußtsein, um das wir uns in den Jahren 1918 bis 1938 vergeblich bemüht haben, für unseren Staat und unser Volk gefunden und haben daher die Möglichkeit, aus einer komplexfreien Situation heraus mit der Bundesrepublik Deutschland so zusammenzuarbeiten und kulturellen Austausch zu pflegen, wie dies der gemeinsamen Sprache entspricht. Deutschland ist für uns nicht mehr durch Ideen und Ideologien belastet, sondern die Bundesrepublik Deutschland ist unser größter Handelspartner, sie ist das Land, das unseren Fremdenverkehr am meisten befruchtet. Wir schätzen aber auch den von ihr wiederholt zum Ausdruck gebrachten Respekt vor unserer Eigenständigkeit und Unabhängigkeit.

An den erwünschten guten Beziehungen mit der CSSR hindert uns bislang noch immer die ungelöste Frage der Entschädigung für jenes Vermögen, das im Jahre 1945 österreichischen Staatsbürgern auf Grund ihrer deutschen Sprachzugehörigkeit enteignet wurde. In allen anderen Punkten, insbesondere auch auf dem Gebiet des Wirtschaftsverkehrs und vereinzelt selbst der wirtschaftlichen Kooperation, besteht, sowie in bezug auf manche internationalen Aspekte, eine gute Übereinstimmung.

Die informelle Begegnung mit Außenminister Janos Peter von Ungarn war kein Emergency- Treffen, sondern im Gegenteil das Ergebnis des beiderseitigen Wunsches, einen umfassenden und informellen Gedankenaustausch über multilaterale und bilaterale Probleme zu haben. Diese Tatsache allein scheint mir das Verhältnis zu diesem Nachbarland eindeutig zu charakterisieren. Daß der Minengürtel im vergangenen Jahr bis auf etwa 10 Prozent abgebaut wurde — und die Arbeiten werden 1971 im Frühjahr fortgesetzt —, zeigt ebenfalls deutlich eine Entwicklung an, die auf weite Sicht auch wirtschaftspolitisch nicht ohne Bedeutung bleiben kann. Mit Jugoslawien waren die Beziehungen auf allen Ebenen bis zum Spätsommer besonders fruchtbar, die Abschaffung der Visapflicht mit diesem Land und die Existenz eines Übereinkommens zwischen der Republik Österreich und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über die Regelung der Beschäftigung jugoslawischer Dienstnehmer in Österreich zeigt dies deutlich an. In letzter Zeit sind im Zusammenhang mit Veranstaltungen in Klagenfurt und Graz, und hierauf erfolgten slowenischen Reaktionen, gewisse Trübungen eingetreten, die sich auf die Minderheitenfrage in Kärnten ausgewirkt haben. Ich bin zuversichtlich, daß dieses Wellental in nicht zu ferner Zukunft wieder ausgeglichen werden kann.

Italien ist unser zweitgrößter Handelspartner und die Intensität unserer Zusammenarbeit auch auf multilateralem Gebiet nimmt auf allen Ebenen in sogar etwas stärkerem Maße zu, als in welchem die Durchführung des Paketes im Rahmen des Operationskalenders voranschreiitet. Wir erwarten im Sinne dieser Entwicklung, daß die seit heute bestehende Säumnis der italienischen Regierung in der Einbringung eines Gesetzes über die Wahlkreise für die Senatswahlen, auch wenn dieses die Südtiroler nur mittelbar betrifft, zu einem frühestmöglichen Zeitpunkt beseitigt werde. Wir anerkennen aber auch den guten Willen und das deutliche Interesse der italienischen Regierung, das sie in den internen Verhandlungen für die Herstellung eines vollen Einvernehmens mit den Südtirolvertretern bei den bisherigen vorbereitenden Maßnahmen für die Paketdurchführung gezeigt hat.“

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