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Zurückhaltung in den Provinzen
Unerhörtes trägt sich in Paris zu: sie köpfen die Republik! Ob sie das wirklich tun? Man sollte es meinen, falls ..die von der Regierung als „Hauptanliegen des Septennats“ verkündete und auch schleunigst in die Wege geleitete Dezentralisierung ehrlich gemeint ist. Dann müßte in der Tat die Republik ihren längst hydro- piscti gewordenen Kopf Paris den Provinzen vor die Füße legen.
Perplex zum Teil und teils verlegen schauen die Provinzler zu. Das wäre, so fürchten die einen, und hoffen die andern, der Tod der einen unteilbaren Republik, wie sie die alten Könige gezeugt, die Revolution geboren und der Erste Konsul Napoleon Bonaparte großgezogen haben; der Tod jenes Staatswesens, das der Korse in das Korsett einer so straff zentralisierten Verwaltung gesteckt hatte, daß er es mit einer Hand zu regieren vermochte, während er mit der anderen Europas Fürsten an der Leine hielt.
Daß eine solche Organisation nicht nur Vorteile für die Regierenden, sondern auch viele Nachteile für die Regierten in sich trägt, wissen nicht erst die Regionalisten der jüngsten Zeit. Lamennais (1782-1854) hat es schon klar gesehen: „Zentralisierung ist Apoplexie im Mittelpunkt und Lähmung an den Gliedmaßen.“
Und der Sozialist Louis Blanc (1811-1882) verglich Frankreich mit einem Acker, den man nicht gleichmäßig ansäe, wo man vielmehr das Saatgut an einer Stelle aufhäufe, so daß es in Gefahr gerate, nicht zu keimen, eben wegen der Häufung.
Das korsische Korsett soll nun gelockert, und, wie es scheint, gerade in Korsika am weitesten aufgeschnürt werden. Daß die Regierung dabei rasch vorgeht, ist verständlich: wenn sie schon die Strukturen verändern will, dann muß sie es unverzüglich tun, damit sich jede weitere Aktion im Rahmen der angestrebten neuen Strukturen abwickeln kann.
Doch mit der Zügigkeit ist es noch nicht getan; am Ende wird es darauf ankommen, wie gründlich die Umgestaltung vorgenommen wird. Und da zeigen sich die Schwierigkeiten.
Die napoleonische Verwaltungsorganisation ruhte auf zwei Grundpfeilern: auf der Gliederung des Staatsgebiets in Departements, 1790 von der verfassunggebenden Versammlung eingeführt, und auf dem Präfektenamt, 1810 von Bonaparte geschaffen und von ihm, wie der Kaiser in seinen Erinnerungen schreibt, als eine Art' „Kaiser im Kleinformat“ gedacht.
Diese beiden Institutionen aufzugeben, käme einer regelrechten Revolution gleich, zu der anscheinend auch^ die neue Mehrheit nicht bereit ist: die Präfekten werden zwar weitgehend entmachtet, das Departement hingegen erlebt einen ungeahnten Aufschwung.
Man sollte meinen, speziell im Elsaß müsse über die geplanten einschneidenden Reformen eitel Freude und Begeisterung herrschen. Das ist, wenigstens augenblicklich, mitnichten der Fall.
Ferienzeit und wachsende Sorgen um die materielle Zukunft mögen bewirken, daß die breiten Massen der Bevölkerung für solch theoretische Auseinandersetzungen wenig Teilnahme aufbringen. Doch auch von Seiten der Gewählten war das Echo sehr gedämpft. Zurückhaltung scheint allgemeine Parole zu sein.
Verständlich. Einmal fehlt bis zur Debatte über die Region ein wesentliches Element zu einer Urteilsbildung. Und sodann: wer wollte erwarten, daß dieselben Leute, die jahrzehntelang über das Abfassen von mehr oder weniger ernst gemeinten Wunschanträgen nicht hinausgekommen sind, nun freudig mitmachten, da der Gegner die Sache wo nicht unbedingt in Ordnung, doch immerhin in Bewegung bringt?
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