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THEATER OHNE BÜHNE

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Unter den mannigfaltigen Programmformen des Fernsehens gibt es eine, die weit vor allen anderen dazu ausersehen ist, zu manifestieren, daß das Fernsehen Träger einer eigenständigen Kunstform ist: das Fernsehspiel; das Fernsehspiel als eine mit den Mitteln und Möglichkeiten des Fernsehens gestaltete Form der darstellenden Kunst.

Um ganz deutlich zu sein: Nicht von Theaterübertragungen ist die Rede und nicht von Filmen, auch wenn sie vom Fernsehen produziert wurden, sondern von jener dramatisch-darstellerischen Ausdrucksform, die eigens für das Fernsehen geschaffen und im Fernsehstudio durch Zusammenwirken von Mensch und Technik gestaltet ward, und die erst über den Bildschirm — und allein über ihn — die beabsichtigte Wirkung auf den Zu schauer ausübt. .

Man muß sich darüber im klaren sein, daß diese ideale Form des Fernsehspiels noch kaum existiert. Hier stehen wir erst am Anfang einer Entwicklung, die durch vielerlei Einflüsse immer wieder gehemmt und gestört wird.

Es ist vor allem die in raschem Fluß befindliche technische Entwicklung des Mediums Fernsehen selbst, die laufend neue Gesichtspunkte und Aspekte hervorbringt. Kaum hatte man die Bedeutung und das Wesen der Livesendung für das Gebiet des Fernsehspiels erahnt — um zu festen, fundierten Erkenntnissen zu gelangen, war die Zeit noch viel zu kurz — bescherte uns die Technik die Bandaufzeichnung, die den Wert aller bisherigen Überlegungen in Frage zu stellen schien.

Will das Fernsehen seiner künstlerisch-kulturellen Aufgabe nachkommen, so ist sein Bedarf an Fernsehspielen außerordentlich groß. Es kann, jedenfalls zur Zeit, gar nicht erwartet werden, daß Originalfernsehspiele in der notwendigen Anzahl und in dem erforderlichen kontinuierlichen Fluß entstehen; (wieso ihre Zahl jedoch so verhältnismäßig gering ist, darüber wird noch zu sprechen sein). Also wird alles, was nur irgendwie in diesem Sinne faßbar ist, als Fernsehspiel bearbeitet oder jedenfalls als solches ausgegeben: Theaterstücke, Hörspiele, Romane, Novellen ...

Bei dieser Sachlage nimmt es nicht wunder, daß wir über die Wesensmerkmale des echten Fernsehspiels noch recht wenig wissen. Erste, von Theoretikern gewonnene Erkenntnisse werden von den Praktikern gerne negiert, und diese wiederum nehmen sich nur selten Zeit, grundsätzliche Fragen zu untersuchen. Daß es eine eigenständige dramatische Ausdrucksform des Fernsehens, eben das Fernsehspiel, gibt, wird heute kaum mehr bezweifelt. Die Existenz einer solchen Fernsehkunst wird auch durch einige — wenige — Beispiele deutlich belegt.

Der Autor eines Fernsehspiels muß natürlich die technischen Gegebenheiten des Fernsehens sehr genau kennen. Schließlich muß jeder Künstler mit den Eigenschaften und Eigengesetzlichkeiten des Materials, dessen er sich bedient, vertraut sein. Das heißt nun nicht, wie in fälschlicher Auslegung dieser Forderung schon formuliert wurde, daß der Autor sein Stück sozusagen der Apparatur auf den Leib schreiben müsse, aber er muß doch um die Mittel, die ihm zur Verfügung stehen, wissen, soll er sie souverän beherrschen. Dazu gehört auch, die Grenzen zu erkennen, die dem Fernsehspiel durch das Medium selbst gesteckt sind, Grenzen, die analog auch in jeder anderen Kunstform zu finden sind.

In Zusammenhang damit ist für Wirkung und Bedeutung des Fernsehspiels allein schon die Stoffwahl sehr wesentlich. Man muß darin keineswegs eine Einschränkung sehen. Gerade durch seine Eigeiigesetzlicnkeiten stehen dem Fernsehspiel große Bereiche offen, für die sich andere dramatische Ausdrucksformen als nicht sehr adäquat erweisen.

Während sich Theater und Film stets an eine große Zuschauergemeinschaft wenden, muß das Fernsehen immer den einzelnen, jedenfalls aber die kleine Menschengruppe vor dem Empfänger ansprechen. Durch die bevorzugte Verwendung der Großaufnahme kann es anderseits zu intimeren Wirkungen gelangen als Film und Theater. Beides zusammen führt zwangsläufig dazu, daß in den Mittelpunkt des Fernsehspiels der Mensch rückt, der durchschnittliche heutige Mensch mit seinen alltäglichen Problemen, mit seiner kurzen, knappen Sprache, der Mensch, mit dem sich der Zuschauer identifiziert, in dessen Situationen und Konflikte er sich einfühlen kann. Und wie sich in unserem Jahrhundert die echten Auseinandersetzungen vom Dialog zwischen zwei Menschen immer mehr in das Innere des einzelnen verlagert haben, so bietet gerade das Fernsehen wie keine andere dramarische Form hervorragende Möglichkeiten, dem „inneren Monolog“ Ausdruck zu verleihen.

Hier liegt noch ein gewaltiges Feld brach, und was bisher geschehen ist, sind erste, tastende Versuche. Daß sich so wenige Autoren des echten Fernsehspiels annehmen, mag seine Ursache, zum Teil wenigstens, in der anfangs geschilderten UnSicherheit, in der Unkenntnis der Möglichkeiten und Mittel und in der dadurch bedingten mangelnden Vertrautheit mit dem Medium Fernsehen haben. Dabei ist die Scheu vor „Regeln für Fernsehautoren“, wie sie etwa die englische Programmgesellschaft „Associated Rediffusion“ in ganz ausgezeichneter Form herausgegeben hat, durchaus unbegründet. Auch für das Theater wurden solche Regeln aufgestellt, und es bleibt allein dem Genie vorbehalten, sie mit Erfolg zu mißachten.

Doch auch wenn die Autoren die Möglichkeiten des Fernsehspiels einmal erkannt haben und sich seiner in entsprechend starkem Maße bedienen werden, wird damit der Bedarf des Fernsehens noch lange nicht gedeckt sein. Man wird also weiterhin auf die Bearbeitung geeigneter Theaterstücke oder anderer Literaturformen nicht verzichten können. Aber auch dabei wird es noch erheblicher geistiger Anstrengungen bedürfen, wenn wirklich den Forderungen des Fernsehens entsprechende Bearbeitungen — also Bearbeitungen auf das echte Fernsehspiel hin — geschaffen werden sollen.

Daß man hier dem Experiment breiten Raum geben muß, braucht in einer Zeit, in der keine Kunstform mehr auf das-Experiment verzichten kann, wohl kaum erwähnt zu werden.

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