Polizei - © Foto: Pixabay

Joachim Kersten: „Die Polizei als Feind“

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Kriminalsoziologe Joachim Kersten über den fehlenden Dialog zwischen Glaubensgemeinschaften und der Exekutive, wertkonservative Beamte und warum es eine neutrale Beschwerdestelle braucht.

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Kriminalsoziologe Joachim Kersten über den fehlenden Dialog zwischen Glaubensgemeinschaften und der Exekutive, wertkonservative Beamte und warum es eine neutrale Beschwerdestelle braucht.

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Der gewaltsame Tod des Afroamerikaners George Floyd löste weltweit eine Debatte über rassistisch motivierte Polizeigewalt aus. Auch in Ländern wie Österreich oder Deutschland muss sich die Polizei den Vorwurf des strukturellen Rassismus gefallen lassen. Wie berechtigt sind diese Anschuldigungen? Ein FURCHE-Gespräch mit Joachim Kersten von der Deutschen Hochschule der Polizei.

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DIE FURCHE: Die Polizei hat den Ruf, von ihrer politischen Einstellung her eher rechts zu stehen. Wird sie dem gerecht?
Joachim Kersten: Darauf gibt es nicht nur eine Antwort. Sagen wir es so: Diejenigen, die den Polizeiberuf ergreifen, sind eher wertkonservativ. Wertkonservativ heißt nicht rechts. Umgekehrt sind mit Sicherheit Linksradikale innerhalb des Polizeiapparates eher rar oder gar nicht zu finden.

DIE FURCHE: Was verstehen Sie unter dem Begriff wertkonservativ?
Kersten: Man beruft sich auf traditionelle Werte wie Ordnung und Familie. Sich ordentlich verhalten, um das geht es. Das Gegenteil von wertkonservativ bedeutete, das in Frage zu stellen. Etwa, wie es die Hippies der 1968er-Generation getan haben. Ein solcher Typus ist bei der Polizei mit Sicherheit nicht zu finden.

DIE FURCHE: Gilt das nur für die Polizei in Deutschland und Österreich oder auch im internationalen Kontext?
Kersten: Für alle Länder zu sprechen, wäre zu gewagt. Was stimmt ist, dass die wertkonservative Haltung der Exekutive in vielen modernen Staaten zu beobachten ist. Etwa in den Vereinigten Staaten, wo die Mehrheitspolizei weiß und nur ein geringer Prozentsatz afroamerikanisch ist. Ich streite aber auch nicht ab, dass durch die Konfrontation mit schwierigen Arbeitssituationen eine extreme Haltung entstehen kann. Das wiederum kann zur Akzeptanz von rechten politischen Einstellungen führen. Eine Entwicklung, die sich in den vergangenen Jahren verstärkt hat.

DIE FURCHE: Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?
Kersten: Die Gefahr, dass sich negative Erfahrungen mit bestimmten Minderheiten verdichten, ist vor allem in Städten groß. Das mündet dann in stereotype Wahrnehmungsmuster.

DIE FURCHE: Jeder angehende Polizist muss sich mit der Polizeiethik auseinandersetzen. Da geht es um Verhaltensstandards, die sich an den UN-Menschenrechten orientieren. Fruchtet dieser Bereich der Ausbildung nicht genug?
Kersten: Auf Provokationen richtig zu reagieren, das müsste man interaktiv trainieren. Etwa via Rollenspiel. Das kann man in der Theorie nicht lernen. Da herrscht in der Tat Nachholbedarf. Das andere Feld, das innerhalb der Ausbildung vernachlässigt worden ist, zumindest in den vergangenen 25 Jahren, ist das der interkulturellen Kommunikation. Gerade in der Flüchtlingskrise hätte es Polizisten in ganz Europa gut getan, wenn sie in diesem Bereich geschulter gewesen wären. Diesem Feld würde ich einen größeren Stellenwert geben. Das würde dazu führen, dass die Uniformierten auf Provokationen souveräner reagieren würden.

DIE FURCHE: Kriminalisieren Sie Geflüchtete von vorneherein?
Kersten: Nein, das tue ich nicht. Jedoch stellen bestimmte kulturelle Prägungen der Flüchtlinge für Polizisten eine Herausforderung dar, die vorab besser trainiert werden müssten. Aufgrund der Lebensverhältnisse und der sozialen Bedingungen steigt die Wahrscheinlichkeit, dass in einschlägigen Unterkünften die Polizei gerufen wird.

DIE FURCHE: Gewaltkonflikte gibt es auch bei österreichischen oder deutschen Staatsbürgern.
Kersten: Ich spiele eher auf die Auseinandersetzungen an, wo sich etwa unterschiedliche Ethnien gegenseitig bekämpfen. Das kann ziemlich gewalttätig ablaufen. Und in den Vierteln, in denen wir eine starke Konzentration von Zuwanderern haben, hat die Polizei auch mehr zu tun. Etwa, weil es dort im Bereich von häuslicher Gewalt mehr wahrnehmbare und zum Teil auch messbare Problematiken gibt, die mit dem Männlichkeitsverständnis der Zugewanderten zu tun haben.

DIE FURCHE: Und das rechtfertigt, dass Polizisten nach rechts driften?
Kersten: Natürlich nicht. Aber was schon stimmt, ist, dass viele Zuwanderer die Polizei als Feind betrachten und sich dementsprechend verhalten. Nicht selten werden in den Großstädten Rettungskräfte von Gruppen aufgebrachter junger Männer attackiert. Respekt ist keine Einbahnstraße.

DIE FURCHE: Was werfen Sie den von Ihnen angesprochenen Minderheiten vor?
Kersten: Dass sie der Polizei nicht genügend Achtung und Wertschätzung entgegenbringen. Die Polizei wehrt Gefahren ab, dient den Bürgern. Sie hat in Europa eine andere Rolle, als das vielleicht in manchen Herkunftsländern der Fall war. Im Übrigen nehme ich da auch die jeweiligen Glaubensgemeinschaften in die Pflicht.

DIE FURCHE: Inwiefern?
Kersten: Religiös aktive Menschen, die sich mit den Flüchtlingen beschäftigen, sollten in dieser Hinsicht mehr Aufklärungsarbeit leisten. In den Glaubensgemeinschaften sollte ein Grundwissen über die Polizei und ihre Tätigkeiten vorhanden sein. Geistliche Gelehrte und Vorsteher müssten sich damit befassen, sich dafür interessieren. Ich habe den Eindruck, dass der Wille fehlt, gewisse Vorurteile zu entkräften. Die Vorwürfe des strukturellen Rassismus innerhalb der Polizei sind kontraproduktiv.

DIE FURCHE: Sie streiten ab, dass sich die Polizei dem Problem des strukturellen Rassismus stellen muss?
Kersten: In Deutschland wie in Österreich ist das eine Pauschalverurteilung.

DIE FURCHE: Gilt das in Ihren Augen auch für die US-amerikanische Polizei?
Kersten: Ja. Der Vorwurf ist ungerecht. Während wir hier sprechen, werden in den Vereinigten Staaten Frauen vor ihren schlagenden Ehemännern geschützt, es werden verlorene Kinder gefunden, es werden Verbrechen aufgeklärt und geistig Verwirrte zum Arzt gebracht. Wenn man von strukturellem Rassismus spricht, macht man das alles platt. Ich spreche lieber von Individuen, Kräften, manchmal auch Netzwerken, die innerhalb der Polizei menschenverachtende Haltungen vertreten. Das gibt es bei uns und noch in viel stärkerem Maße in den USA. Doch auch dort gehen weiße Polizisten nun auf die Straße und rufen laut: „I can’t breathe.“

Einer ganzen Institution struktuellen Rassismus vorzuwerfen, ist falsch. Der Vorwurf ist ungerecht. Während wir hier sprechen, werden dort Verbrechen aufgeklärt.

Joachim Kersten

DIE FURCHE: Das eine schließt das andere nicht aus. Die Ungleichbehandlung der Schwarzen in den USA seitens der Polizei ist unwiderlegbar.
Kersten: Gerade deshalb begehren weiße Polizisten auf. Sie haben es satt, mit dem Rassismuslabel leben zu müssen. Sie wollen, dass endlich etwas geändert wird. Und zwar gesamtgesellschaftlich. Die USA haben ein historisch strukturelles Problem im Umgang mit Afroamerikanern seit der Sklaverei. Die Deutschen wiederum haben ein strukturelles Problem, da zwischen 1933 und 1945 die Polizei Massenmorde organisiert und von Hand durchgeführt hat. Nach der Machtübernahme der Nazis waren auch die Österreicher daran beteiligt. Untersuchungen haben gezeigt, dass Altnazis bis in die 1970er Jahre hinein starken Einfluss innerhalb von staatlichen Institutionen hatten. Hier wie dort. Obwohl sich das geändert hat, ist das Gedankengut trotzdem nicht ganz weg.

DIE FURCHE: Wenn Sie es ablehnen, von strukturellen Problemen innerhalb der Polizei zu sprechen, stimmen Sie der These zu, dass sich in ihr gesellschaftliche Probleme widerspiegeln?
Kersten: Ich störe mich am Wort widerspiegeln. Aber ja. Die Probleme sind zumindest subkutan oder unbewusst da. Aber ich bleibe dabei: Einer ganzen Institution wie der Polizei einen strukturellen Rassismus vorzuwerfen, ist falsch.

Kersten - © Foto: Deutsche Hochschule der Polizei

Joachim Kersten

Der Soziologe Joachim Kersten betreut internationale Forschungsprojekte zur Polizeiausbildung und ist Gastprofessor an der Hochschule für Polizei in Münster.

Der Soziologe Joachim Kersten betreut internationale Forschungsprojekte zur Polizeiausbildung und ist Gastprofessor an der Hochschule für Polizei in Münster.

DIE FURCHE: Wie würden Sie es dann bezeichnen?
Kersten: Unbestritten hat es in den USA Tradition, dass die weiße Mehrheitspolizei Afroamerikaner diskriminiert. Das resultiert aus einem Problem, das die ganze US-Gesellschaft betrifft. Es gibt Gegenden, in denen vermehrt Schwarze wohnen, da wird automatisch die Zentralverriegelung aktiviert, wenn man an der roten Ampel stehen bleibt. Dieser Unterschied schwarz-weiß, arm versus reich, gebildet versus ungebildet, der sitzt tief im Alltagsverhalten und in der Psyche der Menschen. Und wenn man da nicht rangehen will, dann wird man sich schwer tun, das über die Polizei hinzukriegen. Gleichzeitig zeigen die landesweiten Demonstrationen, dass ein Unrechtsempfinden da ist. Viele Weiße sehen ihr Selbstverständnis von der eigenen Kultur beschädigt, sie schämen sich.

DIE FURCHE: Der Wille „ranzugehen“, wie lässt sich der aktivieren?
Kersten: Ich halte viel von einer unabhängigen Polizeiaufsicht. Die Beamten brauchen eine Institution, zu der sie gehen können, um sich neutral zu besprechen. Sie wollen nicht immer gleich den Dienstvorgesetzten miteinbeziehen.

DIE FURCHE: Wie bewerten Sie die vom Innenministerium geplante Beschwerdestelle, die bei Bedarf die Verhältnismäßigkeit von Polizeieinsätzen prüfen wird?
Kersten: Solche Einrichtungen sollen vor allem dazu dienen, dass sich Bürger dahin wenden können, die sich von Polizisten schlecht behandelt fühlen. Wichtig ist, dass die Stelle auch eine Ansprechmöglichkeit für die Beamten selbst ist.

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