Warum ist Seiendes... - ... und nicht vielmehr Nichts? Diese Frage hat Karl Wucherer-Huldenfeld stets umgetrieben. Seine Antwort und Grunderfahrung: "Es ist nämlich Sein." - © Johannes Kaup

Denn Denken ist Danken: Zum 90. Geburtstag von Augustinus Karl Wucherer-Huldenfeld

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Metaphysische Tiefe - und Schärfe für das Erkennen der Zeichen der Zeit: Zum 90er des Philosophen, Theologen, begnadeten Lehrers und früheren Professor an der Universität Wien.

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Metaphysische Tiefe - und Schärfe für das Erkennen der Zeichen der Zeit: Zum 90er des Philosophen, Theologen, begnadeten Lehrers und früheren Professor an der Universität Wien.

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Er ist ein stiller, öffentlichkeitsscheuer, aber gleichzeitig ein gründlicher und nachhaltig wirkender christlicher Denker: Der am 30. Juni 1929 im steirischen Gleinstetten geborene Philosoph und Theologe Karl Wucherer-Huldenfeld.

Von 1974 bis 1997 lehrte er als Professor für christliche Philosophie und Mystik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. Mit seinem lebensnahen existenziellen Denken befruchtete er mehrere Generationen Studierender aus den Bereichen Philosophie, Theologie, Medizin und Psychotherapie.

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Philosophie ist für ihn Lebenspraxis. Er ist ein phänomenologisch-hermeneutischer Denker. Die, die ihn kennenlernen durften, schwärmen noch heute von "Kawu" - so sein Spitzname. Zwei Stunden lang schritt er als peripatetischer Philosoph auf dem Podium des prallvollen Hörsaals 47 hin und her. Aus dem Stegreif zog er seine Zuhörerschaft in den Bann der tiefsten metaphysischen Fragen. Heute noch schreibt er im Alter von 90 Jahren am dritten Band seines Monumentalwerks "Philosophische Theologie im Umbruch". Jeden Samstagabend feiert er in der Wiener Pfarrkirche St. Josef zu Margareten die Eucharistie, wo er vor einer gebannten Zuhörerschaft predigt.

Christentum als "induziertes Irresein"?

Die Wurzeln seines Interesses an der philosophischen Durchdringung des Glaubens liegen in der dunklen Epoche, in der die Nationalsozialisten die Herrschaft übernahmen. Seine Mutter Rosa zu Salm-Reifferscheidt und seine Tante Maya Wucherer waren glühende Reformkatholikinnen. Zu seinem Vater, Otto Reichsfreiherr Wucherer von Huldenfeld, hatte er ein spannungsgeladenes Verhältnis.

Der Vater, ein hochrangiges NSDAP-Mitglied und überzeugter Atheist, offenbart ihm und seiner gläubigen Mutter schon vor Kriegsausbruch die Ziele der Partei: "Zuerst kommen die Juden dran. Dann kommt ihr Katholiken. Aber euch brauchen wir noch für den Krieg." Der neunjährige Karl kann das in der ganzen Tragweite noch nicht erfassen, spürt aber instinktiv die Ungeheuerlichkeit des von seinem Vater Gesagten. Der Schock sitzt tief. Mitten durch die Familie tut sich zwischen nationalsozialistischer Ideologie und dem katholischen Glauben ein tiefer unüberbrückbarer Graben auf.

Im Alter von 14 Jahren gründet Karl Wucherer eine kleine Widerstandsgruppe. Mit seinem Jugendfreund, dem späteren Dirigenten Nikolaus Harnoncourt, verfasst er Widerstandsschriften. Von völlig betrunkenen SA-Wachmannschaften stehlen die beiden Panzerabwehrgranaten und konstruieren eine Handgranatenschleuder, die zunächst mit Äpfeln erfolgreich getestet wird. Heute ist Wucherer froh, dass es nicht dazu kam, das geheim gebunkerte Waffenarsenal einzusetzen. Er wäre garantiert nicht mehr am Leben.

Eine zweite Auseinandersetzung mit seinem Vater erschüttert ihn so sehr, dass er das Gefühl hat, ihm sei gerade der Boden unter den Füßen weggezogen worden. Der Vater hatte das Christentum als "induziertes Irresein", als bodenlose Illusion bezeichnet. Das väterliche Urteil ist für den Sohn wie ein Schlag in die Magengrube. Doch bereits am nächsten Tag entdeckt er seine Frage: Warum ist überhaupt etwas und nicht nichts? -"Die Antwort, die mir kam, ließ mich zu Boden stürzen", erinnert sich Wucherer-Huldenfeld. "Die Antwort war: 'Es ist nämlich Sein.' Ich hatte unmittelbar das Gefühl, dass ich etwas Wunderbares, Unfassliches und Abgründiges erfahren habe. Das war meine unerschütterliche Grunderfahrung."

Schärfe für das Erkennen der Zeichen der Zeit

An dieser kleinen Episode aus den Jugendjahren lässt sich eines zeigen: Die Erfahrung des späteren Philosophen hat sowohl metaphysische Tiefe, als auch eine nüchtern-realistische Schärfe für das Erkennen der Zeichen der Zeit. Für Wucherer-Huldenfeld wächst das Denken aus der konkreten Lebenswelt. Sie wächst aus der Grunderfahrung, dass dem Menschen Sein und Zeit gegeben ist, dass das menschliche Dasein also gegeben, geschenkt und verdankt ist. Noch hat er niemanden, mit dem er darüber reden kann. Aber bald entdeckt er, dass ein gewisser Martin Heidegger dieselbe Frage hatte wie er selbst. Und nach dem Krieg wird er sich als junger Student - illegal und abenteuerlich - zu Fuß durch die Besatzungszonen bewegen, um in Deutschland den großen Seinsphilosophen zu hören.

Der christliche Glaube setzt voraus, dass sich eine persönliche Gotteserkenntnis in tiefer Dankbarkeit schon im Menschen ereignet hat.

Augustinus Karl Wucherer-Huldenfeld

In der Antwort "Es ist nämlich Sein" ist auch sein Lebensmotiv verborgen. Denken wird für ihn zum Danken. Denn das menschliche Dasein entspringt -wie er sagt - einer Quelle, die man zwar nicht sehen, fassen und kontrollieren kann, aber deren Gegenwart sich dennoch abgründig bekundet. Auch das von seinem Vater als Illusion infrage gestellte Christentum ist für ihn kein Problem mehr. Auf dem Boden der Seinserfahrung findet er sich als junger Philosoph gut darin zurecht.

Allerdings wird ihm dadurch später auch klar werden, wodurch der christliche Glaube vielerorts entstellt und verschüttet worden ist. Und Wucherer-Huldenfeld macht es sich zur denkerischen Lebensaufgabe, die Verfallsformen des Christlichen durch einen Rückgang auf die existenzielle Selbsterfahrung zu überwinden. Denn er ist überzeugt davon, dass nur so der religiöse Glaube ein unerschütterliches Fundament haben kann, der über den Verdacht einer infantilen Jenseits-Vertröstung erhaben ist.

"Der christliche Glaube setzt voraus, dass sich eine persönliche Gotteserkenntnis in tiefer Dankbarkeit schon im Menschen ereignet hat. Ohne diese dankbare Gotteserkenntnis hat der christliche Glauben keine Nahrung, keinen Boden und hängt in der Luft." Mit diesen Worten verweist Wucherer-Huldenfeld auf die spirituelle Krise, in der das westliche Christentum steckt, das zusätzlich von einer atheisierenden Öffentlichkeit als eine Ideologie des schlechten Gewissens verkannt wird: "Es gibt keinen Weg zu Gott als über die Schöpfung. Genau das ist mir aufgegangen mit dem Wunder -wie Heidegger sagt: 'Das größte aller Wunder ist, dass Seiendes ist und nicht Nichts ist.'"

Diese Erfahrung und die daraus resultierende dankbare Lebenshaltung verbindet nach Wucherers Überzeugung übrigens alle Religionen, selbst dann, wenn -wie bei den Buddhisten -Gott nicht benannt wird. Die Erfahrung des Lebens als eines ständigen Geschenks, eines Gewürdigtseins von Anfang an, ist für ihn das christliche Kontrastprogramm zu einer neurotischen Sündenfrömmigkeit, die fälschlicherweise für christlich gehalten wird.

Christlich leben heißt pfingstlich leben

Nach dem Zweiten Weltkrieg studiert Karl Wucherer-Huldenfeld Philosophie, Psychologie und Ethnologie. Er verlobt sich als junger Mann, und er löst die Verbindung wieder auf. 1956 tritt er im Alter von 27 Jahren in das Stift Geras in den Prämonstratenser-Orden ein. Dort nimmt er den Ordensnamen Augustinus an. Sein Theologiestudium absolviert er zum größten Teil in Innsbruck.

Im selben Jahr wird er vom berühmten Psychologen Igor Caruso als Mitglied in den Wiener Arbeitskreis für Tiefenpsychologie geholt. Wucherer hatte sich damals schon als ausgewiesener Kenner der philosophischen Grundlagen im Denken Sigmund Freuds einen Namen gemacht. Mit seinem Freund, dem Psychologen Sepp Schindler, forscht er über die vorgeburtlichen Anfänge der Individuation des Menschen. In der Philosophie gilt Wucherer als ein ausgewiesener Fachmann für Sigmund Freud, Karl Marx, Ludwig Feuerbach, Ferdinand Ebner und vor allem für Martin Heidegger, dessen Seinsdenken er für die philosophische Theologie fruchtbar macht. Am Österreichischen Daseinsanalytischen Institut für Psychotherapie, Psychosomatik und Grundlagenforschung, dessen Vizepräsident er wird, leitet er für viele Jahre die philosophische Ausbildung.

Christlich zu leben, bedeutet für Augustinus Karl Wucherer-Huldenfeld, pfingstlich zu leben. Das, was manchen zu fromm klingen mag, meint etwas Schlichtes: "Man kann sich nämlich durch Sammlung jeden Augenblick immer wieder neu in die lebendige Erfahrung der stillen Anwesenheit Gottes zurückrufen lassen." Das ist der Boden der Dankbarkeit, aus der die Freude erwächst, in Verbundenheit mit der ganzen Schöpfung zu existieren. Und darum ist Denken Danken. Wenn er noch einen Wunsch zum 90. Geburtstag frei hätte, dann wäre es dieser: Dass sein Alterswerk "Philosophische Theologie im Umbruch" von zeitgenössischen Philosophen und Theologen gelesen und rezipiert wird. Hier findet sich jedenfalls die reife Frucht eines Denkens, die es wie einen versunkenen Schatz noch zu heben gilt.

Johannes Kaup

Der Autor ist Religionsjournalist beim ORF-Hörfunk

Philosophische Theologie im Umbruch - © Böhlau Verlag
© Böhlau Verlag
Buch

Philosophische Theologie im Umbruch

Von Augustinus Karl Wucherer-Huldenfeld
3 Bände, Böhlau Verlag Wien

Radio

Wach auf, du tote Christenheit

Hörtipp: „Wach auf, du tote Christenheit"
Weckrufe des Philosophen Augustinus Wucherer-Huldenfeld zu seinem 90. Geburtstag.
In: Logos – Glauben und Zweifeln.
Sa., 29. Juni, 19.05 Uhr, ORF Radio Ö1

Vortrag

Wach auf, du tote Christenheit! Zur Spiritualität der Laien. Eine biblische Antwort auf die Verwesung der Volkskirche

Vortragstipp: „Wach auf, du tote Christenheit! Zur Spiritualität der Laien. Eine biblische Antwort auf die Verwesung der Volkskirche“
Vortrag von em. Univ.-Prof. Dr. Augustinus Wucherer-Huldenfeld O.Praem.
So., 30. Juni 2019, 17 Uhr,
Pfarrkirche St. Josef zu Margareten, Schönbrunner Straße 52, 1050 Wien.

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