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Der Dichter der Humanität

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Vnm*t tfichter hatten dem Stockholmer Komitee vorgeschlagen, Hermann Broch den diesjährigen Nobelpreis für Literatur zu verleihen. Damit wurde er als der bedeutendste lebende österreichische Epiker anerkannt. Das Komitee entschied jedoch anders, obwohl Brochs ethische, humanitäre, ja pazifistische Strebungen in reinstem Einklang mit den Nobelpreisstatuten stehen. Man denke bloß an seinen Aufsatz .Trotzdem: Humane Politik“, der selbst wieder nur eine simplifizierte Vorarbeit für die auf drei starke Bände angelegte „Massenpsychologie“ ist, die er, wie alles, was er tut, erkenntnistheoretisch unterbaut und metapolitisch ausrichtet.

Der Essay „Das Böse im Wertsystem der Kunst“ postuliert für alle Kunst das Wertziel, die immanente ethische Forderung, im handwerklichen Sinn „gut“ zu arbeiten, nicht „schön“ zu schaffen, was unweigerlich zum Kitsch führen müsse.

Wohl weiß Broch, daß die einzelnen Wertgebiete, die sich in der Scholastik dem christlichen Zentralwert unterzuordnen hatten, mit der Renaissance und der Reformation autonom geworden waren („Logik einer zerfallenden Welt“) — aber er gibt die Hoffnung nicht auf, daß ein neues übergeordnetes Wertestem den Kampf der einander zerfleischenden Einzelwertgebiete wieder in sich aufnehmen und befrieden wird. Er glaubt (in seinem großangelegten Versuch über James Joyce), daß in jedem Wertzerfall die Kraft zur Umbildung in eine neue Ordnung liegt, der Keim zu einer neuen religiösen Ordnung des Menschen; daß am Ende der Wertvernichtung der neue Mythos sichtbar wird (etwa bei Kafka). Ob es dazu komme oder nicht, Dichtung steht für ihn jenseits von Optimismus und Pessimismus, ihr Vorhandensein allein ist ihm schon ethischer Optimismus.

„Aus unserer bittersten und schwersten Finsternis tönt die Stimme des Trostes und der Hoffnung und der unmittelbaren Güte: ,Tu dir kein Leid! Denn wir sind alle noch hierr

Und so kreist schließlich auch die symphonische Dichtung „Der Tod-des Vergil“ (1945, Guggenheim-Preis, Stipendium der Rodce-feller-Stiftung) urri den Zentralwert der Liebe. Der sterbende Vergil will die „Aeneis“ verbrennen, weil er das Fragwürdige aller Kunst erkennt. Der Caesar Augustus tut alles, um ihn von diesem Vorhaben abzubringen, denn er hatte ja die Dichtung als Verklärung seines

Lebenswerkes selber angeregt. Hundert Seiten des riesigen Buches füllt allein diese Auseinandersetzung. Dann tritt das Wunder ein, die metaphysische, nicht etwa bloß psychologische Wende: aus dem Opfer des Verzichts auf sein Werk wird ein Verzicht Vergils auf das Opfeii er bricht aus seiner Verkerkerung aus, denn .immerzu durchbricht Liebe die eigenen Grenzen“ s Vergil folgt der Eingebung seines Herzens, verzichtet auf die Vernichtung der „Aeneds“ und macht sie dem Augustus zum Geschenk.

Wer Broch kennt, der weiß, daß er sich von seiner .Pflichtneurose“, wie er es selbst nennt, auch in Zukunft kein Jota abhandeln lassen wird. Auch für ihn gibt es natürlich zu Zeiten Verzweiflung, wenn er erkennen muß, „daß sich zwei aufeinanderkrachende Lokomotiven mit einem Blatt Papier nicht aufhalten lassen“, „daß selbst philosophische Themen zur Politik in einer Epoche vollkommen obsolet werden,'da es nur noch um ganz primitive Machtbelange geht“. (Aus einem Brief.) Aber „wenn man schon einmal in solche Lage geraten ist, hat man nur noch Aufgaben“: eben trotz allem: „Humane Politik!“ — mit dem Ziel „totalitärer Humanität“, in der es nicht mehr bloß ein demokratisches „Bill of Rights“, sondern zum Schutz der Menschenwürde ein mit Strafsanktionen versehenes „Bill of Duties“ geben müsse. „Ich halte die Vorstellung nicht aus“, heißt es in einem anderen seiner Briefe aus der letzten Zeit, „daß ich die Welt undurchschaut zurücklassen soll“ — undurchschaut, also un-geformt, nicht umgeformt. So arbeitet er 17 bis 18 Stunden täglich, schreibt an einer Erkenntnistheorie, an Büchern über die Grundlagen internationaler Erziehung, über die psychologische Unterbauung der Demokratie, über internationale Universitäten, so nebenbei auch an einem Band über Hofmannsthal, und an zwei Romanen: „Demeter“ und „Die Schuldlosen“, zum Erweise dessen, daß der Glaube des nun vierundsechzigjährigen „Neu-Gierigen“ unerschüttert ist. So unentwegtes Kämpfen für Menschlichkeit und Güte hätte wahrhaftig den Nobelpreis verdient — und daß er einem gebürtigen Österreicher zugefallen wäre, hätte die Symbolkraft solcher Geste in dieser Weltenstunde nur erhöht.

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