Der Professor als guter Hirte?

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Zum 80. Geburtstag Joseph Ratzingers am 16. April: Kirchenkritiker Horst Herrmann und Ratzinger-Schüler Vinzenz Pfnür urteilen über zwei Jahre Benedikt XVI.

Beide leben in der Nähe von Münster, beide waren Professoren der katholischen Theologie, beide haben an der Fakultät gelehrt, an der auch Papst Benedikt XVI. von 1962 bis 1966 Dogmatikprofessor war. Trotzdem könnten die Unterschiede zwischen ihnen kaum größer sein.

Horst Herrmann, früher Kirchenrechtler und später Soziologe an der Universität Münster, wurde wegen eines Buches gegen die Kirchensteuer 1975 als erstem Theologieprofessor in Deutschland die kirchliche Lehrbefugnis, die Missio canonica, entzogen. Sechs Jahre später trat der ehemalige Priester des Bistums Rottenburg-Stuttgart aus der Kirche aus und heiratete.

Vinzenz Pfnür, wie Herrmann inzwischen Emeritus der Universität Münster, ist Kirchenhistoriker und - zusammen mit Stephan Otto Horn - Sprecher des seit 1971 bestehenden Schülerkreises von Joseph Ratzinger, der engen Kontakt zu seinem ehemaligen Professor hält und einmal im Jahr zu einer gemeinsamen Tagung mit ihm zusammenkommt.

Bei so viel Gegensätzlichkeit verwundert es nicht, dass auch ihr Urteil über den bisher zweijährigen Pontifikat des deutschen Papstes sehr unterschiedlich ausfällt. "Der schwächste Papst seit über 100 Jahren", lautet die harte Bewertung des 1940 geborenen Horst Herrmann: "Er hätte als Konzilstheologe alle Chancen, etwas zu tun, aber er tut nichts. Er ist ein Zähl-und Übergangspapst." Ganz anders dagegen Pfnür, der die beiden ersten Jahre "als vollen Erfolg" wertet. Dadurch, dass die Menschen den Papst, den er als "persönlich demütig im besten Sinn des Wortes, gütig, offen, herzlich und humorvoll" bezeichnet, jetzt wieder häufiger persönlich erleben könnten, kämen die alten Schreckbilder nicht mehr an.

Ein neues Stimmungsbild

Einig sind die beiden sich allerdings über die Reaktionen in der deutschen Heimat Benedikts XVI. War man dort anfangs noch sehr zurückhaltend bis skeptisch, so hat sich das Stimmungsbild inzwischen fast völlig gewandelt: "Wir sind Papst" - diese Überschrift der Bild gibt die Einstellung gegenüber dem Landsmann auf dem Stuhl Petri wohl am treffendsten wieder. "Der deutsche Jubel überdeckt das, was eigentlich da ist", merkt Herrmann, der 2005 ein Buch über den neuen Papst veröffentlicht hat, kritisch an (Buchtipp unten). "Das restliche Europa ist nämlich gar nicht so begeistert, und auch im Vatikan selbst ist man nicht so zufrieden."

Besonders in Bayern werde geradezu "Papolatrie", also Papstanbetung, betrieben, fügt der Kirchenrechtler hinzu. Stets habe man zu Beginn des Pontifikates gehört, Benedikt sei für Überraschungen gut, "aber wo bleiben denn die Überraschungen? Er redet und redet, bleibt aber in seinem theologischen Zirkel gefangen." Entscheidende heiße Eisen wie die Geburtenkontrolle, den Diakonat der Frau oder das Verhältnis von Religion und Wissenschaft habe Ratzinger bisher nicht angepackt, bemängelt Herrmann. Seinem Vorgänger Johannes Paul II. seien die Herzen zugeflogen; Benedikt erreiche nur die Köpfe. Wojtyla habe Sport getrieben, Ratzinger dagegen sei der Mann der Aktentasche, der auf den Schreibtisch reduziert bleibe: kein Seelsorger und kein "guter Hirte", sondern ein hochgebildeter und begabter Intellektueller. Nach Herrmanns Auffassung aber sollte man keinen Professor zum Bischof und erst recht nicht zum Papst machen: "Das sind zwei verschiedene Berufungen." Benedikt sei auch kein Katechet, sondern höchstens Lehrer der Kirche, bediene dabei aber nur ein Segment des Katholizismus.

Für den Ratzinger-Schüler und-Mitarbeiter Pfnür dagegen, der seinen Professor in Freising, Bonn und Münster als "leuchtenden Stern der Theologie" erlebt hat, geht es dem Papst vor allem darum, dass das Christentum nicht eine Ansammlung von Verboten ist, sondern dem Menschen Sinn gibt. "Er betont das Positive und versteht es, den Glauben in einfacher Weise darzulegen", lobt Pfnür.

Viel oder nichts Neues?

Die bisher einzige Enzyklika des Papstes Deus caritas est wurde weltweit sehr gelobt. Für Pfnür, der bei Ratzinger promoviert und einige Bücher von ihm mitherausgegeben hat, zeigt das Lehrschreiben "den inneren roten Faden seiner Theologie", während Herrmann lapidar urteilt: Dass Gott die Liebe sei, habe man auch vorher schon gewusst; das sei überhaupt nichts Neues. Mehr Nähe gibt es zwischen den beiden Theologen bei der Bewertung der "Regensburger Rede": "Ich denke, dass er nicht gerechnet hat, dass er so falsch interpretiert wird und dass dies soviel Unheil auslösen würde. Anderseits ist es ihm gelungen, die Turbulenzen zu überwinden, und die Gesprächssituation mit dem Islam ist sicher besser als zuvor", erklärt der Sprecher des Schülerkreises. Herrmann kanzelt die Rede als "typisch professoralen Missgriff" eines Mannes ab, der zu diesem Zeitpunkt "noch nicht im Job" gewesen sei.

Was die Ökumene betrifft, so darf nach Ansicht Pfnürs der Blick nicht auf die zur Zeit schwierige Situation in Deutschland eingeengt werden. Im Unterschied zu Ländern mit einer gewachsenen lutherischen Identität wie in Skandinavien registriert der Kirchenhistoriker im deutschen Protestantismus eine Identitätskrise: Im Rahmen der Evangelischen Kirche in Deutschland sei die innerpotestantische Verschiedenheit oft so groß, dass "nicht-katholisch" als einzig Verbindendes übrig bleibe. Für den Papst biete aber gerade das Bekenntnis die gemeinsame Brücke mit anderen Konfessionen. Darüber hinaus habe er immer wieder betont, dass hinter unterschiedlichen theologischen Systemen fundamentale Gemeinsamkeiten in Spiritualität, Gottesdienst, praktischer Caritas und Glaubenszeugnis stehen. Herrmann sieht eine durchgehende Ablehnung der Protestanten durch den Papst, die er nicht als "Kirche" betrachte.

Wird der Papst der lateinischen Messe wieder den Vorzug geben? Kirchenkritiker Herrmann, der von sich selbst sagt, dass er einem lateinischen Hochamt viel abgewinnen kann und "im Latein lebe", ist sehr skeptisch: "Für Gottesdienste bei großen internationalen Kongressen ist das gut, für die Kirche bringt es aber null. Latein ist außerhalb des päpstlichen Dunstkreises eine tote Sprache." Auch in diesem Punkt vertritt Pfnür eine total konträre Meinung: "Ein Christentum, das erst mit dem II. Vatikanum beginnen würde, ist nicht zu halten." Für Ratzinger und seine Schüler sei das Konzil die Fortsetzung des Bemühens, wieder einen zuverlässigen Standort zu finden, für andere dagegen in erster Linie Relativierung festgefahrener Positionen. Pfnür: "Von daher kommt dann auch die Schublade der Ablehnung des Latein, manchmal verbunden mit einer überspitzten Ortskirchenideologie. Für den Papst geht es um die Universalität der Kirche." Christliche Identität begründe sich nicht in erster Linie von Nationalität und Nationalsprache her. Latein als nationalitätenübergreifende Sprache könne dies zeichenhaft in gemeinsamen lateinischen Kurzgebeten zum Ausdruck bringen. Herrmann jedoch bezweifelt, dass man dem rapiden Priester-und Gläubigenmangel ausgerechnet mit mehr Latein beikommen kann.

Und andere Konfessionen?

Aufsehen erregt hat in jüngster Zeit neben dem Plädoyer Benedikts fürs Latein die Maßregelung des Befreiungstheologen Jon Sobrino, für Herrmann Ausdruck einer Ratzinger'schen Obsession im Kampf gegen die Befreiungstheologie. Aus Pfnürs Sicht dagegen war es wichtig, marxistische Positionen in Teilen der Befreiungstheologie als unchristlich zu bekämpfen, etwa die Theorie vom Klassenkampf. "Was Sobrino betrifft, so geht es meines Erachtens um die Christologie, insbesondere um die Bedeutung der christologischen Entscheidungen der ersten Konzilien", erläutert der Ratzinger-Schüler. "Im Hintergrund steht ei-ne Frage, die nicht nur Sobrino betrifft: die so genannte Enthellenisierung des Christentums."

Ansätze zur Gemeinsamkeit zwischen den beiden so unterschiedlichen Theologen zeigen sich abschließend bei den Erwartungen an die nächsten Jahre dieses Pontifikates. "Ich hoffe, dass es ihm gelingt, die Kirchengemeinschaft zwischen Ost-und Westkirche wiederherzustellen und den Dialog zwischen den Religionen zu vertiefen", meint Vinzenz Pfnür. Herrmann sieht das ähnlich: Wenn der Katholizismus eine Überlebenschance haben wolle, dann müsse er sich mit anderen Konfessionen und Religionen zusammenschließen. "Gegen die Globalisierung des Unglaubens brauchen wir eine Bündelung des Gottglaubens, denn das Fortschreiten der Säkularisierung kann sonst nicht aufgehalten werden." Am Stellenwert des Petrusamtes oder am Zölibat, darin sind beide sich ausnahmsweise einig, werde Benedikt voraussichtlich nicht rütteln. Herrmann: "Er hat eine einmalige historische Chance, die wahren Probleme anzupacken, aber ich fürchte, dass er sie nicht nutzen wird."

Bücher von Vinzenz Pfnür bzw. Horst Herrmann zu und mit Joseph Ratzinger:

Weggemeinschaft des Glaubens

Kirche als Communio

Von Joseph Ratzinger. Hg. Stephan O. Horn, Vinzenz Pfnür. Sankt Ulrich Verlag, Augsburg, 2. Aufl. 2005, 325 Seiten, geb., € 18,90

Benedikt XVI.

Der neue Papst aus Deutschland.

Von Horst Herrmann. Aufbau-Verlag, Berlin 2005. 153 Seiten, kart., € 8,20

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