Die Sehnsucht nach Halt

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dieFurche: Sie sind Priester und Psychotherapeut. Wie eng gehören Religion und Angst für Sie zusammen?

Arnold Mettnitzer: Angst ist ein Frühwarnsystem des Körpers, damit man unter seelischer und körperlicher Gespanntheit Gefahren rechtzeitig erkennt und Gegenmaßnahmen einleitet.

In Verbindung mit Religion ist Angst eine nüchterne Einschätzung der nicht in den Griff zu bekommenden Wirklichkeit. In Zusammenhang mit der Frage nach dem Sinn des Lebens muß sich der Mensch eingestehen, daß er diese Richtungen nicht in der Hand hat. Hier ist die Erfahrung von Angst, religiös betrachtet, verbunden mit der Sehnsucht nach einem Halt. Religion ist dort greif-, erleb- und spürbar, wo sie diese Angst vertreiben kann. Es ist eine psychotherapeutisch relevante Aussage im Neuen Testament, wenn Jesus den Jüngern fast vorwirft: "Warum habt ihr solche Angst?" Das heißt, im Neuen Testament scheint die erlebte Angst ein Zeichen von zu geringem Glauben zu sein. Wenn, scheint Jesus seinen Jüngern zu sagen, euer Glaube so groß wäre wie ihr tut, daß er ist, dann würdet ihr nicht solche Angst empfinden. Man kann auch sagen, daß die erlebte Angst ein Seismograph dafür ist, ob die Herzen der Menschen aus dem Lot gekommen sind.

dieFurche: Der Psychiater und Neurologe Friedrich Strian* hat geschrieben, daß jede schwere Angst letztlich eine Angst vor dem Tod sei. Kann man das so in diesem Satz zusammenfassen?

Mettnitzer: Ich denke, daß diesem Satz zuzustimmen ist, und er scheint mir nicht verkürzt zu sein. Der Philosoph Martin Heidegger hat den Menschen umschrieben als "Sein zum Tode hin". Oder mit Sigmund Freud gesprochen: "Wir wissen alle, daß wir sterben müssen, aber wir, die wir darüber nachdenken, leben noch und halten uns gerade deswegen im Grunde für unsterblich." Angstmomente sind die, wo unsere Unsterblichkeit in Frage gestellt wird und es uns schmerzlich und plötzlich bewußt wird: Das Ende könnte schon jetzt eintreten! Und damit ist dieses Bedrohungsmoment wahrscheinlich die intensivste Art und Weise, wie man sich mitten im Leben vom Tod bedroht fühlt und damit auch das Leben als Bedrohung erlebt.

dieFurche: Der französische Historiker Georges Duby vertritt die Meinung: Der mittelalterliche Mensch war davon überzeugt, daß er auferstehen wird, der Tod war ein Übergang. Der zeitgenössische Verlust des religiösen Empfindens habe hingegen aus dem Tod sozusagen eine furchterregende Prüfung gemacht. Sind Sie auch dieser Meinung?

Mettnitzer: Man muß unterscheiden zwischen Hörigkeit und Mündigkeit. Wenn jemand nur davon redet, daß es ein Leben nach dem Tod gibt, das alleine wird mir meine Angst nicht nehmen. Aber durch die Suche nach Sinnspuren in meinem Leben kann ich eine Vorahnung für ein Leben danach gewinnen. Das geht nicht mit philosophischen Konzepten oder theologischen Vergewisserungen, sondern nur durch die Stimmigkeit eines in Gemeinschaft gestalteten und durch Liebe durchwirkten Lebens. Wer Partnerschaft, Liebe und Freundschaft im Namen Jesu oder im Namen einer anderen Weltreligion gelebt hat, der bekommt eine Ahnung davon, daß das, was er hier erlebt, sich nicht auf den Tod begrenzen läßt. Das ist für mich die einzige Art, über ein Leben nach dem Tod zu sprechen.

dieFurche: Macht Religion Angst oder befreit Religion von Angst?

Mettnitzer: Religion, wie ich sie praktizieren möchte, sollte möglichst ohne Angst auskommen. Natürlich hat man mit dieser Angst auch Politik gemacht. Das ist für mich aber eine sehr unreife und unfreie Vermittlung von Religion. Ich würde sagen, nicht die Angst steht am Anfang, sondern das Staunen. Und das Staunen ist für mich die schönste Art, wie dem einzelnen Menschen klar wird, daß er sich nicht mit Gott verwechseln kann. Jörg Splett, der christliche Philosophie in Frankfurt lehrt, hat einmal diesen schönen Satz formuliert: "Nie ist der Mensch so da, wie dann, wenn er ganz weg ist."

Aus religiöser Sicht ist ein Mittel, um angstfrei zu leben, wenn die Tugend des Staunens, der Dankbarkeit und des Bittens erlernt wird. Das ist für mich auch eine Therapie gegen die Angst. In diesem Zusammenhang sage ich schon, daß unser Jahrhundert gezeigt hat, wohin der Mensch kommt, wenn er aus dem Staunen herausfällt, und wenn er sich mit Gott verwechselt. Ein tausendjähriges Reich ist für mich der eklatante Beweis dafür, daß dort, wo der Mensch sich mit Gott verwechselt, kein Staunen mehr stattfindet, keine Dankbarkeit und auch kein Bitten. Das war in unserem Jahrhundert natürlich eine erschreckende Angstspirale.

Auch heute macht der Mensch offensichtlich mehr, als er darf, und spielt sich bei dieser Grenzüberschreitung in gewisser Weise als Gott auf. Dort wird es ungemütlich und dort gibt es Grund genug, daß der Rest der Bevölkerung, jene, die zuschauen müssen, wie sich einige wenige als Gott aufspielen, es mit der Angst zu tun bekommen. Damit meine ich den geklonten Menschen ebenso wie Auschwitz und Hiroshima.

Die Qualität im Umgang mit anderen Menschen ist die beste Therapie gegen die Angst in unserer Gesellschaft, und hier hätte das Christentum wirklich etwas anzubieten.

dieFurche: Sind die Menschen eigentlich ängstlicher geworden?

Mettnitzer: Ich glaube nicht. Ich bin aber der Meinung, daß die Angstmechanismen durch die erhöhten Anforderungen an den einzelnen subtiler geworden sind. Es ist schwer auf diesem Gebiet etwas zu erfassen. Aber meine persönliche Theorie geht in die Richtung, daß die Bewältigung von Angst schwieriger geworden ist. Man hat in einer größeren Gruppe einfach mehrere Ressourcen, Lebensbedrohendes gemeinsam zu bewältigen. In unserer Gesellschaft wird das Singledasein immer mehr zur gesellschaftlich akzeptierten Lebensform. Dadurch wird vom einzelnen um vieles mehr abverlangt als früher. Wenn dieser einzelne dann noch durch das Internet surft, steht er zwar mit der ganzen Welt in Verbindung, aber er kann nicht sagen, wer ihm nahesteht. Dann hat er niemanden mehr, wenn er es mit der Angst zu tun bekommt. Und daß er es so gesehen mit der Angst zu tun bekommt, versteht sich von selbst.

Das Gespräch führte Monika Kunit.

*Friedrich Strian, Angst und Angstkrankheiten, Verlag Beck, München 1995.

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