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Flucht vor der „Mutter“ Kirche

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Im Jahre 1828 verweigerte der Erzbischof von Freibürg einer Reihe von Alumnen die Priesterweihe, weil sie einer Petition an die badische Kammer zwecks Abschaffung des Zölibats durch Landesgesetz eine Zustimmungsadresse geschickt hatten. Daraufhin leisteten die Seminaristen Abbitte, mit der Entschuldigung: „Es seien ihnen seitJahren theoretische Bedenken gegen das Zölibatsgesetz beigebracht worden.“ Nämlich von ihren Lehrern. Drei Professoren der theologischen Fakultät bekämpften öffentlich Zölibat und Orden; von einem urteilte der große Möhler, ihr Kollege in Tübingen: „Wer seine Vorlesungen hört, kann nur mit einer grenzenlosen Verachtung des Christentums erfüllt werden.“ Nichts Neues also unter der Sonne!

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Im Jahre 1828 verweigerte der Erzbischof von Freibürg einer Reihe von Alumnen die Priesterweihe, weil sie einer Petition an die badische Kammer zwecks Abschaffung des Zölibats durch Landesgesetz eine Zustimmungsadresse geschickt hatten. Daraufhin leisteten die Seminaristen Abbitte, mit der Entschuldigung: „Es seien ihnen seitJahren theoretische Bedenken gegen das Zölibatsgesetz beigebracht worden.“ Nämlich von ihren Lehrern. Drei Professoren der theologischen Fakultät bekämpften öffentlich Zölibat und Orden; von einem urteilte der große Möhler, ihr Kollege in Tübingen: „Wer seine Vorlesungen hört, kann nur mit einer grenzenlosen Verachtung des Christentums erfüllt werden.“ Nichts Neues also unter der Sonne!

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Das geschah in der Spätzeit der Aufklärung und in den Vorwehen der „48er“-Revoluition. In den folgenden hundert Jahren wurde, so scheint es, der Zölibat innerhalb der Kirche — obschon die Angriffe von außen von Protestanten, Liberalen, Kulturkämpfern, Freidenkern niemals aufhörten! — einfach als unabänderliche Tatsache hingenommen und en bloc verteidigt wie jeder andere katholische Sachverhalt. Im Angriff sammelt man sich um das Bedrohte, ohne es weiter auf Wert und Würdigkeit zu untersuchen. Die Befragung erhob sich erst später, nicht unter äußerem Druck, auch nicht aus Protest, offen und vertrauend aus dem Wunsch nach Klärung und Einsicht in den Kreisen der hündischen Jugendbewegung, der frühen liturgischen Bewegung und anderer Träger der katholischen Erneuerung nach dem ersten Weltkrieg. Nicht der Zölibat wurde in Frage gestellt, sondern seine herkömmliche, meist rein negative Begründung aus einer Abwertung von Ehe, Frau, Geschlecht, Eros, Natur. Das Gespräch stand nicht isoliert, sondern war Teil eines großen Erwachens, das die religiöse, die christliche Rehabilitierung der Natur ( — ein Wort, das heute wieder tabuiert wird, doch unter einem anderen Vorzeichen!) anstrebte als der guten und geliebten Schöpfung Gottes im Unterschied von der bösen Welt“. Ein gläubiges, ein frommes „Zurück zur Natur“ vollzog die längst fällige Heimholung der verdächtigen und geschmähten Werte. So mußten Zölibat und Ordensge-

lübde sich angesichts ihrer neu ausweisen. Sie taten es im Sinne eines freien Verzichts auf höchste Lebensgüter um der ungeteilten Hingabe willen an Gott.

Im heutigen Stand der Diskussion scheinen viele positive Ansätze der damaligen Auseinandersetzung sich merkwürdig ins Aggressive und Verneinende verschärft zu haben. Der Neubewertung von Eros und Geschlecht, von Ehe und Familie entwuchs allmählich aus vielerlei Beimischung des Zeitgeistes eine Haltung, die Prof. DDr. Albert Görres, Mediziner, Theologe und Psychothe-rapeuth, folgenderweise beschreibt: „Es gibt heute eine katholische Se-xualmythologie, die sich mit Vorliebe auf die sogenannte moderne Tiefenpsychologie oder die sogenannten Ergebnisse der Anthropologie beruft, nach denen erwiesen sein soll, daß der Mensch ohne die Erfahrung des Geschlechtsverkehrs nicht zur personalen Reife gelangen könne, sondern neurotisch werden müsse. Ich kann nur sagen, daß dieser Satz das Muster einer unwissenschaftlichen Behauptung ist. Es gibt dafür keinen einzigen empirischen Beweis, auch nicht die Spur davon. Es ist eine ideologische Aussage, die sich lediglich auf jene vage Plausibilität stützt, die die Quelle vieler Irrtümer ist... Dagegen spricht die Erfahrung, daß sich unter katholischen Priestern wahrscheinlich mindestens ebenso viele reife Männer befinden wie unter Rechtsanwälten, Lehrern und Ärzten und unter evangelischen Pfarrern.“

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