Getötet, weil sie Jüdin war

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Edith Stein fiel als Jüdin der Schoa zum Opfer. Von Christen wird sie nun als Heilige verehrt. Ihre Heiligsprechung weist auf die Grenzen, aber auch auf die Möglichkeiten des christlich-jüdischen Verhältnisses.

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Edith Stein fiel als Jüdin der Schoa zum Opfer. Von Christen wird sie nun als Heilige verehrt. Ihre Heiligsprechung weist auf die Grenzen, aber auch auf die Möglichkeiten des christlich-jüdischen Verhältnisses.

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In der Erklärung "Wir gedenken: Eine Reflexion über die Schoa" vom 16. März 1998 hat die Päpstliche Kommission für die religiösen Beziehungen zu den Juden bekannt, daß die Bilanz der Beziehungen der Katholiken zu den Juden im Lauf der Geschichte "eher negativ gewesen" ist. Auch die Freude über die am 11. Oktober Rom erfolgte Heiligsprechung Edith Steins wird durch die schwere geschichtliche Last getrübt.

Edith Stein machte sich 1933 nicht (wie damals viele Deutsche) Illusionen, daß die Judenverfolgung der Nazis nach einer ersten Schock-Phase wieder nachlassen könnte. Sie erlebte auch schmerzvoll, daß viele Katholiken diesbezüglich nicht klar sahen.

Vor ihrem Eintritt in den Karmel war sie nach Breslau gefahren und erlebte, wie ihre 84jährige Mutter "schon sehr unter den Zeitverhältnissen litt", so der autobiographische Bericht. Mit Judenboykott-Aufrufen hatten die Nazis den Holzhandel der Witwe ruiniert, die vor dem finanziellen Zusammenbruch stand.

Am 12. Oktober 1933, dem Fest "Simchat Tora", dem Fest der Treue der Juden zu ihrem Gesetz, an dem die getragene Tora im Mittelpunkt begeisterter Lieder steht, begleitete Edith ihre Mutter zur Synagoge. Zu Hause angekommen, legte die alte Frau "ihr Gesicht in die Hände und weinte". Sie hatte alles verloren: Ihren Besitz, ihre Rechte und jetzt auch ihre Tochter.

1998 begann "Simchat Tora" am Abend des 12. Oktober, einen Tag nach der Heiligsprechung. Trotz dieser "Symbolik" darf Edith Stein nicht vorschnell als "Brückenbauerin" zwischen Juden und Christen vereinnahmt werden. Wie jene Szene ihres Abschieds von der Mutter - de facto ist es auch der Abschied vom Judentum, trotz bereits Jahre zuvor erfolgter Taufe - zeigt, schimmert in ihrem Leben auch das Verstörende der 2000jährigen Geschichte christlicher Judenmission durch. Wie Blöcke versperren Trauma-Gegensatzpaare - "Glaube versus Unglaube"; "Neuer Bund versus Alter Bund"; "Erlöstheit versus Unerlöstheit"; "Evangelium/Christus versus Gesetz/Thora"; "Kirche versus Synagoge" - jeden Weg.

Auch in Edith Stein sind, bei all dem Befreienden, zu dem sie sich durchringen konnte, die alten Gegensatzpaare prägend geblieben. Sosehr sie in den Juden die älteren Geschwister der Christen erkannte, wie es seit dem Konzil Auffassung der Kirche ist, sosehr bleibt sie zugleich mit ihrer Rede vom "Unglauben des jüdischen Volkes" dem vorkonziliaren kirchlichen Antijudaismus verhaftet.

Der Papst, der Edith Stein nicht nur aufgrund der karmelitanischen Spiritualität - Johannes Paul II. wollte vor seinem Eintritt ins Krakauer Priesterseminar selbst Karmelit werden -, sondern auch in philosophischer Hinsicht (Husserl, Scheler) eng verbunden ist, hat die Breslauer Konvertitin sicherlich gedanklich überholt. Er hat auch die Seligsprechungsfeier 1987 in Köln sehr sensibel gehandhabt, wie der jüdische Historiker Ernst Ludwig Ehrlich dieser Tage bestätigte. Ebenso betonte der Papst bei der Heiligsprechungsfeier in Rom, daß Edith Stein in Auschwitz ermordet wurde, weil sie Jüdin war, im gleichen Atemzug erinnerte Johannes Paul II. an den Holocaust: "Tief betrübt erhebe ich meine Stimme!" und sprach von einem "Schrei" über das verbrecherische Tun, und daß sich dieses nie mehr wiederholen dürfe.

Auch in der vatikanischen Schoa-Erklärung 1998 findet sich der Aufruf, "intensiv über die Bedeutung der Schoa nachzudenken". Es geht um ein christlich-theologisches Nachdenken; jüdischerseits erfolgt es seit mehr als 50 Jahren. Die Heiligsprechung von Edith Stein, bei der der entsprechende kirchenrechtliche Prozeß mit besonderem Nachdruck vorangetrieben und rascher als sonst üblich abgeschlossen wurde, weil es sich um eine Angelegenheit handelte, die dem Papst besonders am Herzen lag, könnte dabei helfen. Ernst Ludwig Ehrlich sieht übrigens in der Heiligsprechung kein Problem für den jüdisch-christlichen Dialog: Stein sei als Katholikin gestorben, sie gehöre zwar zur jüdischen Schicksalsgemeinschaft, nicht aber zum Judentum. "Gemischte Gefühle" äußerte hingegen Wiens Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg im Magazin "Kirche Intern". Er glaube aber, daß für Juden aus der Heiligsprechung Edith Steins weniger Probleme erwachsen würden als aus den Kreuzen, die von nationalistischen Polen beim KZ Auschwitz aufgestellt wurden.

Terrain bleibt glatt Doch auch christlicherseits ist durchaus ein Bemühen um differenzierte Betrachtungsweise erkennbar. So stellte der Österreichische Koordinierungsausschuß für christlich-jüdische Zusammenarbeit wenige Tage vor der Heiligsprechung fest, Edith Stein sei keine Märtyrerin, die Juden und Christen vereine. Insbesondere dürfe ihre Lebensgeschichte keinesfalls für die Judenmission uminterpretiert werden.

Das Terrain für das jüdisch-christliche Gespräch bleibt jedoch glatt, nicht zuletzt angesichts symbolträchtiger Orte und Zeiten: So wird Kardinal Christoph Schönborn in Köln bei einer Gedenkfeier für die neue Heilige sprechen - und zwar am 8. November, dem Vortag des 60. Jahrestags der Novemberpogrome 1938. In Köln soll auch ein Denkmal für Edith Stein aufgestellt werden. Unter anderem ist die Heilige darauf mit einem Kreuz in der Hand dargestellt, stehend vor einem Berg Schuhe, der Auschwitz symbolisieren soll. Das Kreuz im Zusammenhang mit einem jüdischen Todesort sei deplaziert, wird kritisiert ...

Dennoch: Ein Nachdenken über die Treue zu Gott, wie es religiöse Juden erneut am 12./13. Oktober 1998 mit dem Fest "Simchat Tora" begingen, könnte das Verbindende zwischen Christen und Juden sein. Vor dem Hintergrund der jüdischen Geschichte könnten Christen bedenken, welche Konsequenzen das Treubleiben fordern kann; so könnte Haß auf Gott, auf seine - auch durch Jesus nicht außer Kraft gesetzte - Tora und auf sein Bundesvolk als tiefstes Motiv der Verfolger erkannt und bekannt werden. An diese Kontinuität sollte erinnert werden - ob es nun das "christlich" motivierte Anzünden der Synagoge 1421 in Wien betrifft oder die Organisation von Zügen zu den Gaskammern, wie jenem aus dem Lager Westerdorp nach Auschwitz am 7. August 1942, in dem sich Edith Stein befand.

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