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Indianisierung der Kirchen

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Wenn sich heute das Klima für das Christentum in Indien etwas verbessert hat, so ist dies nicht zuletzt dem Umstand zuzuschreiben, daß die Indianisierung der christlichen Kirchen in den letzten Jahren große Fortschritte erzielt hat. Liturgie, Kirchengesang und Gebet wurden besonders in den protestantischen Kirchen den einheimischen Wünschen und Erfordernissen angeglichen. Vor allem die Church of South India, die eine Verbindung von englischen Methodisten, amerikanischen Episkopelianern und Kongregatio-nalisten und deutschen Lutheranern darstellt und als solche die erste erfolgreich durchgeführte protestantische ökumenische Kirche ausmacht, hat hier wegweisende Schritte unternommen.

Wenn im Weltkirchenrat die Asiaten zum erstenmal eine große Rolle spielten, so ist dies sicherlich nicht zuletzt dem ökumenischen Einfluß der Kirche von Südindien zuzuschreiben. Man erwartet nicht nur eine allmähliche Verschmelzung mit den nordindischen protestantischen Kirchen und ein zunehmend verbessertes Verhältnis mit den Katholiken, mit denen man sich schon jetzt im United Theological College in Bangalore zum gemeinsamen Vaterunser zusammenfindet, sondern eine gemeinsame Tuchfühlung mit fortgeschrittenen hinduistischen Strömungen. Auch Katholiken sind dazu übergegangen, Ashrams zu gründen, die der äußeren Aufmachung nach mehr mit Hinduklöstern als mit europäischen Klöstern gemeinsam haben. In vielen christlichen Ashrams wird Yoga praktiziert. Massenkonversionen, wie sie noch vor 20 Jahren üblich waren, werden heute nicht mehr vorgenommen. Die kirchlichen Instanzen haben eingesehen, daß bei der Konversion die zivilisatorische Überlegenheit: die Aussicht auf eine kostenlose Erziehung, die Verabreichung von Medikamenten usw., keine bestimmende Rolle mehr spielen darf. Noch gibt es viele alte Zöpfe zu beseitigen. Die Gewohnheiten einer zweihundert- bis dreihundertjährigen Missionstätigkeit lassen sich jedoch nicht von heute auf morgen überwinden. In dem Maß, wie es dem Christentum in Indien gelingt, sich den neuen Verhältnissen anzupassen, besteht Aussicht, daß sein Bestand gesichert ist. Auf jeden Fall wird es dem militanten Hinduismus schwerfallen, das Christentum in Südindien, und besonders in Kerala, wo es Fuß gefaßt hat und auf eine uralte Tradition zurückblickt, an seiner weiteren Verbreitung zu hindern oder gar auszurotten. Und wenn dem so ist, so nicht zuletzt deshalb, weil das Beste im Hinduismus von dem Gedanken ausgeht: „Wenn auch du einen Weg mehr zu Gott hin weißt, so zeige ihn! Man kann nie genug davon kennen.“ Das indische Christentum sieht sich nicht vom Hinduismus als solchem bedroht, aber von der Einsetzung einer hinduistischen Staatsreligion und der Errichtung des Hindustaates, wie sie von zahlreichen an Boden gewinnenden .politischen Gruppen gefordert werden. Keiner der hohen Würdenträger der verschiedenen christlichen Kirchen ist ohne Sorge. Aber sie müßten keine Christen sein, wenn sie licht dennoch voller Hoffnung in die Zukunft blickten. „Der Mensch denkt, Gott lenkt“, sagen sie alle, ohne es auszusprechen, und einige von ihnen ?eben sich der Hoffnung hin, daß ein zunehmend säkularisiertes Indien, wie es jetzt von New Delhi aus gefördert wird, das Vakuum schaffen und schließlich den Boden vorbereiten wird, auf dem der christliche Sämann eine reiche Saat ausstreuen kann.

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