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„Wo österreichische Politik und Wirklichkeit zusammenstoßen, entsteht Tragikomödie“: Von treulich gepflegten nationalen „Identitätsmerkmalen“, guten Gesellen und netten Vettern auf der heimischen Provinzbühne.

Die Salzburger Festspiele haben sich heuer ein offenbar provokant gedachtes, nicht unumstrittenes Motto gegeben: „Wo Gott und Mensch zusammenstoßen, entsteht Tragödie“ (siehe dazu auch „Auf ein Wort“, Seite 8, bzw. den Beitrag von Erzbischof Kothgasser in FURCHE Nr. 20, Seite 13); das dazugehörige Leitthema lautet „Mythen“.

Neben dem Salzburger großen Welttheater unterhält uns das österreichische Provinztheater, bevölkert von jeder Menge guter Gesellen und dicker wie dünner Vettern. Letzteres das ganze Jahr über, wenngleich die Unernsthaftigkeit im Sommer bisweilen noch deutlicher zutage tritt, wie man das ja auch vom Sommertheater kennt. Auch auf der politischen Bühne Österreichs dreht sich alles um Mythen. Sie sind dem Publikum im Lauf der Jahre lieb und teuer geworden, sodass man vielleicht besser von „Mytherln“ sprechen sollte.

Wir sind kein Einwanderungsland

Eines dieser identitätsstiftenden Narrative besagt: „Österreich ist kein Einwanderungsland“. Das mag stimmen, wenn man das Einwanderungsland par excellence, die USA, als Maßstab nimmt. Aber gemeint ist ja damit in Wahrheit: „Wir bleiben unter uns“. Das stimmt natürlich schon lange nicht mehr. Aber weil wir es glauben wollen und in diesem Glauben von Politik und Boulevard bestärkt werden, haben wir ein Problem: Aus dem Dissens zwischen Realität und Wahrnehmung resultiert eine „Ausländerpolitik“, die es letztlich niemandem recht macht. Dabei wäre es im Prinzip so einfach, wie es kürzlich Bernd Schilcher gegenüber der Kleinen Zeitung formuliert hat: „Wir werden uns in Zukunft stärker aussuchen, wen wir nehmen. Und die, für die wir uns entschieden haben, werden wir mit innerer Überzeugung und voller Kraft auf ihr Leben in Österreich vorbereiten.“

In diesem Sinne hat sich eben auch Michael Spindelegger, wohl vor allem in seiner Funktion als ÖAAB-Obmann, geäußert. Wobei es für einen aktiven Politiker in Wahlkampfzeiten deutlich mehr Mutes bedarf, sich hinauszulehnen, als für einen pensionierten Querdenker (sorry, Bernd Schilcher). Nun warten wir ab, ob die Debatte das Sommerloch überlebt und, wie unsere deutschen Freunde sagen, „ein Schuh“ daraus wird.

Offene Fragen gibt es noch genug – so weit hat sich Spindelegger dann doch wieder nicht hinausgelehnt: etwa was mit jenen ist, die schon da und schwer zu integrieren sind. Die bestehenden Probleme werden ja nicht durch Spindeleggers „100.000 bis 2030“ gelöst. Im übrigen wird es sich bei diesen „100.000“ nicht um lauter IT-Experten aus Indien handeln, sondern auch um minderqualifizierte Kräfte im Gesundheits-, Pflege- und Tourismusbereich. Was indes die sprichwörtlichen IT-Experten und sonstigen Top-Zampanos betrifft, sollten wir uns nicht der Illusion ergeben, dass die alle nichts lieber wollen, als nach Österreich zu kommen. Auch das ist ja einer der treulich gepflegten heimischen Mythen: dass uns alle lieb haben.

Wir sind neutral

Inbegriff dieser Selbstwahrnehmung ist die Neutralität, das österreichische Mytherl schlechthin. Weit mehr als eine sicherheitspolitische Option, kann sie als Chiffre der austriakischen Befindlichkeit gelesen werden. Ernsthaft darüber diskutiert wird, abgesehen von wenigen Mutanfällen in der Vergangenheit (Klestil, Swoboda, Schüssel), praktisch nie. Am Rande hat sie auch in jenem Interview der Vorarlberger Nachrichten mit Heinz Fischer, das kurzzeitig durch die Schlagzeilen geisterte, eine Rolle gespielt: Ein Berufsheer, so der Bundespräsident, wäre ein Schritt weg von der Neutralität und hin – horribile dictu – zu einem gesamteuropäischen Heer … Dafür haben wir dann ein paar Tage lang über die Wehrpflicht für Frauen diskutiert, wo sich Fischer einmal mehr in bewundernswerter Klarheit nicht festgelegt hat.

Noch gar nicht die Rede war hier von all den anderen Mytherln: etwa dass das Geld aus der Notenpresse kommt, der Staat die Arbeitsplätze schafft – und das Bioschweinderl zu allem „Ja, natürlich“ sagt.

* rudolf.mitloehner@furche.at

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