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Mahnerin in der Gesellschaft

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Wenn die Kirche ihrem Auftrag gerecht werden soll, muß sie in einer „unfrommen" postkonzi-liaren Zeit mystisch und politisch sein.

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Wenn die Kirche ihrem Auftrag gerecht werden soll, muß sie in einer „unfrommen" postkonzi-liaren Zeit mystisch und politisch sein.

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Wenn in Veranstaltungen der theologischen Erwachsenenbildung von der modernen Religionskritik und ihrem Gottesproblem die Rede ist, ist das Interesse der Teilnehmer zunächst immer recht mäßig. Der theologische „Animateur" liest dann gleichsam unwillkürlich hinter den Stirnen seiner Adressaten dieses: Ach Gott, diese ewigen Angriffe der Kirchengegner und Religionsverächter!" Wenn freilich im weiteren auf die theologischen und praktisch-religiösen Konsequenzen eines nicht gereinigten Gottesbildes hingewiesen wird, entsteht merkbar Unruhe. Und die ist ihrerseits wieder ein beunruhigendes Symptom. Denn: Muß es um die Verkündigung und Glaubensunterweisung der Kirche nicht eigentlich schlimm bestellt sein, wenn sogar bei den - doch irgendwie interessierten - Teilnehmern an solchen Veranstaltungen die enorme geistliche Gefahr eines sich bis ins Erwachsenenalter durchhaltenden „naiven" kindlichen Gottesverständnisses nicht erkannt ist?

Mit Recht wurde in Anspielung auf den Namen des Begründers der klassischen Religionskritik des 19. Jahrhunderts gesagt, es werde in Zukunft niemandem, der über Gott und Religion redet, erspart bleiben, „durch den Feuerbach zu waten". Für die Religionskritiker ist Gott dieses „in einem Jenseits hockende höhere Wesen", das aus menschlichem Denk-und Vorstellungsmaterial gemacht ist und als ein erhöhter Vater alle Züge der Willkür menschlicher Väter an sich hat. Kann eine Gesellschaft „nach Feuerbach" eine Gottesvorstellung ernst nehmen, die deutlich mit den Ängsten und Wünschen der Menschen zu tun hat, wenn diese nämlich meinen, Gottes Wohlwollen durch „religiöse Verrichtungen" und durch Befolgen sittlicher Vorgaben gewährleisten zu müssen (denen noch dazu fast unvermeidlich der bittere Geschmack „Mir wird die Freude verdorben" anhaftet)? Und kann man „nach Auschwitz" noch so unbefangen vom „lieben Gott" sprechen, als ob es das Übel und das Böse nicht gäbe (weil man es nämlich, „bürgerlich" orientiert, im eigenen kleinen Lebensbereich durch „Überspielen", Vermeiden und Verdrängen gleichsam zum Verschwinden gebracht hat)?

Man sollte meinen, daß sich die für die kirchliche Verkündigung Verantwortlichen weitgehend auf die Herausforderung durch diese Situation eingestellt hätten. Aber da wird - um nur das eine oder andere Beispiel anzudeuten - den Gläubigen in einer kirchlichen Ära, die sich zugute hält, nach einer „unfrommen" postkonzi-liaren Zeit endlich wieder Spiritualität ins Spiel zu bringen, ein düsteres Bild der Verfallenheit unserer Gesellschaft gemalt und die Parole „Man muß viel beten" ins Spiel gebracht, ohne daß auch nur im Geringsten eine hermeneutische Bemühung unternommen wird, den Sinn des Bittgebets und seinen Zusammenhang mit dem Übel in der Welt deutlich zu machen.

Da wird über den „Opfercharakter in der heiligen Messe" gestritten und unbedarft das aus seinem historischen Kontext gelöste Erlösungsverständnis des heiligen Anselm bemüht, ohne daß die von der Theologie längst erkannte Gefahr der Verzeichnung Gottes als des unerbittlichen Aufrechners von Schuld und Blut auch nur bemerkt wird.

Da wird Jesus gegen jede Einsicht der Dogmatik und Exegese wie ein .als Mensch verkleidet auf Erden wandelnder Gott geschildert, der seine übermenschlichen Fähigkeiten gleichsam zaubernd ins Spiel bringt (um dann den Priestern ein Stück davon als zauberische konsekratorische Kraft weiterzureichen).

Mit Recht bezieht man sich oft, wenn über die Zukunft der Kirche nachgedacht wird, auf das kluge Wort, die Kirche werde mystisch und politisch sein müssen, wenn sie ihrem Auftrag gerecht werden soll. „Politisch" meint die gelebte Nächstenliebe, aber auch die Funktion der Kirche als Mahnerin im Konzert der Stimmen innerhalb der Gesellschaft. „Mystisch" meint das Gegründetsein in einem tiefen Glauben. Für beides braucht es, wenn sich die Kirche nicht in Richtung einer marginalen Größe bewegen soll, intensive Bildungsprozesse. Was die „Mystik" anlangt, braucht es geistig/geistliche Herzensbildung. „Geistlich" steht in dieser Formulierung für spirituelle, aber auch theologisch sachgerechte Bildung, „geistig" umgekehrt für eine theologische Bildung, die - wie das meiner Überzeugung und meinem Wissen nach heute in der theologischen Landschaft in erstaunlichem Maß der Fall ist - einen ganz wesentlich geistlichen Charakter hat.

Wird es solche Bildungsvorgänge in Zukunft nicht geben, dann droht wirklich eine „Marginalisierung" der Kirche der Zukunft, zumindest in unseren Breiten.

Der Autor ist

pensionierter Religionspädagoge.

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