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Meditation, nicht Traktat

19451960198020002020

Betrachtung ober die Kirche. Von Henri De Lubac. Ins Deutsche übertragen von Günther Buxbaum. Verlag Styria, Graz-Wien-Köln. 435 Seiten. Preis 8.80 S

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Betrachtung ober die Kirche. Von Henri De Lubac. Ins Deutsche übertragen von Günther Buxbaum. Verlag Styria, Graz-Wien-Köln. 435 Seiten. Preis 8.80 S

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Wenn dieses herrliche Buch ein Muster der vielfach erörterten „Nouvelle theologie“ sein sollte, dann droht dieser keine Gefahr. Das Buch ist so sehr von der Bibel genährt, es stützt sich so vertrauensvoll auf die kirchliche Tradition und wird so vollkommen von dem Sensus catholicus getragen, daß man die deutsche Ausgabe nur begrüßen kann, um so mehr, als die Uebertragung allen Anforderungen entspricht. Wenn es schon nicht leicht ist, die schwierigen theologischen Fachausdrücke zu verdeutschen,, noch verantwortungsvoller erscheint die Aufgabe, das feine französische Gewebe, in dem orientalische, griechische ,und lateinische Traditionsfäden verarbeitet sind, in ein deutsches Sprachkleid zu verwandeln.

Obwohl der Verfasser erklärt, daß man in seinem Werk nichts „Wissenschaftliches“ sehen darf, kann man in den ersten sechs Kapiteln doch eine mehr theoretische Abhandlung über die Kirche sehen, in der z. B. die Unterscheidung zwischen „Rechts-“ und „Liebeskirche“ eindeutig und überzeugend abgewiesen wird. Kapitel 7 und 8 sind eher praktischen Erörterungen, z. B. über den Gehorsam in der Kirche, über die Versuchungen gegenüber der Kirche (Konservatismus, Kritik, Anpassung und Treue, Kriterium der Wirksamkeit und die Versuchungen der Weisen) gewidmet, während das letzte Kapitel „Die Kirche und die Jungfrau Maria“ behandelt. Diesem Korpus von 264 Seiten folgen schließlich sehr inhaltsreiche Anmerkungen aus der ganzen, kirchlichen Tradition, die zwar viel Platz beanspruchen (S. 265—435), aber trotzdem äußerst lehrreich und lesenswert sind. Vielleicht fühlen sich deutsche Leser ein wenig gestört durch die zahlreichen Hinweise entweder auf unbekannte (die „Theologen der Perpetuität“, S. 104 und Anm. 137) oder auf weniger geläufige Schriftsteller, wie Rousseau, de Maistre, Comte, Saint-Cyran, Arnaud, Renan usw., aber anderseits ist man wieder dankbar für eine Warnung bezüglich Guenon wie für die herrlichen Auszüge aus Claudels Werken.

Immer wieder erwähnt der Verfasser die Gefahren des Immanentismus, des Esoterismus und vor allem der „Vermenschlichung“ der Theologie, wobei auch mit gebührender Reserve „sozialer Katholizismus“ und „christliche Philosophie“ zur Sprache kommen. Von einer sehr hohen und der einzig möglichen katholischen Warte behandelt er auch die heute sehr aktuelle Frage, ob die Kirche vielleicht nicht zuviel an Ansehen verloren habe bzw. ob sie überlebt sei, inwieweit Kritik erlaubt ist und wie sich die sogenannte geistige „Elite“ doch an das konkrete Kirchenleben hic et nunc anzupassen hat. Das Buch ist kein Traktat, sondern eine Betrachtung („Meditation Sur l'eglise“ lautet der Originaltitel), die manchmal den Klang eines Hymnus anstimmt.

Wir hoffen keine allzu menschlichen Gedankengänge zu verfolgen, wenn wir uns die Frage stellen, wann diese echtkatholischen Erkenntnisse und dieses profunde Wissen den Weg in die theologischen Lehrbücher gefunden haben werden. Man kann sich nämlich nicht des Eindrucks erwehren, daß die theologische Literatur der letzten zwei Dezennien fast ausschließlich von Teilabhandlungen, Betrachtungen und Zeitschriftartikeln genährt wird, während neue, vollständige Lehrbücher oder Gesamtdarstellungen mehr und mehr Ausnahmefälle bilden. Die Zeit der Sentenzenkommentare und der großen „summae theo-logicae“ ist vorbei, aber auch die vollständigen „cursus theologici“, wie sie noch von Mazella, Billot, van Noort, Janssens OSB. und teilweise noch von Dieckmann verfaßt wurden, scheinen bereits der Vergangenheit anzugehören. Die Spezialisierung hat auch auf die Theologie übergegriffen, was sogar dieses Werk De Lubacs bestätigt. Es behandelt ein Teilgebiet und auch davon nicht alle Fragen erschöpfend (z. B. bezüglich der Zugehörigkeit zum Corpus mysti-cum wäre eine Erklärung des Ausdruckes „reapse“ wohl erwünscht gewesen, zumindest in den Anmerkungen), dafür aber das übrige so gründlich und besonders so zeitnah, daß man auch dafür dankbar sein muß, vor allem in dieser Zeit, von der man behauptet, sie sei das „Jahrhundert der Kirche“.

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