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"…mit der Seele suchend"

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DIE GROSSEN VIER KONZILIEN. Von Horst Dallmay r. Köscl-Verlag. München. 272 Seiten.

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DIE GROSSEN VIER KONZILIEN. Von Horst Dallmay r. Köscl-Verlag. München. 272 Seiten.

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Da sitzen nun seit Jahrhunderten die Studenten aller möglichen Disziplinen über ihren Skripten und Handbüchern und beschäftigen sich pflichtgemäß mit jenen ersten vier Ökumenischen Konzilien zwischen 325 und 451, die das in Worte brachten, was wir im wesentlichen heute noch das Credo der Christenheit nennen. Von einigen bestimmten Formulierungsunterschieden abgesehen, beten es Katholiken, Orthodoxe und Evangelische all- sonntäglich in gleicher Weise. Und kaum einem wird bewußt, daß das, was ihm heute in der monumentalen Formulierung unantastbarer Dogmen gegenübertritt, einst feurigflüssig war wie die vulkanischen Felsgebirge, daß die einzelnen Worte dieses Credo einst so heftig umstritten waren wie kaum irgendein anderer Text der menschlichen Geschichte. Für die Wissenschaften sind die Konzile „Materialien” geworden. Die Juristen lernen ihre Namen in einem bekannten Merkvers auswendig, ohne einzusehen, wozu ihnen derlei Kenntnis einst beim Anwalts- oder Syndikusberuf nützen soll. Und auch die Theologiestudenten sind nicht sonderlich erbaut, wenn sie sich im Rahmen ihres Studiengangs mit diesen heute so verschollen und formalistisch anmutenden Streitigkeiten befassen sollen. Wären da nicht einige Anekdoten am Rande, wie etwa der Fackelzug für die Gottesmutter von Ephesus oder die Geschichte vom Tode des Arius auf dem Abort — , man wüßte beim besten Willen nichts Lebendiges mit dieser Themenwelt zu assoziieren.

Der junge Horst Dallmayr bekennt nun ganz offen, daß ihn bei einer Reise zu den Konzilsstätten Kleinasiens und bei seinem Forschungszug durch die Konzilsakten nicht so sehr wissenschaftlicher Eros getrieben habe, als ganz einfach die Absicht: „mir selbst die großen vier Konzilien so zu vergegenwärtigen, daß ich sie liebbehalten kann”. (Ein geistiges Vorhaben, das im gewissen Sinne an die Absicht erinnert, mit der man zu Gundolfs Zeiten Geschichte schrieb und aus der etwa Kantorowiczs „Friedrich II.” entstand.) Dem Umschlagtext ist allerdings zu entnehmen, daß der Dallmayr entsendende Bayrische Rundfunk dem jungen Morgenlandfahrer einen wissenschaftlichen Mentor namens Dr. Marcell Restle zur Seite gab. Ud das ist gutSso: denn von der exaktenyWissenschaft hält der Autor nipht allzuviä, ‘ was etwa seine gönnerhaftspöttischen Glossen über die Grabungsergebnisse von Ephesus beweisen (S. 163), wo der „galeerenfleißigen Kunst” der Archäologie einzig „die Muse der Erdbewegung” zur Patriotin gegeben wird. Gerade am Beispiel Ephesus’ zeigt Dall mayr, daß ihm die langweilige historischdokumentarische Wahrheit hinter der inneren Wahrheit zurücksteht. Anstatt sich mit den Grabungsergebnissen von sieben Jahrzehnten der Wissenschaft auseinanderzusetzen. hält er sich lieber in der Legendenwelt des „Wohnhauses Mariens” auf. das man in einem seriösen archäologischen Werk nicht einmal verzeichnet finden wird.

Aber, wie gesagt: solche Kritik wird Dallmayr wahrscheinlich als humorlose Beckmesserei empfinden. Er wollte ja weder ein archäologisches noch ein kirchenhistorisches noch ein dogmenwissenschaftliches Buch schreiben. -Er wollte seinen eigenen entflammten Eros zur Welt der Väter ganz einfach anderen Menschen, den Menschen unserer Tage, mitteilen. Und niemand kann bezweifeln, daß ihm das mit seiner gekonnten Montagetechnik der Verbindung von Originalzitat und Kommentar nicht übel gelungen ist. Gewiß ist der „Schnitt” zwischen den einzelnen Bildern manchmal recht rasant und die Zeichnung der Charaktere läßt an karikaturistischer Schärfe nichts zu wünschen übrig. Nun würde bei der plastischen Darstellung der zeitgeschichtlichen Hintergründe des Konzilsgeschehens ein gewisser schnoddriger Ton (ihn hat wohl doch der „Spiegel” erfunden) weniger stören als gelegentliche Anwandlungen von Sentimentalität, die hart am Rande des Kitsches liegen. Aber vielleicht empfinden das manche fromme Gemüter als Herzenswärme. Auch an Eskapaden in die Geistesgeschichte der Gegenwart mangelt es nicht. Hölderlin wird ebenso als Nachfahre des Arianismus reklamiert wie der wackere Thornton Wilder als letzter Nestorianer. Wir wollen auch damit nicht allzu pedantisch ins Gericht gehen. Im ganzen erreicht Dallmayrs mit „Pranke” geschriebenes Buch nämlich etwas, was keine der großen Konzilsgeschichten dem Laien von heute bieten kann: Die Welt wird nicht nur historisch lebendig, es wird dem Leser klargemacht, wie sehr ihn das alles heute und hier angeht und betrifft, wie leidenschaftlich damals um Fragen gerungen wurde, die als die eigentlichen Ewigkeitsprobleme brennend nahe geblieben sind, auch wenn sie allzu gelehrte Fachsprache in akademische Höhen entrücktem haben schien. Wenn die Chmten von heute nur einen Bruchteil von dem „liebbehalten” (um Dallmayr noch einmal zu zitieren), was hier aufgezeichnet wurde, kann man es als rechte Einstimmung auf das kommende Konzil aufrichtig begrüßen.

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