Künstliche Intelligenz  - © Foto: iStock/ zoranm

Künstliche Intelligenz: Falsche Verheißungen

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Erschreckende Fakten, beunruhigende Ausblicke: In seinem neuen Buch widmet sich der Philosoph Richard David Precht der viel diskutierten Automatisierung der Gesellschaft.

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Erschreckende Fakten, beunruhigende Ausblicke: In seinem neuen Buch widmet sich der Philosoph Richard David Precht der viel diskutierten Automatisierung der Gesellschaft.

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Wer die von Peter Sloterdijk so schön auf den Punkt gebrachte „diffus allgegenwärtige Einsicht“ teilt, „dass es so nicht weitergehen kann“, sollte das neue Buch des Philosophen Richard David Precht, „Künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens“, lesen. Es ist nicht leicht, die wenigen Stellen zu finden, an denen Kritik einhaken kann. Nachdem ich ungezählte Male gedacht hatte, wie Recht der Mann doch habe, schlug ich es am Ende aber doch etwas irritiert zu.

Precht macht die Kritik an einem fehlgeleiteten, nur noch am Mehr und Mehr von Allem und an den „Verwertungsinteressen des Kapitals“ orientierten „Fortschritt“ an dessen Speerspitze fest, der Informationstechnologie (IT), und an der vordersten Spitze der Speerspitze, der Künstlichen Intelligenz (KI). Die Fakten, die er aufzählt, sind erschreckend genug. Etwa die Berechnung der TU Dresden, das World Wide Web werde im Jahre 2030 so viel Strom verbrauchen wie die ganze Welt im Jahre 2011. Oder die Warnung amerikanischer Physiker, weitere zehn Jahre später, 2040, werde die Digitaltechnik bereits für halb so viele Treibhausgase verantwortlich sein wie der gesamte globale Verkehr. Mehr als diese Zahlen braucht es nicht, um die ganze heutige Klimapolitik als gut gemeinten Rettungsversuch mit unzureichenden Mitteln erscheinen zu lassen. Und die Absicht der EU-Kreditgeber, die Südeuropäer mittels IT-Aufrüstung auf die Beine zu bringen, kritisch zu hinterfragen.

Gegen das autonome Fahren

Doch um Fakten solcher Art geht es nicht primär in diesem Buch. Precht argumentiert ethisch und philosophisch. Er bestreitet nicht die zahllosen Möglichkeiten, KI zum Nutzen des Menschen zu gebrauchen, wendet sich aber mit Vehemenz gegen die bereits im Sommer 1956 in die Welt gesetzte Prophezeiung, „dass grundsätzlich alle Aspekte des Lernens und anderer Merkmale der Intelligenz so genau beschrieben werden können, dass eine Maschine zur Simulation dieser Vorgänge gebaut werden kann“. Er entwickelt ein gewaltiges Panorama der Fehlentwicklungen, die auf Grund dieser Annahme bisher entstanden sind und in die uns die „Post- und Transhumanisten“ mit ihren elektronischen Allmachtfantasien immer tiefer hineinhetzen.

Adam und Eva erkennen heutzutage, dass nicht arbeiten zu müssen und nicht arbeiten zu dürfen zwei Paar höchst verschiedener Schuhe sind.

Zukunft ist niemals vorhersehbar und gegenläufige Entwicklungen sind nie zu unterschätzen, doch tendenziell liegt Precht nicht ganz daneben mit seiner Ansicht, der Westen folge, „paradiesischer verbrämt, jenem Weg in eine kybernetische Diktatur, den China so offen und ohne Skrupel heute schon geht. Dessen ,Plan zur Verbesserung des Menschen‘ (…) kennt Pflichten statt Rechte, Unterordnung statt freier Individualität und statt des Einzelnen vor allem das große Ganze. (…) China ist dem positivistischen Geist heute näher als jeder Staat in der Geschichte.“

Den härtesten Kern des Buches bildet Prechts unbedingte Absage an alle Tendenzen, Computern direkt oder indirekt Verantwortung zu übertragen. Das beginnt bei der Personalauswahl und reicht bis zu den ihre Ziele wählenden Drohnen und sonstigen KI-Kampfmaschinen. Auch die absurde Diskussion, ob ein selbstfahrendes Auto lieber ein Kind oder zwei Alte überfahren soll, wenn der Unfall unvermeidbar ist, gehört hierher. Precht hat mit der Forderung, bestimmte Innovationen zu ächten, ebenso Recht (und dreimal Recht) wie damit, dass unter der „normativen Kraft des Fiktiven“ die Kontrolle über die Entwicklung längst auch jenen entgleitet, die sie vorantreiben.

Arbeitsmarkt: Paradiesische Nostalgie

Was er leider ausblendet, sind die Folgen von IT und KI für den Arbeitsmarkt. Gegen das autonome Fahren hat er viele gute Argumente. Das Elend abertausender Familien in Ost- und Südosteuropa, die Monat für Monat auf das Geld der wochenlang in ihren Fahrerkabinen „wohnenden“ Väter warten, wenn diese Jobs wegfallen, ist nicht darunter. Bei den ökonomischen Problemen durch IT und KI hat auch Precht nur die üblichen Nebulositäten und die Frage zu bieten, was denn wünschenswert sei „am Erhalt einförmiger und gleichförmiger Büroarbeit“ und gesundheitsschädlicher Schwerarbeit: „Die Frage nach dem Sinn des Lebens ist nicht von Natur aus daran gekoppelt, von neun Uhr morgens bis fünf Uhr nachmittags in ein Büro zu gehen und dort für Geld zu arbeiten.“ Die Frage nach Essen, Wohnen und Kleidung leider nach wie vor sehr wohl. Hier gerät der Philosoph ins Niemandsland zwischen seiner eigenen Absage an die Sinnlosigkeit einer elektronischen „Schönen Neuen Welt“ und der geregelten Arbeit, wie wir sie kennen und von der wir heute noch nicht wissen, ob der Mensch sie nur zur Aufrechterhaltung seiner Existenz oder nicht doch auch zu seinem Wohlbefinden braucht.

Adam und Eva, aus dem Paradies vertrieben und dazu verurteilt, im Schweiße ihres Angesichtes ihr Brot zu essen, stehen heutzutage da und wissen nicht, wohin sie sich wenden sollen. Sie wollten sich die Welt zum Paradiese machen und erkennen, dass nicht arbeiten zu müssen und nicht arbeiten zu dürfen zwei Paar höchst verschiedener Schuhe sind. Sie haben erfahren, wie sauer Arbeit sein kann, aber als Arbeitslose entdecken sie, wie gut es war, zu arbeiten. Sie sehen die Welt, in der jeder im Schweiße seines Angesichts sein Brot verdient, plötzlich in einem überraschend rosigen Licht und das Donnerwort, mit dem Gott sie in die Welt hinausstieß, hört sich gar nicht mehr so unfreundlich an. Hat es aus dem Munde des Alten nicht geradezu nostalgisch nach Vollbeschäftigung geklungen?

Künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens - © Goldmann-Verlag
© Goldmann-Verlag
Buch

Künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens

Von Richard David Precht
Goldmann 2020
252 S., geb., € 20,60

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