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Perle des Wissens

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Walter Majerotto, Direktor des Instituts für Hochenergiephysik: „Die Teilchenphysik prägt unser Weltbild und ist Teil unserer Kultur.”

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Walter Majerotto, Direktor des Instituts für Hochenergiephysik: „Die Teilchenphysik prägt unser Weltbild und ist Teil unserer Kultur.”

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DIEFURCHE: Welche Bedeutung hat Österreich auf dem Gebiet der Hochenergiephysik, wie die Teilchenphysik auch genannt wird? walter majerotto: Die experimentelle Elementarteilchenforschung ist heutzutage so internationalisiert, daß nationale Aspekte eigentlich keine Bolle spielen. Wissenschaft hat sich, um ein modernes Schlagwort zu verwenden, genauso globalisiert wie andere Bereiche. Die Amerikaner können sich noch eigene Labors leisten, aber auch sie sind de facto internationalisiert. In der theoretischen Forschung gehören wir international zur Spitze.

DIEFURCHE: Teilchenphysik kostet viel Geld-1996betrug der jährliche Beitrag Österreichs zum internationalen Forschungszentrum CERN bei Genf rund 228 Millionen Schilling. Das Budget Ihres Instituts betrug im selben Jahr knapp 45 Millionen Schilling. Fällt es Ihnen in Zeiten von Sparpaketen leicht, zu solchen Summen zu kommen? majerotto: Einige relevante Stellen - die Akademie der Wissenschaften und das Wissenschaftsministerium -stehen hinter uns, weil sie das hohe Niveau der Forschung sehen. Ich glaube, nur das ist der Grund, warum wir unterstützt werden. Es ist in den letzten Jahren ein Trend gegen die Physik im allgemeinen eingetreten. Die Tendenz geht eher in Bichtung Biowissenschaften. Gegner behaupten immer wieder, daß die Physik zu stark gefördert wird - auch Gegner aus den eigenen Reihen, speziell unsere Freunde in der Festkörperphysik.

Aufgrund der hohen Konzentration der Mittel - zum Beispiel der Beitrag für CEBN - weiß jeder, was die Hochenergiephysik kostet und sieht eine große Zahl. Kein Mensch jedoch weiß, wieviel in Osterreich für andere Disziplinen ausgegeben wird, weil es da viele Töpfe, viele Institute und viele Gruppen gibt.

DIEFURCHE: Wie sehen Sie die Zukunft der Teilchenphysik in Österreich? Majerotto: Letzten Endes hängt alles ab von der Entscheidung, ob wir bei CERN bleiben oder nicht. Damit steht und fällt alles. Und das ist natürlich eine politische Entscheidung. Bisher konnten wir alle relevanten Stellen immer wieder überzeugen, wie wichtig es für Österreich ist, daß wir der bestfunktionierenden internationalen Organisation wissenschaftlicher Natur angehören. Ein kleines Land hätte sonst keine Chance, auf einem solchen Gebiet überhaupt mitzuarbeiten.

DIEFURCHE: Was hätte es für Folgen, wenn sich Österreich aus der Elementarteilchenforschung zurückzöge? majerotto: Österreich würde eine Perle der Wissenschaft verlieren. Ich könnte nicht verstehen, daß man etwas, was maji lange Jahre aufgebaut hat und wo man wirklich zur internationalen Spitze vorgedrungen ist, einfach zerstört. Wir würden nicht mehr ganz ernstgenommen werden in der Wissenschaft.

DIEFURCHE: Mit welchen Argumenten begegnen Sie Leuten, die Teilchenphysik für verzichtbar halten? majerotto: Die Elementarteilchenphysik hat unser modernes Weltbild geprägt wie kein anderes Gebiet der Physik. Wir haben ein Verständnis vom Universum und seiner Geschichte bekommen. Das ist Teil unserer Kultur und Zivilisation. Wir sind ein Kulturland, daher ist es berechtigt, daß man Geld für die Teilchenforschung ausgibt.

DIEFURCHE: Welchen praktischen Nutzen hat die Teilchenphysik? majerotto: In der Geschichte der Physik sind neue Erkenntnisse in den meisten Fällen irgendwann einmal zur Anwendung gekommen. Und zwar unerwartet. Das ist der Unterschied zu einer gezielten, anwen-dungsorientierten Forschung. Noch in den dreißiger Jahren hat man die Quantenphysiker nicht gerade als Spinner, aber als Esoteriker betrachtet. Ohne die Quantenmechanik gäbe es aber heute keinen Laser, keine Chips oder keine moderne Materialforschung.

Ich glaube, über 90 Prozent aller bestehenden Beschleuniger werden nicht für die Hochenergiephysik verwendet, sondern in der Industrie und der Medizin. Auch andere Geräte, die in der Hochenergiephysik entwickelt wurden, haben Anwendungen gefunden. Es gibt natürlich keine Garantie für einen praktischen Nutzen, aber wenn man gar nicht forscht, erreicht man garantiert nichts.

DIEFURCHE: Wird die Elementarteilchenphysik bald an ihre experimentellen Grenzen stoßen3 Um etwa eine vereinheitlichte Theorie der elektromagnetischen, der schwachen und der starken Kraft zu testen, müßte man einen Beschleuniger mit einem Umfang von einer Billion Kilometern bauen, wie der Nobelpreisträger Leon M. Le-derman einräumte. majerotto: Es ist richtig, daß in den sechziger und siebziger Jahren sehr viele Entdeckungen gemacht wurden. Das hat sich auch in der Anzahl der Nobelpreisträger niedergeschlagen. In diesen Jahren ist das Standardmodell entstanden; als ich in das Gebiet eingestiegen bin, da konnte man noch gar nicht von einem Modell oder einer Theorie sprechen.

Um weiter in die innere Struktur der Materie vorzudringen, braucht man immer größere Beschleuniger; dafür muß man Geld auftreiben und braucht auch entsprechende Bauzeiten. Das bedingt, daß in der experimentellen Forschung alles ein bißchen langsamer geht. Es ist nicht mehr so stürmisch wie in den Jugendjahren der Hochenergiephysik, aber nicht minaer interessant. Fs sind noch ganz große fundamentale Fragen offen, die man glaubt, in den nächsten Jahrzehnten zu klären.

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