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Baukonjunktur und Architekturstudium

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Die gegenwärtig außerordentlich hohe Zahl von Studierenden an den österreichischen Hochschulen begründet mancherlei Besorgnisse, aber besonders bedenklidi erscheint der starke Zustrom zum Architekturstudium an den Hochschulen. In der Annahme, daß innerhalb der nächsten 10 bis 20 Jahre, bedingt durch die großen Zerstörungen des Krieges und die Notwendigkeit durchgreifender Wiederaufbaumaßnahmen, eine große.Konjunktur im Baugewerbe und damit für die planenden Architekten jj||geben ist, glauben viele junge Leute mit Vorteil das Studium der Baukunst zu wählen. Wie wenige hiezu wirklich berufen sind, zeigen in erschreckender Weise die Ergebnisse in den Entwurfsfächern und die Eile, mit der nach Beendigung des Studiums — ohne Rücksicht auf künstlerische Ausreife — gestrebt wird. Hier liegt eine Gefahr für unseren künstlerischen Nachwuchs, der noch dadurch erhöht wird, daß die österreichischen Technischen Hochschulen nicht die gesetzliche Möglichkeit besitzen, eine Auslese unter den Studierenden vorzunehmen, sondern jeden Bewerber mit ordnungsmäßig abgelegter Matura, unabhängig von seiner künstlerischen Begabung, zum. Architckturstudium zulassen müssen. Durch unsere Studienordnung, die in den ersten Semestern überwiegend theoretische und technische Fächer vorsieht, besteht überdies nicht die Möglichkeit, die Studierenden schon frühzeitig wegen Mangels an künstlerischer Begabung zum Wechsel ihres gewählten Faches zu veranlassen. Zweifellos bildet eine Ausschließung vom Architektur Studium in den höheren Semestern, die gegenwärtig nur in Form von „ungenügenden“ Noten in den Entwurfsfächern erreicht werden kann, eine große Härte. Ausländische Hochschulen, wie die E. T. H. Zürich, sind daher zu einem Auslesesystem übergegangen, das bereits in den niederen Semestern eine Scheidung von Begabten und Unbegabten gestattet. Eine solche Auslese zu treffen, ist auch in Österreich an der Akademie der bildenden Künste in Wien und der Hochschule für angewandte Kunst in Wien vorhanden; den Technischen Hochschulen fehlt hiefür jede gesetzliche Handhabe. Sie auch dort einzuführen, wäre ein Gebot der Stunde. So manche würden dadurch vor späteren Enttäuschungen in ihrem Berufsleben, für das sie nicht die Eignung mit gebradit haben, bewahrt„ und es würde de ■ Gefahr eines Absinkens unserer Bautradhion begegnet. Selbstverständlich braucht dei

Wiederaufbau auch eine große Anzahl von „Hochbauingenieuren“, deren besondere Fähigkeiten auf technischem und organisatorischem Gebiet liegen. Aber solche Fachleute auszubilden, sollte grundsätzlich nicht Aufgabe der „Architekturfakultäten“ an unseren Hochschulen sein.

Eine andere bedenkliche Erscheinung ist, daß sich nach diesem Kriege eine große Anzahl von Absolventen der Gewerbeschulen zum Hochschulstudium drängt. Jetzt, da wir einen ausgesprochenen Mangel an Technikern und Zeichnern und ein Überangebot an akademischen Ingenieuren und Architekten haben! Das Erstaunliche ist, daß vielfach Mittelschultechniker, die unter den schwierigsten finanziellen Verhältnissen leben und nur mit Hilfe eines Stipendiums die Hochschule besuchen können, auf eine oft sehr lohnende Praxis verzichten und trotz mittelmäßiger Leistungen in der Gewerbeschule die akademische Laufbahn mit aller Energie anstreben. Tatsache ist, daß gegenwärtig ein Mangel an Mittelschultechnikern herrscht, obwohl jetzt ihre Verdienstmöglichkeiten relativ günstiger sind als die von akademischen Ingenieuren.

Was wir für den Wiederaufbau in erster Linie brauchen, sind tüchtige Handwerker und Techniker, Bautischler, Steinmetze, Zimmerleute, Maurer, technische Zeichner und nicht ein Heer von akademischen Architekten mit mittelmäßiger Begabung. Sie würden schließlich selbst das Opfer ihrer beruflichen Mißleitung sein.

Dieseen Übel von Seiten aller berufenen stellen rechtzeitig zu steuern, scheint ein Gebot der Stunde zu sein.

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