6586679-1951_51_04.jpg
Digital In Arbeit

Briefe an den Herausgeber der „furche“

Werbung
Werbung
Werbung

Sehr geehrter Herr Chefredakteur!

Die „Furche“ stellte kürzlich (Folge 38/VII) den Verfasser des Beitrages „Es geht um die Elite“ als Schulfachmann dem Leser vor, der zur Frage der höheren Schulbildung mit besonderer Berücksichtigung der wirtschaftlichen Struktur unseres Landes das wort ergreije. seine ueaan/cen, in Einzelheiten wohl schroff formuliert, verdienten in Anbetracht der gerade augenblicklich hohen Bedeutung des Themas gleichwohl ernste Beachtung und Prüfung. Ich bin dieser Aufforderung nachgekommen. Mühselig genug habe ich aus den Darlegungen des Autors folgende Gedankengänge herausgefunden:

Einleitung: Die Gedanken „über eine wahrhaft zeitgemäße Gestaltung unseres höheren Bildungswesens nehmen ihren Ausgangspunkt von der Tatsache, daß unser Vaterland... einen sehr hohen Prozentsatz manueller Arbeiter benötigt, für die vor allem ein guter Volks- und Hauptschulunterricht erforderlich ist“. „Ein demokratisches Schulwesen hat aber auch zu verhindern, daß eine zweckwidrige Bildungsorganisation Gleichgewichtsstörungen im sozialen Aufbau unserer Wirtschaft hervorruft.“ Begabung und Beruf s-schichtung: „Eine genauere Prüfung der Aufnahmsfähigkeit unseres Arbeitsmarktes für Akademiker ergibt, daß höchstens ein Prozent der gesamten, etwa rund eine Million Köpfe umfassende Schuljugend von den ABC-Schützen bis zu den erfolgreichen Absolventen unserer Hochschulen in den Jahren 1952 bis 1956 Aussicht hat, nach Beendigung ihrer. Studien einen ausreichenden Broterwerb zu finden.“ Beg ab un g und Bildungsgang: „Alle Bestrebungen, die auf eine Hinausschiebung der Wahl des Bildungsganges bis zum 14. Lebensjahr hinauslaufen, werden an der naturgegebenen Schichtung der Intelligenz der Jugend zunichte.“ Beim Übergang von der Volksschule zur Mittelschule sei eine sorgfältige und strenge Siebung vorzunehmen und „eine Scheidung nach Bepabunpspraden so zu treffen, daß die verhältnismäßig geringe Zahl leicht erkennbarer Höchstbegabter das Gymnasium wählen, eine etwas größere Anzahl in das Realgymnasium und die überwiegende Mehrzahl der übrigen geisteswissenschaftlich weniger begabten Kinder in die Realschule übertritt.“ „Aus Gründen der natürlichen Berufsgliederung ist es also von größter sozialökonomischer Bedeutung, mit der B e-gabtenauslese möglichst früh zu beginnen.“ Auswahl und Ausbildung der Mittelschullehr'er: Die Berufsvorbereitung der Mittelschullehrer ist zweckwidrig. Kritik an diesen und an dem Mittelschulbetrieb. S chlu ß ab-satz: „Hier aber schließt sich der fehlerhafte Zirkel der chronischen ,Reform' unseres Bildungswesens. Solange die Ausbildung unserer Mittelschullehrer nicht eine Gewähr dafür bietet, daß nur die für diesen Beruf wirklich geeigneten Anwärter im Wege einer auf strengster Auslese beruhenden Vorbereitung auf jene geringe Zahl beschränkt werden, die von einer jeder parteipolitischen Beeinflussung trotzenden Überzeugung von dem rein aristokratischen Charakter jedes höheren Bildungserwerbes durchdrungen sind, solange werden die hier entwickelten Leitgedanken, die einer tiefen Sorge um die Entwicklung unseres Schulwesens entspringen, unverwirklicht bleiben.“

Dieser Schlußabsatz löst eine Schockwirkung aus. Man liest ihn ein zweitesmal, ein drittesmal, um sich zu vergewissern, ob man ihn auch wirklich richtig verstanden hat. Endlich weichen die Zweifel. Nach der Meinung des Verfassers würden also die zukünftigen Idealmittelschullehrer imstande sein, von sich aus das in Frage stehende Problem zu lösen, den Zudrang zu den Mittel- und Hochschulen abzuwehren. Wie wäre das möglicM Könnten diese Übermittelschulen selbstherrlich vorgehen? Hätten Behörde, Gesetzgebung, Eltern als Wähler nicht auch mitzureden? Nein, so einfach ist die Sache nicht. Hängt die Verwirklichung solcher Reformvorschläge von den zukünftigen Idealmittelschullehrern ab, dann haben sie keinerlei praktischen Wert. Aber auch wenn man von dieser Schlußfolgerung absieht, so fordern auch die übrigen Ausführungen zur Kritik heraus. So glaubt der Autor, durch Heranziehung statistischer Daten dem in Frage stehenden schwierigen Problem rein rechnerisch beikommen zu können. Er überschätzt die Wirkung solcher Zahlen. Bei der Frage, ob die Eltern ihre Kinder in die Mittelschule schicken sollen oder nicht, werden noch andere Faktoren entscheidend sein als nur die Lage auf dem Arbeitsmarkt. Die Sortierung der Mittelschulanwärter in Gymnasiasten, Realgymnasiasten und Realschüler ist in den Provinzstädten kaum durchführbar, aber auch grundsätzlich untragbar. Ebenso ist die Dreiteilung der Akademiker in eine Elitegruppe, in eine zweite noch überdurchschnittlich Begabter und in eine dritte, deren Begabung mehr auf technischem und kommerziellem Gebiet liegt, abzulehnen. Von Generälen, Generalstabsoffizieren der Kultur und Wirtschaft, von Unteroffizieren und Subalternoffizieren der fachlich geschulten und auch allgemein gebildeten Mittelschicht zu reden, finde ich nicht anpebracht, wie mir auch sonst der Ton, in dem der Autor über die Mittelschule im allpemetnen und seine Berufskollegen im besonderen urteilt, nicht sehr glücklich gewählt erscheint.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung