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Lieder, Musik und Musiker

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MUSIK BÜREN, VERSTEHEN, ERLEBEN. Eine Einführung Ton Fritl Stege. Eduard-Wancura-Verlag, Wien-Köln. 22S Seiten, Preis 98 S.

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MUSIK BÜREN, VERSTEHEN, ERLEBEN. Eine Einführung Ton Fritl Stege. Eduard-Wancura-Verlag, Wien-Köln. 22S Seiten, Preis 98 S.

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Der Versuch, den musikalischen Laien an die Musik heranzuführen, wird von der Seite der Psychologie her unternommen, wobei die Maxime des Autors, daß die Musik nur im anthropokosmischen Zusammenhang zu betrachten sei, eher von der Musik weg als zu ihr hinzuführen scheint. Denn gerade das, was an der Musik peripher ist, die Analogie zu anderen Lebensvorgängen, wird in den Vordergrund gestellt. Musik — zumindest absolute Musik — sollte aber aus sich selbst begriffen werden, nicht durch die Heranziehung musikfremder Vergleiche. Es ist zuzugeben, daß der Ge/üMsinhalt der Musik durch ein anderes Medium als die Musik selbst überhaupt nicht auszudrücken ist und daß es daher überhaupt keine Möglichkeit gibt, von dieser Seite her die Musik populär zu .machen. Von der - Verstondesseite her ist jedoch ein Zugang bis zu einer gewissen Grenze möglich. Diese Möglichkeit aber verschmäht der Autor. Was er an sachlichen Erklärungen in bezug auf Intervalle, Rhythmus, Harmonie und Melodie vorbringt, ist provinziell. Die psychologische und ästhetische Literatur hat er hingegen mit Fleiß durchgearbeitet (Pfitzner und Melichar nicht zu vergessen), so daß das Buch zum großen Teil aus Zitaten besteht. Ein echter Weg zum „Musikhören, -erleben und -verstehen“ kann auf diese Weise nicht gewiesen werden, da gerade die hochgestochene Ausdrucksweise dieser Quellen den Laien abstoßen muß. Daß der in Wiesbaden ansässige Autor seinem Buch gleich eine — natürlich positive — Kritik in Form eines Nachwortes hinzufügt, kann an diesem Tatbestand nichts ändern.

DAS VIELSTIMMIGE JABRHUNDERT. Musik in unserer Zeit. Von Kurt H o n o 1 k a. Cotta-Verlag, Stuttgart. 394 Seiten. Preis 29 DM.

Die Musik des 20. Jahrhunderts ist der Gegenstand dieses Buches. Daß der Verfasser die Bezeichnung „Das vielstimmige Jahrhundert“ wählte, hat nichts mit Polyphonie zu tun, sondern ist Ausdruck seiner Ratlosigkeit vor der Fülle von Personalstilen, die seiner Ansicht nach zu keiner Synthese zu vereinigen sind. Diese Ratlosigkeit führt denn auch zu einer chronologischen, aufzählenden Beschreibung der Komponisten unseres Jahrhunderts, wobei die Unfähigkeit zur Synthese durch den Autor insoweit bemerkbar wird, daß allgemein bekannte Schlagworte, Ausdrücke des Tagesjournalismus und Banalitäten überwiegen. Das Verdienst des Buches besteht darin, daß es nicht ausschließlich die „Neue Musik“, sondern sämtliche namhafte Komponisten des 20. Jahrhunderts berücksichtigt. Der Autor verleugnet nicht, seine kritische Stellung, so daß sie hier angeführt werden muß: Honolka ist ein „gemäßigter Modernist“, der Berg akzeptiert, Schönberg und Webern ablehnt, sich gegen die „Seriellen“ stellt, auf der anderen Seite jedoch auch Joseph Haas und Othmar, Schock als große Meister anerkennt. Während er die Hohlheit sowjetischer Zwangskultur erkennt, scheinen ihm ähnliche Gefahren im Singspielkreis deutscher Herkunft nicht ganz so geläufig zu sein. Die Auswahl der Zitate und des Photomaterials sowie der Notenbeispiele (auch Druckfehler sind zahlreich) beschränkt sich auf die gängige Ware. Ein gewisser informativer Wert für das breite Publikum ist dem Buch trotz seiner wenig selbständigen Haltung nicht abzusprechen.

NOTENSCHRIFTREFORM. Von Carl J 0 h a n-n i s. Schuler-Verlagsgesellschaft, Stuttgart. 80 Seiten.

In regelmäßigen Abständen erscheinen Vorschläge für eine Notenschriftreform auf dem Markt, die gegenüber dem herrschenden Notensystem große Vorteile haben sollen, sich aber dennoch nicht durchsetzen. Der Grund dafür ist der, daß unser kompliziertes Notensystem nicht erfunden, sondern gewachsen ist wie eine Sprache, und daß es in seiner Kompliziertheit dabei deutlich die Wege der Musik selbst aufzeigt, die Wege der Tonalität. Das System von Carl Johannis geht an dieser Tatsache ebenso vorüber wie jede andere Notenschriftreform. Ihre Erfinder vergessen immer wieder, daß die Notenschrift nicht nur eine möglichst einfache Signalisierung von Konventionszeichen darstellt, sondern lebendiger Ausdruck der Musik ist, so wie die Schrift lebendiger Ausdruck der Sprache. Daß diese einfache Tatsache von den zahlreichen Befürwortern einer Notenschriftreform — deren Aufzählung in derartigen Werken gehört ja ebenfalls schon zur Tradition — vergessen wird, kann nur als Kuriosum gewertet werden.

DAS IMAGINÄRE TAGEBUCH DES HERRN JACQUES OFFENBACH. Von Alphons S 11-b e r m a n n. Verlag Bote & Bock, Berlin. 456 Seiten. Preis 19.80 DM.

„Wenn XY ein Tagebuch geschrieben hätte“, ist ein Titel, der in den letzten Jahren gelegentlich für Musikerbiographien verwendet wurde. Das „imaginäre Tagebuch“, das der in Köln unterrichtende Musiksoziologe vorlegt, will das Leben Offenbachs in ähnlicher Weise erzählen. Der Autor mischt dabei dokumentarisches Material und romanhafte Gestaltung in einer Art, die kaum noch das Auseinanderhalten ermöglicht. Wenngleich darauf hingewiesen wird, daß die im Text vorkommenden Originaldokumente ohne Veränderungen wiedergegeben wurden, so ist es keineswegs in jedem Fall klar, ob gerade ein Dokument oder ein frei erfundener Passus vorliegt. Selbst von dem-an und für sich einfacneri-Mittel, Originaldokumente ' kursiv oder in einer anderen typographischen Variante wiederzugeben, wird nur sporadisch und ohne Konsequenz Gebrauch gemacht. Da zudem Angaben über die Herkunft der Dokumente, Übersetzer usw. fehlen, ist das Werk für den Historiker ziemlich wertlos. Der Leser, der einen Roman mit historischem Hintergrund erwartet, wird schon besser bedient sein. Sil-berrnann ist als Musiksoziologe hinreichend bekannt; man darf von ihm erwarten, daß er auch dort, wo er selbst formuliert, die Gedanken Offenbachs zu Papier bringt. Von Verfälschung kann daher in diesem Sinne nicht die Rede sein, doch wird auch bei der entsprechenden Einstellung von seiten des Lesers einiges einzuwenden sein, das wiederum durch die seltsame Mischform bedingt ist: So kann man natürlich von Offenbach nicht erwarten, daß er die Zeitereignisse, die er in sein „Tagebuch“ aufnimmt, auch erklärt, kommentiert, mit Fußnoten versieht. Gerade das wäre aber häufig zum Verständnis notwendig.

Was als positiv anzuerkennen wäre, ist die gelungene Charakterisierung des Komponisten. Im übrigen scheint das Interesse des Autors mit fortschreitender Arbeit nachgelassen zu haben: Die Zeit der Jugend und der ersten Erfolge tritt noch plastisch hervor, später aber werden ganze Abschnitte übersprungen, wichtige Ereignisse (etwa die „Schöne Helena“!) kaum erwähnt, und gegen Ende werden die dokumentarischen Unterlagen immer spärlicher. Von „Hoffmanns Erzählungen“ ist kaum noch die Rede. Eine echte dokumentarische Biographie wäre sicher verdienstvoller gewesen als dieses Buch in seiner sonderbaren Zwitterstellung.

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