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Vereinzelung am Arbeitsplatz
Enorme Veränderungen finden in der Arbeitswelt statt: Das „System" dominiert und der Mensch tritt immer mehr in den Hintergrund.
Enorme Veränderungen finden in der Arbeitswelt statt: Das „System" dominiert und der Mensch tritt immer mehr in den Hintergrund.
Die bedeutendste Veränderung ist die Ablösung des „beruflichen Systems der Arbeit" durch ein „technisches System der Arbeit". Im beruflichen System der Arbeit wird das Arbeitsvermögen in bestimmten „Paketen" von Qualifikationen portioniert und - an den Träger dieser Qualifikation gebunden -angeboten. Es ist in der Nachfolge des Handwerks im Zug der Industrialisierung entstanden und bietet den Unternehmen in relativ fertiger Form verwertbares Rerufswissen an. Dabei ist die Ausbildung (Berufsvorbildung) eine notwendige Investition in das „Produkt" beruflicher Fertigkeiten. Die Qualifikation wird dadurch unmittelbar anwendbare „Produktivkraft" und unverzichtbare Vorauset-zung für die Durchführung eines bestimmten Typs von Produktion.
Im technischen System der Arbeit ist Qualifikation selbstverständlich ebensowenig verzichtbar, sie bildet jedoch nicht mehr den „Schlußstein" in der Anwendung der Produktivkräfte. Hier ist es die Organisation der Produktion selbst, welche durch ein vorgegebenes System fester Beziehungen die Anforderungen an die Arbeitskräfte definiert und organisiert.
Das technische System der Arbeit ist vom beruflichen System der Arbeit in erster Linie und fundamental dadurch unterschieden, daß die Muster und der rasche Wechsel der geforderten Qualifikationen primär und dominant an das „System" gebunden sind statt an die Arbeitskräfte.
Die zunehmend abstrakter werdenden Strukturen von Produktion, Forschung, Entwicklung und Dienstleistungen schwächen die Identifikation der Arbeitenden mit dem Produktionsprozeß: Die klassische Entfremdung der Arbeiter von ihren Produkten basierte noch auf der für sie selbstverständlichen Überschaubarkeit des Wechselverhältnisses zwischen der von ihnen eingebrachten Qualifikation und dem Vorgang der Produktion. Die modernen Management- und Organisationsstrukturen zielen dagegen in aller Begel konsequent darauf ab, von den einzelnen Merkmalen der Beschäftigten unab hängig zu werden; stattdessen werden lernfähige, flexibel einsetz- und spezialisierbare Mitarbeiter gesucht, die durch innerbetriebliche Schulung und ständige Weiterbildung spezialisierte, aber eben von den Produktionsnotwendigkeiten diktierte Leistungen erbringen.
Diese Ansprüche setzen hohe Qualifikationen auf relativ breiten Gebieten und eine gut trainierte Eignung zur raschen Annahme von speziellen neuen Qualifikationen voraus. Ideale Qualifikationsmuster entstehen so auf ' der Basis höherer schulischer oder universitärer Berufsvorbildung, die durch inner- und überbetrieblich institutionalisierte Weiterbildung ständig ergänzt und weiterentwickelt wird.
In der praktischen Arbeit werden dadurch ehemals klar konturierte Berufsmerkmale verwischt, die Erkennbarkeit und Zuordnung von Tätigkeiten zu Berufen und Ausübenden („Berufstätigen") sinkt: Die persönliche Identität von Angehörigen eines solchen technischen Systems der Arbeit ist demzufolge immer weniger auf konkrete Produktionsprozesse, noch weniger auf die vorangegangene Ausbildung gestützt.
In der Tradition der westlichen Kultur der europäisch-nordamerikanischen Industrieländer führt dies zu einem massiv zunehmenden Streben nach Individualisierung.
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