6634193-1957_04_14.jpg
Digital In Arbeit

Wir fahren zu viert

Werbung
Werbung
Werbung

Unter den Leserzuschriften, die die Rubrik „Autobahn und Rollfeld" des öfteren erhält, befand sich vor kurzem eine, über die wir uns hier unterhalten wollen, da wir der Ansicht sind, daß sie weniger vom technischen, dafür aber vom sozialpolitischen Standpunkt eine Erörterung auch auf breiterer Basis wert ist.

Die Problemstellung war, welche Bedeutung dem Kraftfahrzeug im Familienleben zukommt. Wir wollen hier versuchen, auf diese schwierige Frage sachlich zu antworten.

Das Kraftfahrzeug kann gleichermaßen eine Entfremdung von der Natur mit sich bringen, wie es wesentlich dazu beiträgt, ihr näherzukommen. Entscheidend ist hier wie überall der Mensch selbst. Ausgedehntere Wanderungen, wie sie noch vor einigen Jahren in größerem Umfang gepflegt wurden, werden heute weit nicht mehr in diesem Maße unternommen. Dafür aber verbringt eine wesentlich größere Zahl von Städtern das Wochenende nunmehr nicht nur in der näheren, sondern auch in der weiteren Umgebung ihres Wohnsitzes. Es ist natürlich Sache des einzelnen, ob er das Kraftfahrzeug als Mittel zum Zweck, d. h. als Transportmittel in eine ihm zusagende Umgebung benützt, die er dann zu Fuß in ausgedehnten Spaziergängen, in keiner Weise etwa durch eine unbequeme Anfahrt in Anspruch genommen, genießt, oder ob er, wie es leider eine ganze Reihe von Kraftfahrern zu tun pflegen, das Fahrzeug fast nicht verläßt und es gleichsam als Ersatz für die natürlichen Gehwerkzeuge verwendet.

Zweifellos ist die soziale Bedeutung des Kraftfahrzeuges gerade in dieser Hinsicht groß, denn der Arbeiter und Angestellte, der vor kurzer Zeit noch gar nicht daran denken konnte, siclr zu motorisieren, besitzt heute vielfach bereits nicht nur ein Motorrad, sondern häufig sogar einen kleinen Wagen. Dies befähigt ihn an sich dazu, wirklich erholsame und gesunde Wochenende zu verleben, die sich natürlich wieder auf die Arbeitsleistung und Arbeitsfreude auswirken.

Abgesehen davon, bedeuten Erholung in frischer Luft und ein gewisses Maß an Zufriedenheit eine weitaus geringere Anfälligkeit in gesundheitlicher Beziehung, was sich im Volksganzen wiederum positiv auswirken muß. Gerade für den finanziell weniger Gutsituierten bedeutet das Kraftfahrzeug etwas Erstrebenswertes. Die Befriedigung, die durch die Anschaffung und allein schon die Möglichkeit derselben gegeben ist, wirkt sich, sozialpolitisch gesehen, ebenfalls aus, denn erst eine zufriedene Bevölkerung zeigt wirklich politische Reife und wird damit nicht nur ein Garant der inneren Ruhe und Sicherheit eines Landes, sondern des Friedens überhaupt. Länder mit hohem Lebensstandard sind politisch sehr stabil. Und wenn schon politische Reibereien stattfinden, dann nur in einem sehr beschränkten Rahmen und ohne irgendwelche gefährliche revolutionäre Tendenzen. Wir wollen uns hier über die österreichische Politik nicht näher auseinandersetzen, und man kann darüber denken, wie man will, aber die österreichische Finanzpolitik hat durch die ständige Steigerung des Lebensstandards einen Status geschaffen, der interessanterweise das gerade hier vielgebrauchte Wort von der „guten, alten Zeit fast vollkommen zum Verschwinden gebracht hat, eine Tatsache, die man mehr beachten sollte.

Ein sehr wesentlicher Punkt bei der sozialen Konsolidierung eines Volkes ist heute der Besitz eines Kraftfahrzeuges, und hier möglichst eines Automobils, wobei nicht so sehr entscheidend ist, wie groß dieser Wagen ist; vielmehr ist vor allem der Besitz überhaupt entscheidend.

Die Familie als kleinste Zelle im Staat wird nun durch den Besitz eines Kraftfahrzeuges in den meisten Fällen positiv beeinflußt, d. h. die Anschaffung, die auch heute noch in den überwiegenden Fällen nicht allzu leicht ist, sondern oftmals ein rigoroses Sparen auf anderer Seite erfordert, ist dafür verantwortlich, daß Mittel, die ansonsten beim Kartenspiel, im Gasthause oder sonstigen zweifelhaften Belustigungen ausgegeben wurden, und hier natürlich in erster Linie vom Verdiener, also vorwiegend dem Mann, heute durch das eiserne Muß einer fälligen Rate bei irgendeiner Kreditstelle andere Wege nehmen, und man kann ruhig sagen: bessere. Dies bedeutet aber nicht weniger als mehr Häuslichkeit und Konzentration der Familienmitglieder auf ein Ziel. Eine solche Ausrichtung aber bringt notgedrungen ein allgemein besseres Verstehen mit sich. Weekendfahrten und Auslandsreisen führen zu Erlebnissen, überwiegend schönen, manchmal aber auch unangenehmen, die jedoch eines gemeinsam haben: sie steigern das Lebensgefühl und fördern die Kameradschaft. Das Familienleben erfährt dadurch also im Prinzip eine Förderung, die nicht unterschätzt werden sollte. Sonntage, die ansonsten im Zeichen einer grundverschiedenen Zerstreuungssucht der einzelnen Familienmitglieder standen, werden nun gemeinsam verbracht, und dies sogar sehr gern.

Die Möglichkeit aber, im Urlaub größere Auslandsreisen zu unternehmen, hat eine weitere, man möchte fast sagen europäische Bedeutung. Der Umstand, daß sich die Völker dadurch wesentlich näherkommen und durch das Kraftfahrzeug, das nicht wie die Bahn an eine bestimmte Strecke gebunden ist, einander intensiv und bis in den kleinsten Winkel eines Landes kennenlernen und damit näherkommen, muß ohne Zweifel auf die heute immer mehr erkennbaren Bestrebungen nach einem vereinten Europa befruchtend wirken. Fehlmeinungen, Voreingenommenheit und nicht zuletzt unsaubere Propaganda werden durch die Möglichkeit der eigenen Ueberzeugung und des persönlichen Eindruckes von einem Volk am wirkungsvollsten korrigiert.

Das Kraftfahrzeug ist heute nicht mehr nur einer der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren überhaupt, sondern es ist auch, sozial- und familienpolitisch gesehen, für eine Nation von entschei-

dender Bedeutung für ihre Existenz und Entwicklung. Es gehört zweifellos nicht zu den unbedingten Annehmlichkeiten, wenn man sich durch die Parkschwierigkeiten, die durch die starke Motorisierung fallweise auftreten, die Verkehrsmisere, namentlich im Zentrum der Städte, kaum noch fortbewegen oder placieren kann, aber diese relativ kleinen Unannehmlichkeiten stehen zu der wahren Bedeutung und Auswirkung der Motorisierung in keinem Verhältnis. Wir können nur hoffen, daß man die Politik der Motorisierung in angemessenem Tempo weiterführt. Motorisierung bedeutet Leben für eine große Anzahl von Industrien und Werkstätten, übt ihre fühlbare Wirkung auf das gesamte Wirtschaftsleben aus und ist damit ..heute eines der fruchtbarsten und befruchtendsten Wirtschaftsgebiete überhaupt. Das Kraftfahrzeug wirkt sich demnach nicht nur von innen, sondern auch von außen auf die Familie segenbringend aus.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung