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Die Häuser der Zukiinft

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Während die Sozialisten mit einem neuen Wohnungsprogramm vor allem Aufmerksamkeit erregen, weil es in vielen Punkten nunmehr das schon seit Jahren verfochtene Konzept des politischen Gegners als richtig anerkennt und sich ihm anschließt, vollzieht sich auf einem für Österreich neuen Sektor des Wohnungswesens ein Wandel, der das bisherige System revolutionieren könnte.

In aller Stille ist die Wohnbauforschung, für die mit dem Wohnibau- förderungsgesetz 1968 erstmals großzügige Mittel bereitgestellt werden kannten, auf Touren angelaufen. Radikal hat der Beirat für Wohnbauforschung, dem Spitzenarchitekten, Baufachleute, Raumplaner und Finanzexperten angehören, zunächst mit den reinen „Papierforschungen” aufgeräumt, die in der ersten Phase zahlreich angefallen sind. Die Experten verstehen unter „Papierforschung” Anträge, bei denen es den Bewerbern mehr um die für Forschungszwecke verfügbaren Gelder, nicht aber um echte Leistungen geht. Heute kann man dem Beirat durchaus bescheinigen, daß durch sein strenges Filtersieb wirklich nur ernst zu nehmende Vorhaben hindurchgelangt sind.

Unter den Programmen, für die inzwischen beträchtliche Summen genehmigt werden konnten, befinden sich respektable Brocken, von denen man siich viel versprechen kann.

Für die Wohnungswerber besonders interessant erscheint eine Untersuchung, die sich mit Fragen der Automation im Wohnbau auseinandersetzt. Es geht dabei um die Vermeidung arbeitsintensiver Leistungen, also um den Abbau von Kosten. Geplant ist im Rahmen dieses Forschungsvorhabens ein elektronisch gesteuertes, vollautomatisches Fertigteilwerk, das mit einem Minimum an menschlicher Arbeitskraft ein Maximum an sogenannten Großtafeln erzeugen soll. Diese Tafeln werden jedoch so konstruiert sein, daß sie den planenden Architekten volle Gestaltungsfreiheit lassen. Solcherart erzeugte Wohnungen aus der Retorte würden mit halben.

Baukosten verbunden sein. Das Forscherteam, das den Computer zur Großtafelproduktion einspannen will, verspricht sich von der heute noch utopisch anmutenden Woh- nungsfaforik die Beseitigung der Diskrepanz zwischen den Wohnbaukosten und den Kosten der übrigen Bedarfsgüter.

In eine ähnliche Richtung zielt ein Vorhaben österreichischer Architekten, das sich mit der Entwicklung sogenannter „hexagonaler Wohnzelten” befaßt, denen also auch eine völlig neue Vorstellung vom Haus der Zukunft vorschwebt. Diese Gruppe motiviert ihre Bemühungen mit dem Ziel, eine völlig neue Technologie für die Herstellung von Wohneinheiten zu entwickeln. Die Fachleute des Wohnbauforschungsbeirates nehmen — und das ist für den Laien besonders erstaunlich — diese Ideen durchaus ernst, zumal sich auch dieses System für eine Fließbandherstellung in Fabriken eignet. Als Werkstoffe bieten sich hier Metall und synthetische Baumaterialien an.

Indessen wendet sich die Wohnbau- forschung nicht bloß der wirtschaftlich-praktischen Seite zu. Aufgenommen in den Forschungsrahmen sind auch Untersuchungen soziologischer Art, die zur Vermeidung von Fehlinvestitionen größeren Stils unerläßlich sind.

Ausgehend von der Tatsache, daß heute auch in Österreich der qualitative Bedarf den quantitativen Bedarf längst überrundet hat — was ürigens nunmehr auch die Sozialisten in Abkehr von ihren bisherigen Ansichten anerkennen —, prüft eine Forschergruppe die von großräumigen Wohnbauvorhaben ausgelösten soziologischen Probleme. Im Vordergrund stehen dabei Fragen der Famil i enentfal tung und Zusammenlebensprobleme in neuen Siedlungsgebieten.

Einen eindeutig sozialen Zweck hat ein weiteres Vorhaben, das sich die Erarbeitung geeigneter Wohnformen für Körperbehinderte, und zwar zu tragbaren Kosten, zum Ziel gesetzt hat. Diese Untersuchung läuft gleichzeitig in Richtung auf Formen, die sich für Fertigteilbauweisen eignen, und auf Strukturen, die das Terrassenhaus den Bedürfnissen körperbehinderter Menschen anpassen sollen.

Diese aus einer Fülle von Vorhaben herausgegriffenen Beispiele moderner Wohnbauforschung, die das Wohnbauförderungsgesetz 1968 ermöglicht hat, beweisen, daß sich ein grundsätzlicher Wandel im österreichischen Wohnungswesen von der konkreten Forschung her bereits anbahnt.

Von besonderer Bedeutung wird in diesem Zusammenhang der Forschungsplan für den Wohnbau sein, der sich gegenwärtig in der Endreaktion befindet.

Knapp vor dem Start steht auch ein großer Wettbewerb, der in allen Bundesländern anläuft. Dieser Wettbewerb soll die Schaffung besserer Strukturen sowohl in funktioneller als auch in wirtschaftlicher und architektonischer Hinsicht stimulieren. Der Wettbewerb wird keinesfalls bloß mit der Prämiierung der eingereichten Arbeiten enden. Die preisgekrönten Projekte sollen vielmehr als sichtbare Beispiele, wie man es besser machen könnte, auch tatsächlich zur Ausführung kommen. Jedes Bundesland wird sodann über ein Musterhaus, über eine Mustersiedlung, eventuell sogar ülber eine fortschrittliche Satellitenstadt verfügen.

Die von den Vätern des Wohnbau- förderungsgesetzes gegen heftige Widerstände durchgesetzte Wohnbauforschung hat sich jedenfalls als ein taugliches Instrument zur Bewältigung der Zukunftsaufgaben im Wohnbau erwiesen.

Nachdem es gelang, mit Hilfe der Wohnungsreform der beiden vergangenen Jahre das erstarrte System zu durchibrechen und zu einer erhöhten Mobilität des Wohnungsmarktes zu gelangen, zeichnet sich nun über die Wohnbauforschung auch die notwendige strukturelle Verbesserung ab. Die Wissenschaft ist dabei, den Weg zu bahnen.

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