Bilder für jedes JAHRHUNDERT

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Die Schrecken des Krieges haben ganz normale Gesichter, das zeigte Jacques Callot in seinen berühmten Radierungen über den Dreißigjährigen Krieg. Seine Unheilsbilder bleiben leider aktuell.

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Die Schrecken des Krieges haben ganz normale Gesichter, das zeigte Jacques Callot in seinen berühmten Radierungen über den Dreißigjährigen Krieg. Seine Unheilsbilder bleiben leider aktuell.

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Diese Bilder verlangen nach einer sehr langsamen Betrachtung, am liebsten unter Zuhilfenahme einer Lupe. Sie sind detailreich und -besessen. Man kann sie stundenlang anschauen, all diese Hüte, Hosen, Waffen ... Auch und vor allem die Gesichter, wenn man eine besonders starke Lupe zur Verfügung hat - diese ganz normalen Gesichter der ganz normalen Menschen wie du und ich, mit dem Tod und der Zerstörung als Beruf beschäftigt. Überhaupt: Die Schrecken des Krieges haben vollkommen normale Gesichter.

Selten bekommen die kleinen Bilder einen großen symbolischen oder gar poetischen Wert, und wenn das geschieht - wie bei "Die Gehenkten", diesem mehr als berühmten Baum, an dem Menschen wie große lange Blätter baumeln, als ob man Tabak zum Trocknen in den Hof gehängt hätte -,ist das kaum vom Autor gewollt oder beabsichtigt. Seine bürgerliche Nüchternheit erlaubt ihm nicht, aufgeregt zu wirken, seine tiefe Religiosität lässt nicht zu, dass er Menschentaten aburteilt -"Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr" -, er kann sie lediglich registrieren und seinen Zeitgenossen und den späteren Generationen zur Verfügung stellen: "Schaut, wozu ihr ... wozu wir fähig sind." Aber ohne Zeigefinger.

Ich schreibe hier über "Die großen Schrecken des Krieges" von Jacques Callot, jene berühmten 18 Radierungen über den Dreißigjährigen Krieg, die nun im Innsbrucker Limbus Verlag wiedererschienen sind, herausgegeben und mit einem Nachwort von Bernd Schuchter versehen, in dem biografische Daten sowie der geschichtliche Kontext ausführlich geschildert werden.

Jacques Callot wurde 1592 in Nancy, der Hauptstadt des damals mehr oder weniger unabhängigen Herzogtums Lothringen, als Sohn des herzoglichen Wappenherolds geboren; gestorben ist er 1635 ebenda, in Lothringen, das nun zu Frankreich gehörte (nicht endgültig, dies wurde erst im 18. Jahrhundert besiegelt). Wie seine fünf Brüder war er für die Kirche bestimmt worden, das große zeichnerische Talent überzeugte aber die Eltern (nach zweimaligem Wegrennen des Knaben gen Italien), ihn in die Kunstlehre zu geben.

Erfolgreicher Radierer und Kupferstecher

Später studierte und arbeitete Callot in Rom und Florenz, Anfang der 1620er-Jahre kehrte er nach Nancy zurück und wurde ein überaus erfolgreicher Radierer und Kupferstecher mit prall gefüllten Auftragsbüchern - und mit wichtigen Erfindungen, die sein Gewerbe technisch revolutionierten. Künstlerisch gilt er als einer der beiden größten europäischen Radierer des 17. Jahrhunderts (neben Matthäus Merian dem Älteren, der einige Zeit bei ihm in der Werkstatt gearbeitet hat). Callot spielt nicht nur in der Kunstund Technikgeschichte eine bedeutende Rolle, sondern auch in der Geschichte Europas; akribisch genau hat er eine tragische, archetypische Episode dieser Geschichte festgehalten: den Dreißigjährigen Krieg. Es kommt nicht von ungefähr, dass seine 18 Radierungen, genannt "Les grandes misères de la guerre", immer wieder, mit einer gewissen Regelmäßigkeit, große Aktualität erlangen. Leider.

"Die großen Schrecken" sind 1633 in Paris erschienen, zeitlich genau in der Mitte des Dreißigjährigen Krieges, der 1618 mit dem Aufstand der böhmischen Stände begann und 1648 mit dem Westfälischen Frieden endete. Wir machen aber einen Schritt zurück, ins Jahr 1613. Am Valentinstag jenes Jahres wurde in London die Heirat der Elisabeth Stuart, der Tochter von James I., und des Pfälzer Kurfürsten Friedrichs V., des späteren sogenannten böhmischen "Winterkönigs", vollzogen. Es predigte vor den Frischvermählten Reverend John Donne, der auch ein sehr schönes Gedicht ("An Epithalamion, or Marriage Song on the Lady Elizabeth and Count Palatine being married on St. Valentine's Day") zu Ehren dieser Heirat verfasste.

Nach der Trauung fuhr das Paar durch ganz Europa in die Hauptstadt des Ehemanns, nach Heidelberg, überall von Protestanten als die Erlöser und das personalisierte Versprechen eines neuen goldenen Zeitalters empfangen. Die legendären Heidelberger Feierlichkeiten wurden mit dem ganzen Glanz der etwas verspäteten, aber darum nicht weniger beeindruckenden englischen Renaissance gestaltet (Inigo Jones und Francis Bacon haben daran teilgenommen) und hinterließen einen bleibenden Eindruck. Die Erwartung eines utopischen Zeitalters war allgegenwärtig. Dann aber nahm die Geschichte ihren Lauf: Der Prager Fenstersturz, die Wahl des Pfälzers zum böhmischen König, die Schlacht am Weißen Berg, in der die protestantischen Tschechen gegen katholische Deutsche verloren usw.

Zerstörung und Verbrennung

In der Folge blieben anstatt des Heils für alle Europäer, zumindest für die Protestantischen, nur die Unheilsbilder der Kriegsschrecken, die wir langsam und traurig bei Callot studieren können oder sogar müssen: "Die Plünderung", "Die Zerstörung eines Klosters", "Zerstörung und Verbrennung eines Dorfes","Der Wippgalgen","Die Gehenkten","Die Erschießung" und mehr - noch zwölf Blätter von den "Großen Schrecken des Krieges" und dazu noch sechs von den "Kleinen Schrecken", wenn sie zur Hand sind. Diese Schrecken haben keine Konfessionalität, darin gibt es keine Katholiken oder Lutheraner oder Calvinisten, obwohl Callot selbst ein gläubiger Katholik war und wahrscheinlich mit den "Seinigen" sympathisierte.

Der Dreißigjährige Krieg war der erste "totale Krieg" in der europäischen Geschichte, der erste Krieg aller gegen alle, der Weltkrieg Nr. 0 sozusagen. Vor dem Hintergrund der utopischen Erwartungen, die fünf Jahre zuvor noch allgegenwärtig gewesen waren, wirkte die totale Grausamkeit besonders grausam, denn der Krieg schien unendlich zu sein und geschah überall, ohne klare Fronten.

Totaler Krieg nach Selbstüberschätzung

Dieser Krieg hat das Muster erschaffen, das sich in der Geschichte Europas mindestens einmal pro Jahrhundert wiederholt: eine Euphorie, eine Erwartung des baldigen goldenen Zeitalters, eine Selbstüberschätzung und Selbstgefälligkeit, die ihresgleichen sucht; nehmen wir zum Beispiel die Französische Revolution mit ihrem Versprechen von Liberté, Égalité, Fraternité, das in zwei Jahrzehnte der Revolutions-und Napoleonischen Kriege mündete, die nicht weniger grausam waren als der Dreißigjährige Krieg. Oder nehmen wir die Überzeugung der Europäer am Ende des 19. Jahrhunderts, dass eine Ära des ewigen Friedens angebrochen sei, weil die Zivilisation (Wissenschaft, Technik) sich so weit entwickelt habe, dass der Krieg keinen Sinn mehr habe (oft wurde als Beispiel und Argument das Maschinengewehr bemüht, das jeden Krieg sinnlos mache).

Die Menschen wollen das nicht unbedingt wahrhaben, aber die Grausamkeit des Krieges vergrößert -oder vielmehr vertieft - sich mit der weiteren, immer höheren Entwicklung von Wissenschaft und Technik. Das war bereits im 17. Jahrhundert so, also in der Frühen Neuzeit, das ist auch jetzt nicht anders. Jeder Fortschritt bedeutet, neben mehr Komfort, mehr und bessere Arzneien, die Leben länger machen, und mehr Lebensqualität, auch stärkere und perfidere Waffen.

Man vergisst das immer wieder, wahrscheinlich liegt das am Kulturcode des modernen Menschen, aber -Europäer von heute, nimm dir eine große, starke Lupe und betrachte langsam die Seiten dieses Buches. Und erinnere dich an das Ende der Geschichte, das nach 1992 den Westen einige Zeit lang euphorisierte ...

Die Geschichte hat jedoch kein Ende und kann es nicht haben, daran erinnern uns diese Callot-Bilder, seine "Les grandes misères de la guerre".

Der 1959 in Leningrad geborene Autor ist Lyriker, Romancier, Dramatiker, Essayist und Übersetzer. Er lebt in Frankfurt

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