Die Offenbarung muß uns genügen

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Wir alle müssen einmal sterben und wissen nicht, wo und wie: Die Botschaft des Aschermittwochs ist offensichtlich und unwiderlegbar.

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Wir alle müssen einmal sterben und wissen nicht, wo und wie: Die Botschaft des Aschermittwochs ist offensichtlich und unwiderlegbar.

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Ein Tag im Kirchenjahr unterscheidet sich von allen anderen Festen und Terminen mit einer Botschaft, die eigentlich keinen Glauben und keine bestimmte Religion erfordert. Die Botschaft des Aschermittwochs ist so einfach durch Beobachtung nachprüfbar, daß jeder Zweifel ausgeschlossen ist: Wir alle müssen sterben und wissen nicht einmal wann, wo und wie. Mit dem Aschenkreuz und dem Zitat aus dem dritten Kapitel der Genesis ruft die Kirche einer hedonistischen Gesellschaft, die den Tod verdrängt, aber keineswegs besiegt hat, eine völlig einsichtige und unwiderlegbare Tatsache ins Gedächtnis: Überhebe dich nicht und bilde dir nichts ein, denn du bist Staub und wirst zum Staub zurückkehren. Wer das nicht wahrhaben will, dem ist nicht zu helfen.

Mitunter wird die Botschaft des Aschenkreuzes als eine Art schadenfrohe Drohung empfunden: Du kannst machen was du willst, deine Vergänglichkeit holt dich doch ein! Und wehe wenn du schlimm warst, dann wirst du im Tod eine Beute des Teufels!

Daß solche mehr oder minder unterschwelligen Drohbotschaften eine Verzerrung der Frohbotschaft und Güte Gottes sind, wissen wir mittlerweile. Eine Farce ist der Tod aber deswegen nicht. Sein Trost und seine Gerechtigkeit liegt darin, daß wir in ihm ein wahres Urteil über uns selbst erwarten dürfen - und daß keiner von uns so gut und gerecht war, daß er nicht der Barmherzigkeit bedürfte. Aus diesem Grund ist das Aschenkreuz auch ein Aufruf zu Reue und Vertrauen - und damit ein christliches Zeichen, welches über die nackte Botschaft, daß wir sterben müssen, weit hinausgeht. Ursprünglich war diese Sakramentalie ja die Bestreuung der Taufkandidaten mit Asche. Unsere Redensart von Buße in Sack und Asche erinnert noch daran.

Die Asche als anorganischer Rest nach der Oxidation organischer Substanz ist keineswegs so trostlos wie sie als grauer Staub erscheint. Wir haben als Menschen heute die Wahl, unseren Leichnam der biogenen und bakteriellen Oxidation durch Verwesung oder der thermischen Oxidation im Feuer anheimzugeben. In beiden Fällen sind wir nach dem Gesetz der Erhaltung der Materie unzerstörbar. Die Moleküle und Atome unseres Körperbaus kehren in den Kreislauf der Elemente zurück. Wir alle tragen Calcium, Phosphor, Schwefel und andere Bausteine in unserem Körper, die schon unsere Vorfahren in sich getragen haben. Das Kohlendioxid der Luft, welches unsere Nahrungspflanzen assimilieren, stammt auch aus der Verwesung oder Verbrennung von Leichen - und über die Nahrungskette bildet es den Kohlenstoff in den organischen Verbindungen unseres lebenden Körpers.

Insoferne ist der Staub, in den wir zurückkehren, kein Endprodukt. Wenn wir den morbiden Zusammenhang, der chemisch evident ist, als Symbol betrachten wollen, so ist er ein Zeichen des Weitergebens der Materie, solange diese unsere Welt mit ihren naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten besteht. Daß es der Schöpfer in dieser Art so wollte, mag auch als Hinweis darauf zu deuten sein, daß nichts Vergängliches wirklich vergeht.

Der Mensch ist aber bekanntlich mehr als ein Super-Computer - und Leben ist mehr als eine biologische Funktion. Die Definition des Zeitpunkts, an dem menschliches Leben erlöscht, ist schwierig. Die Medizin hat sich auf das Erlöschen der Gehirnströme geeinigt, aber die letzte Erkenntnis ist das noch nicht. Vielleicht wollte der Schöpfer über den genauen Zeitpunkt den Schleier des Geheimnisses breiten, um uns damit Ehrfurcht vor der Stunde des Sterbens zu lehren.

Denn der Vorgang ist ja nicht bloß ein materieller. Der Tod ist die Trennung der Lebenseinheit von Körper und Seele, von jener Einheit, die das Leben konstituiert und im Falle des Menschen durch Bewußtsein und Selbstreflexion eine hervorragende Ausnahme unter den Lebewesen des uns bekannten Kosmos bildet.

Die christliche Lehre von der Unsterblichkeit der Seele bedarf einiger Differenzierung, denn sie war schon vorchristliche Überzeugung der griechischen Philosophie und wird von der sogenannten Aufklärung bis zur modernen Esoterik in verschiedenen Varianten tradiert. Die christliche Verheißung unterscheidet sich von synkretistischen Verschwommenheiten und allerlei Abenteuern einer geistig vagabundierenden Seele. Verheißen und daher korrekter Glaubensinhalt ist die Auferstehung der Toten und ein Leben in einer zukünftigen zeitlosen Welt. Das bedeutet eine göttliche Erweckung der menschlichen Ganzheit. Die Eschatologen sprechen von der Unzerstörbarkeit, nicht von der Unsterblichkeit der Seele.

Theologische und philosophische Wortklaubereien und Spitzfindigkeiten finden heutzutage wenig Verständnis und Beifall. Die künstlerischen Darstellungen des Jüngsten Gerichts sind bildliche Allegorien. Wie kann und soll sich ein christlicher Zeitgenosse also vorstellen, was bei und nach seinem Tode geschieht?

Mein Rat ist, sich überhaupt nichts Konkretes vorzustellen. Wir glauben als Christen, daß uns Rechenschaft über unser Leben abverlangt und eine zeitlose Freude bereitet ist. Mehr wissen wir nicht, alles andere ist Spekulation. Es gehört zu einer vernünftigen Demut, sich mit dem Nichtwissen der Einzelheiten abzufinden. Wenn es soweit ist, werden wir es erfahren. Das macht den Tod auch irgendwie spannend.

Es gibt Modelle aus der Evolutionslehre, wie sie zum Beispiel Teilhard de Chardin entwickelt hat. Er meint, daß die Auferstehung eine Art kollektiver Existenz in Konzentration auf den Punkt Omega sei. Das wäre möglich und befriedigt die Neugier derer, die es vorzeitig wissen wollen. Die Verbindung von Wissen und Glauben, die so wünschenswert ist, wäre mit diesem Modell zeitgemäß. Es sei denen, die sich das vorstellen wollen, unbenommen. Aber wir wissen es nicht.

Die Asche, die uns auf die Stirne gestreut wird, ist daher auch eine Aufforderung, sich in das letztliche Nichtwissen der Einzelheiten zu fügen. Die Zeiten, in denen eine allwissende Kirche über die Details des Jenseits triumphalistisch Bescheid verkündete, sind vorbei.

Wir wissen trotz aller Forschungen und Formeln ja auch nicht, ob sich der Kosmos ausdehnt oder zusammenzieht. Wir kennen die wirkenden Kräfte und ihre Gesetze, aber die letzten Konsequenzen sind uns verborgen. Seit der Relativitätstheorie haben wir einen neuen Begriff der Zeit und damit eine Ahnung von einer möglichen Zeitlosigkeit, die unsere Überlieferung Ewigkeit nennt. Und wir wissen mittlerweile auch, daß wir verschwindende Winzlinge auf einer Kugel sind, die um einen von Abermilliarden Sternen kreist.

Und wenn wir uns das alles vorstellen, so ist es vielleicht leichter, aus der Gnade einer Offenbarung, die uns zuteil wurde, keinen Anspruch auf einen Detailblick nach dem Tode abzuleiten. Die Versprechung muß uns genügen.

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