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Staut, Asclie und nicn ts

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In der Kathedrale zu Toledo hängen über den Gräbern der Erzbischöfe an langen roten Kordeln die Kardinalshüte aus dem Gewölbe herab. Auf den Steinplatten sind Namen und Titel der Kirchenfürsten aufgezeichnet. Auf einer dieser Grabplatten steht nichts als das seltsame Wort: „Hic jacet cinis, pulvis et nihil — Hier liegt Staub, Asche und nichts!“ Über diesen Worten hängt ein schwarzer Hut. Eines Weisen letzter Wunsch scheint hier erfüllt worden zu sein: wozu soll man in die Geschichte def Welt eingehen und seinen Namen verewigen? Man hat seinen Dienst getan, man wird abberufen, man verschwindet in die große Zahl der Namenlosen, hoffend, daß man im Buche des Lebens und in Gottes Herzliebe verzeichnet ist. Im Tode offenbart sich, was wir lebenslang waren: „Staub, Asche und nichts!“

Aus dem Nichts rief Gottes Allmacht dieses Etwas, das wir sind: Immer-neben-Ihm, Nie-Er, Fast-Nichts, Geschöpfe. Was nicht Gott ist, müßte nicht sein. Nichts außer Gott ist wirklich und notwendig. Wenn außer Ihm noch etwas ist, stammt es von Ihm, wird es gehalten von Ihm, bleibt von Ihm begründet und ist nach Seinem Willen. Die Geschöpfe sind eine Mischung aus Gott und Nichts — näher am Nichts als bei Gott. Mehr ist es nicht, was NichtGott ist.

„Omnes homines terra et cinis — Alle Men-len sind Erde und Asche (Eecli 17, 31). sagt das Buch der Weisheit. Gott nahm von dem Staub der Erde, formte den Menschenleib und hauchte diesem den Lebensodem ein. Von Gott angewehter Erdenstaub — das sind die Menschen. Das Wunderwerk unseres Leibes lebt 20, 50, 90 Jahre lang — unter Mühen und Gefahren zwar — im Auf und Ab von chemischen Vorgängen, kompliziert, geheimnisvoll, rätselhaft. Und doch ist dieser ganze Organismus nichts weiter als ein wenig Staub, der in Gang gebracht wurde. Staub, zerriebene, zerstobene Erde; Staub, ein unausrottbarer Mahner an das, was wir sind. Staub ist stark, fast göttlich, fast allgegenwärtig, fast allmächtig, weil er sich immer und überall ansetzt. Er ist in der Luft und auf den Gewändern, in den Zimmern und auf den Möbeln, im Heiligtum und auf den Straßen. Immer ist Staub, überall ist Staub. Man kann sich nicht wehren gegen den Staub, man kann ihn verlagern, von einer Ecke in die andere scheuchen, — aber Staub bleibt Staub. Regen, Sonne und Winde sind mit ihm im Bunde. Manchmal sammelt der Regen den Staub und es wird Schmutz und Lehm aus ihm; manchmal trocknet ihn die Sonne wieder und er zerfällt in seine hundert-tausendmillionen Teilchen, kleiner und kleiner; und hinaus und hinauf und hinunter. Wir Menschen leben zwischen diesem Staub, nehmen teil an ihm, sind ihm ausgesetzt. — Diese unheimliche Mahnung an den Menschen: nur eine kleine Weile, o Mensch, bist du zusammengesetzter, zu Organismus belebter Staub — nur eine kurze Weile —, dann wirst du wieder wie wir: du zerfällst, du wirst klein und kleiner, und in aber hunderttausendmillionen Teilchen zerfällst du und der Wind wird dich wirbeln und der Regen wird dich neu sammeln und die Sonne wird dich wieder trocknen, und du wirst in allem und jedem wiederauferstehen, um zu vergehen, verwehen... Inzwischen ist der Staub durch den menschlichen Geist belebt; ist schön; ist wohlgeformt; hat Lust und Schmerz. Der Leib ist aus nahezu unendlichen Staubkörnchen und mit der Seele zusammengesetzt. Das ist der Mensch — eine seltsame, vielfache Mischung, eine bizarre Zusammensetzung — anscheinend Unvereinbarstes ist eine Weile ein Ganzes. „Bevor noch zerspleißt das silberne Seil, bevor zerbirst die goldene Kugel, bevor der Krug am Brunnen zerbricht, bevor das Schöpfrad zertrümmert in die Zisterne fällt - zur Erde kehrt der Staub, so wie er war. Es kehrt der Geist zurück zur Gottheit, die ihn gab“, sagt Cohelet,der Weise in Jerusalem (Cohelet 12, 6—7), und der Wind trägt ihn fort, weht ihn hinein.

Fast nichts und ein wenig mühsam zusammengeballter Staub — der Mensch, Adam, Erde: der wollte Gott sein und Geist sein und Ewigkeit sein. Da traf ihn der Fluch Gottes. Gott wies den Menschen zurecht: „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen bis du zur Erde zurückkehrst, von der du genommen bist. Denn du bist Staub und sollst zu Staub zurückkehren“ (Gen 3, 19). Auch, nun ist das, was wir immer waren, zu einem Strafzustand geworden; was gebrechlich und zerbrechlich war, wurde zum Verbrechen; für dies leben wir nun in Strafe: was wir sind, wurde zu einem Zeichen, daß wir Sünder sind. Geschöpf sein und Sünder sein, das ist vor Gott weniger als fast nichts, Job hatte in seinem Zustand gute Einsicht: „Ich tadle mich selbst und tu Buße in Staub und Asche!“ Job tadelte seinen menschlichen Hochmut, tadelt die irrsinnige Eitelkeit in sich und tut mit sich selbst Buße: im Staub büßt er als Staub, in Asche büßt er als Asche. So wendet sich Job um und macht aus dem Geschöpf und Sünder einen Büßer. Buße ist Umkehr: büßend kehren wir mühsam und in Schmerzen, gottgetadelt und von uns selbst getadelt, um. Wir kehren aus dem Verbrechen um in die Gebrechlichkeit unseres Menschenlebens; wir kehren mit der Reue unseres Herzens und mit der Gnade unseres Gottes um und wünschen nichts sehnlicher als Menschen sein zu dürfen: vom Staub genommene, zum Staub zurückkehrende, mit Geist gelinderte Lebewesen. Des Hochmuts fähig und der Reue fähig leben wir — wie wir sagen — „geistig“, des Zerfalls und des Untergangs fähig leben wir — wie wir sagen — „körperlich“. Und das Ganze ist der Mensch: geistig und körperlich und doch eins. Ganz und eins in allen Möglichkeiten von Ja und Nein, von Staubansammlung und Staubauflösung. — In diesen seltsam zusammengesetzten Menschen ergießt sich Gott. Gott in Seinem Wunder: daß Er uns im Dasein erhält, ohne uns zornig in Nichts aufzulösen. Gott ergießt sich in dem Wunder, daß Er selbst in Seinem ewigen Sohne solch ein Geschöpf wird: Gott wird Mensch. Gott ergießt sich in dem Wunder: uns Menschen durch den Gottmenschen zu lieben. Gott ergießt sich: in uns Menschen, die Er wundersam liebt; Wohnung nehmen, Seinen Himmel, Sein Wesen und Leben läßt Er in uns nieder. Gott ergießt sich in dem Wunder, daß Er sich. Sein dreieiniges Leben ausgießt in unsere Herzen, um uns teilnehmen zu lassen an Seinem dreieinigen, Seinem eigenen innerlichen Leben. Dieses sich ergießende Wunder unseres Gottes macht aus dem Menschen „Fast-Nichts“ den Menschen (mit Namen:) „Fast-Gott“. Es ist nicht viel um den Menschen; und es ist zu viel um den Menschen. Der Mensch ist nicht viel; der Mensch ist zu viel! Adam hielt es nicht aus, wenig zu sein; halten wir es aus, viel zu sein?! Adam ertrug es nicht, Fast-Nichts zu sein; werden wir es ertragen, Fast-Gott zu sein?!

Es ist unheimlich, ein gottgeliebter Mensch zu sein: viel Staub und wenig Geist und viel Heiliger Geist. Es ist uns so unheimlich, daß wir manchmal davor fliehen: in Unglaube und in Sünde. „Das kann nicht sein!“, „das darf nicht sein!“, „das ist doch unmöglich!“, „das ist Vermessenheit!“ — so und ähnlich heißen unsere sündigen Selbstbetrüge... Dann muß solches Geschöpf wiederum umkehren wie Job: Staub und Reue und Gottes Liebe sammeln sich wieder zueinander und werden eins: der reuige Sündenmensch in Gnaden Gottes.

Wenn wir über uns selbst nachdenken, finden wir uns sehr kompliziert. Vielleicht wäre es besser, wenn wir nur die äußersten Enden unseres Menschenlebens öfter bedächten. Hier: Staub, Asche und Nichts. Dort: der herrliche, dreieinige Gott. Dann könnten wir vielleicht alle Möglichkeiten und alle Zwischenstadien unseres Mensch seins leichter überstehen und bestehen. Das Auf und Ab, das Hin und Her, die unbeständige Wende und Wiederkehr wären wichtig, aber nicht zu wichtig. Denn wir wüßten immer, was w i r sind und der Ganz Andere, was Gott ist. Mit diesem erlebten Wissen lebten wir richtiger. — Und wer -dies noch nicht kann, wer das andere Ende, den göttlichen Pol. seines Lebens nicht kennt und noch nicht kann, der sollte wenigstens seiner geschöpflichen Bedingung eingedenk sein: „Staub, Asche und Nichts!“ Wer dies lebt und dies allein, lebt schon viel richtiger und viel wesentlicher als alle, die einen falschen Menschen meinen und einen falschen oder keinen Gott. Es ist so gut, bedenken zu können, was es um deh Menschen ist: Staub, Asche und Nichts! Dann gibt es keine eiteln Erwartungen im Ich, keine eiteln Erwartungen von den Mitmenschen, keine eiteln Erwartungen von der Geschichte der Menschheit. Dann, wenn wir es kennen und können „Staub, Asche und Nichts“, haben wir \bstand von uns selbst und den das Rechte meidenden Abstand; den Abstand von den anderen Menschen und allen Ereignissen des Menschenlebens. Wir fühlen uns eingeordnet in das Große, in das Ganze und überheben uns nicht. Dann hat Gott Seine Möglichkeit in unserem demütigen Herzen; es gibt' für Ihn den freien Platz, den wir Ihm offen lassen. — Wer aber beide Pole kennt und kann; wer einverstanden ist mit „Staub, Asche und Nichts“ und Gottes herrlicher Heiligkeit, der hat in Gott und in sich und in allem den besten Zustand: er vermischt nicht, was nicht vermischt gehört, er trennt nicht, was nicht getrennt gehört. Solcher Zustand zeigt sich in der stillen, in der schweigenden, in der einsamen, in der großen Freude: Freude daran, ein Mensch zu sein für eine kleine Weile; von Gott geliebt zu sein für die ewige Weile; zu leben die kurze und die ewige Weile und — nichts zu verstehen vom Ganzen. Diese Freude kann auf Erden bestehen; diese Freude weist uns hinaus in das Kommende.

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