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DIE MELKKUH

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Wenn man sich die Dinge einmal aus einem weniger gewohn-“ ten Blickwinkel besieht, dann hat es den Anschein, als ob das Fernsehen nur dazu erfunden worden wäre, einen von vielen Menschen gehegten Wunschtraum zu erfüllen: eine unerschöpfliche und unbeschränkt anzapfbare Geldquelle zu besitzen. Wo immer auch nur die leiseste Vermutung auftaucht, daß irgend etwas oder irgendwer zum Gegenstand einer Fernsehsendung werden könnte, so kreisen die Gedanken der Betreffenden sofort um Geldbeträge in einer Höhe, von der man ansonsten gar nicht zu träumen gewagt hätte.

Es soll hier nun nicht etwa dagegen Stellung genommen werden, daß eine für das Fernsehen erbrachte Leistung auch entsprechend honoriert wird. Im Gegenteil: Wer ein Fernsehbuch schreibt, wer vor die Fernsehkamera tritt, um eine Rolle in einem Fernsehspiel zu spielen oder einen Fernsehbericht zu geben, wer die Dekorationen anstreicht oder den Fußboden aufwischt, jeder hat das Recht auf entsprechenden Lohn.

Es soll auch gar nicht die Rede von der sehr verbreiteten Vorstellung sein, daß bestimmte Leistungen eine weit über das Normale hinausgehende Honorierung rechtfertigen, sobald sie für das Fernsehen erbracht werden.

Es soll hier vielmehr die Tatsache zur Debatte stehen, daß es weithin als selbstverständlich angesehen wird, daß jemandem, der irgendeine Leistung gegen eine entsprechende Bezahlung vollbringt, sofort ein zusätzliches Honorar zusteht (das womöglich ein Vielfaches der ursprünglichen Einnahmen ausmachen soll), wenn eben diese Leistung im Fernsehen übertragen wird.

Zwei Aspekte erscheinen hier von Bedeutung.

~E s gibt heute Formen der Massenpublikation, die ausschließ--J lieh auf kommerzieller Basis arbeiten. Wenn etwa eine Schallplattenfirma ein von dem Sänger XY gesungenes Lied auf einer Platte herausbringt, dann verdient sie durch den Verkauf dieser Platte, je nach der Nachfrage, die nach diesem Lied oder nach diesem Sänger besteht, eine mehr oder minder große Stange Geld. Da erscheint es nun gerechtfertigt, daß der Herr XY, der ja schließlich das Seine zu diesem Verdienst der Firma beigetragen hat, über den Betrag hinaus, der als Äquivalent für das Singen des Liedes anzusehen ist, noch einen entsprechenden Anteil an dem erzielten (oder zu erwartenden) Gewinn erhält.

Diese Form des Geldverdienens wird nun offenbar ganz einfach auch auf das Fernsehen übertragen. Und niemand denkt daran (oder will auch gar nicht daran denken), daß ja das Fernsehen durch die Verbreitung — sagen wir, des von Herrn XY gesungenen Liedes — keine zusätzlichen Einnahmen erzielt; ganz zu schweigen davon, daß ihm durch die Übertragung nur zusätzliche Kosten erwachsen! Ob der singende Herr XY auf dem Bildschirm zu sehen ist oder nicht, kein Teilnehmer zahlt deswegen einen Schilling mehr oder weniger Fernsehgebühr. Das Argument der finanziellen Beteiligung an einem durch die Leistung des Herrn XY erzielten Gewinn fällt also vollkommen weg.

Nun zeigt sich aber auf der anderen Seite, daß der Herr XY — um bei ihm zu bleiben — durch seine Sendung in einem Ausmaße bekannt wird, wie er es auf eine andere Weise kaum jemals werden könnte. Das Fernsehen macht also dadurch, daß es seinen Gesangsvortrag in sein Programm aufgenommen hat, für ihn noch Reklame, und nicht wenig dazu. Und selbst Herr XY findet es — außer im Falle Fernsehen — ganz selbstverständlich, daß jemandem, der für ihn Reklame macht, e r etwas zu bezahlen hat.

Aber all diese recht simplen Überlegungen scheint noch niemand angestellt zu haben. Sonst wäre es doch nicht möglich, daß es zum Beispiel zu einem Vertrag zwischen Fernsehen und Bühnengewerkschaft kommen kann, in dem für die an Fernseh-überträgumgen beteiligten Künstler ein „Eurovisionszuschlag“ von 150 Prozent vorgesehen ist! Wo doch gerade die Eurovision ein Programmaustauschunternehmen ist: Jeder Fernsehsender, der ein Eurovisionsprogramm produziert, gibt dieses kostenlos an die anderen Eurovisionsländer ab. Die Eurovisionsüberrragung wirft keinen Gewinn ab; sie verursacht nur Kosten für das Fernsehen.

Wenn man bedenkt, daß für jene unglückliche „Rosenkavalier“-Aufzeichnung anläßlich der Eröffnung des Salzburger Festspielhauses für eine Sendungsdauer von vierzig Minuten der Gagenetat (nur für die mitwirkenden Künstler!) fast eine Million Schilling betrug, dann wird wohl deutlich, wie die Dinge liegen.

Diese Erscheinungen sind aber nicht auf den künstlerischen Bereich beschränkt. Auch der Sport zum Beispiel hat offenbar das Fernsehen als Melkkuh entdeckt. Gerade auf dem Gebiet des Fußballs fühlt sich das Fernsehen verpflichtet, den vielen Fußballanhängern unter seinen Zuschauern eine möglichst große Anzahl interessanter Spiele zu vermitteln. Dieser moralische

Druck, unter dem die .Verantwortlichen des Fernsehens stehen, wird nun dazu benützt, fast unbegrenzte finanzielle Ansprüche an das Fernsehen zu stellen.

Bei Sportveranstaltungen wird, ebenso wie bei Theaterübertragungen, immer wieder als Grund für die großen finanziellen Forderungen die Möglichkeit genannt, daß infolge der Übertragung der Besuch der betreffenden Veranstaltung geringer sein könnte als er es normalerweise wäre (was aber nicht hindert, daß diese Forderungen in unveränderter Höhe aufrecht bleiben, wenn die betreffende Veranstaltung trotz Fernsehübertragung ausverkauft ist). Nun, dieser Zusammenhang müßte erst einmal eindeutig statistisch belegt werden. Man kann dem außerdem entgegenhalten, daß gerade eine Fernsehübertragung dem Theater oder dem Sport Freunde gewinnt, die dann sicher auch Veranstaltungen direkt besuchen. Das allerdings läßt sich statistisch kaum nachweisen; womit dieser Gedanke als Argument dem erstgenannten unterlegen ist.

Immerhin erscheint es noch einigermaßen verständlich, wenn die Veranstalter ein solches durch die Fernsehübertragung möglicherweise verursachtes Risiko nicht allein tragen wollen. Wenig verständlich aber erscheint es, daß man darüber hinaus aus einer Institution auf leichteste Weise finanzielles Kapital zu schlagen versucht, die letztlich wie kein anderes der modernen Massenmedien dazu berufen ist, ein Kulturfaktor allerersten Ranges zu sein.

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