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Die Geburt Europas

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DIE GRIECHISCHEN KAISER. Von Frank Thieß. Paul-Zsolnay-Verlag, Hamburg-Wien. 928 Seiten. Preis 190 S

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DIE GRIECHISCHEN KAISER. Von Frank Thieß. Paul-Zsolnay-Verlag, Hamburg-Wien. 928 Seiten. Preis 190 S

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Wieder hat Frank Thieß über byzantinische Geschichte geschrieben; und wieder unter einem irreführenden Titel. Die griechischen Kaiser hat es bis 1453 gegeben; und die von Thieß diesmal beschriebenen Kaiser waren durchaus nicht alle griechisch. Der gegenwärtige Rezensent ist der letzte, der einen allzu nüchtern deutlichen Buchtitel verlangen würde: wir sind selbst schuldig, einen Buchtitel vorgezogen zu haben, welcher der Neugierde etwas übrig läßt; schön und gut also, aber der Titel sollte nicht etwas anderes melden, als was drinnen steht.

Was allerdings im Buch steht, ist hochinteressant. Es ist die Geschichte des Ostreiches vom Tode Justinians I. des Großen bis zur Thronbesteigung Leos III. Erzählt wird also das Ende der dardani- schen Dynastie, die Zeit der Herakliden und die Wirren bis zu der Thronbesteigung der „Isaurier“. Erzählt wird die Zeit der großen Perserkriege, der Siegeszug des Heraklius und die Kreuzerhebung zu Jerusalem; jene Kriegszüge, welche nachher als erster Kreuzzug gezählt wurden! In Runcimans Geschichte der Kreuzzüge lesen wir, wie die französische Kreuzzugschronik „Geschichte von Heraklius" heißt: denn mit ihm begann man die Reihe der kreuzfahrenden Helden! Erzählt wird aber auch der Expansionssturm des Islams unter den ersten Kalifen, der Verlust der ältesten christlichen Lande, die arabische Belagerung der Kaiserstadt und endlich das Ausholen der Romäer zum Gegenschlag.

Der Autor schreibt in dem lebhaften, farbensprühenden Stil, den wir an ihm kennen; das Lesen des Buches ist ein Genuß. Es ist also kein Werk, das nur für Fachleute bestimmt wäre; aber Quellen sind in solchem Ausmaß zitiert, daß auch der Historiker die Angaben des Autors nachprüfen kann. Hervorragend gelungen ist die Herausarbeitung der großen Einschnitte in der beschriebenen Zeit. Da ist erstens die Krise nach der Restaurationszeit des großen Justinian. Der Autor gehört zu denen, welche diesen Kaiser in Grund und Boden verdammen, eben weil er diese Restaurationspolitik mit ungeheurem Kraftaufwand gemacht hat; im Gegensatz zu ihm ist er unerschöpflich in sympathischen Zügen „de lau- dibus Justini Minoris“. — Nun beruhen ja die heutigen Anklagen gegen Justinian I. vor allem auf der Behauptung, er hätte wissen müssen, daß Italien nicht mehr zu halten war; mit dieser Methode, von einem Kaiser Prophetengabe zu erwarten, sind wir nicht einverstanden. — Doch wie dem auch sei: unser Autor schildert danach eindringlich die Krise,welche das Reich nach der Machtergreifung des „Proleten“ Phokas erschütterte. Mit epischer Begeisterung schildert er dann die Heldenkämpfe des Heraklius und die Zeiten seiner Nachkommen; und endlich die Krise, welche durch den Terror Justinians II. und seinen Fall über das Reich kam.

% Unser Autor schreibt insofern — wenn man will — nach sehr altertümlicher Art, als er kein Hehl aus seinen Sympathien und Antipathien macht: Lob und Tadel sind ganz deutlich beurteilt. Er hat seine Helden und seine Bösewichter. Justin II. der Jüngere, Heraklius, Konstantin IV. sind die Helden — die Sieger über Avaren, Perser und Araber. Phokas, Konstans II., Justinian II. sind die Schurken. Gegen diese Urteile wird man nicht viel einwenden können — bei der Verurteilung des Konstans waren nicht etwa Vorbehalte zu machen. Jedenfalls gewinnt das Buch durch dieses Verfahren noch an Interesse und übersichtlichem Verlauf.

Wichtige Ereignisse in dem Reich, welches damals die Kulturlandschaft der Christenheit war, sind also in spannender, faßlicher Weise beschrieben; insofern ist das Buch nicht nur zu loben, sondern man darf ihm auch Erfolg Vorhersagen. Die höchst nützlichen Karten werden den Erfolg fördern; weniger vielleicht die Illustrationen, die etwas zufällig zusammengekommen zu sein scheinen. In dieser kurzen Rezension können wir natürlich nicht auf Einzelheiten der Erzählung eingehen; zumal die Kriegsgeschichte würde zweifellos zu mancher Debatte Raum lassen.

Der Autor hat sich bemüht, die Wichtigkeit des armenischen Elements für das Ostreich gebührend klarzumachen. Leider ist ihm das Unglück zugestoßen, daß er nicht in einmaligem lapsus calami, sondern durchweg die armenische Landeskirche anstatt „gregorianisch“ als „nestorianisch“ bezeichnet; beiläufig als wenn einer vom „volksdemokratischen“ anstatt „volksparteilichen“ Kanzler Raab schreiben würde.

Gegenwärtiger Rezensent hat schon in der eigenen einschlägigen Arbeit darauf hingewiesen, daß Kaiser Mauricius ein Römer war was Thieß weiß, in dessen Reich noch teilweise lateinisch amtiert wurde; daß es daher widersinnig ist, ihn „Maurikios“ zu nennen. Ebensogut könnten wir von Kaiser Ferencz Jozef sprechen — der sich natürlich auch so unterschrieben hat. Doch weil die Byzantologen „Maurikios“ vorziehen, folgt auch unser Autor dieser Mode.

Wir wiederholen es: diesem Buch prophezeien wir zahlreiche Leser — und die witzigen Hinweise auf moderne Situationen werden seinem Erfolg ganz gewiß nicht schaden.

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