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Srbik contra Pekaf

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Es ist ein seltsames Zusammentreffen, daß zwei der bedeutendsten Historiker Mitteleuropas ihre Laufbahn als Wissenschaftler mit einer Untersuchung über die Walleinstein-Frage begannen und ebenfalls mit einem Werk über das gleiche Thema beendigten. Es sind dies der Prager Historiker Josef Pekaf und der Wiener Heinrich Ritter von Srbik. 1895 erschien in tschechischer Sprache das große Werk von Josef Pekaf „Die Geschichte der wallen-steinschen Verschwörung“, eine monumentale Untersuchung über das zweite Generalat des Fried-länders mit völlig neuen Ergebnissen. Mit Ausnahme der tschechischen Historiker und des Franzosen Ernest Denis (der tschechisch gelernt hatte) nahm die gesamte Gelehrtenwelt davon keine Kenntnis. Die Riesenarbeit des jungen Historikers schien umsonst. 1934, anläßlich der 300. Wiederkehr des Todes des Friedländers, gab Pekaf sein Werk über Wallenstein, erweitert und etwas umgearbeitet, neuerlich heraus. Allerdings wieder in tschechischer Sprache. 1937 endlich, einige Monate nach dem Tode des Prager Gelehrten, erschien es auch in deutscher Uebersetzung, die als eine dritte Auflage angesehen werden kann, da in sie auch die neuesten Erkenntnisse hineingearbeitet worden waren. Die deutsche Gelehrtenwelt konnte nicht mehr an diesem Werk vorbeigehen, insbesondere nicht der Wiener Historiker Ritter von Srbik.

1920 hatte dieser bedeutendste neuere Historiker Oesterreichs sein Werk „Wallensteins Ende“ herausgegeben. Auch er war notgedrungen, durch Nichtkenntnis der tschechischen Sprache, an dem Werk des Prager Gelehrten vorbeigegangen. Pekaf hatte, als er 1934 sein Werk neu herausgab, natürlich dieses Werk benützt. Er rühmte völlig unvoreingenommen dessen Verdienste, nicht ohne große Vorhalte machen zu können: daß dem Autor, wie allen deutschen Wallenstein-Forschern, nicht nur eine Unkenntnis der tschechischen Quellen zur Last gelegt werden müsse, sondern auch eine Unkenntnis der böhmischen Welt, aus der Wallenstein nicht weggedacht werden kann. Gewiß könne bei Wallenstein nicht jedes Rätsel gelöst werden, aber keinesfalls sei er ein nationaldeutscher Held, dessen höchstes Ziel es gewesen sei, dem Reich gegen den Willen des Kaisers den Frieden zu geben. Gegen diese Ansicht Pekaf' tritt Srbik in der Neuauflage seines Wallenstein-Buches besonders auf. Es ist ein posthumes Duell der beiden Gelehrten.

Dieses neue Wallenstein-Buch Srbiks („Wallensteins Ende. Ursachen, Verlauf und Folgen der Katastrophe.“ Otto-Müller-Verlag, Salzburg. 442 S. Preis 92 S) ist in vielem verschieden von der Erstauflage. Nicht nur im Umfang. Seit dem erstmaligen Erscheinen des Srbik-Buches war ein bisher unbekannter Bericht Piccolominis über die Egerer Exekution aufgefunden worden. Das „Chaos perduellionis“, eine Rechtfertigungsschrift für den kaiserlichen Hof, war durch Srbik auf Grund eines Indizienbeweises, der sehr scharfsinnig war, einem Jesuiten zugeschrieben worden. Der Historiker Bergl hatte durch einen glücklichen Fund nachweisen können, daß der Verfasser weder ein Jesuit noch ein Geistlicher gewesen war. Vor allem aber war das Pekaf-Buch 1937 in deutscher Sprache erschienen, mit wesentlich der deutschen Forschung bisher unbekannten Ergebnissen. Insbesondere hatte Pekar nachgewiesen, daß der große Gegenspieler Wallensteins im zweiten Generalat der sächsische Feldmarschall von Arnim gewesen war, der schließlich das Scheitern der verräterischen Pläne Wallensteins herbeiführte. Ferner war Pekaf der Nachweis gelungen, daß Wallenstein den Plänen der adeligen böhmischen Emigranten nicht ferne stand, ja daß dies vielleicht das einzige ideale Ziel inmitten lauter egoistischer Pläne gewesen sei.

Srbik gibt in seinem Buch unumwunden zu, daß Pekaf den deutschen Forschern gegenüber im Vorteil sei, da er nicht nur die deutschen, französischen, italienischen und schwedischen Quellen, sondern vor allem auch die tschechischen benutzen konnte. Srbik anerkennt auch, daß Pekaf, dessen Werk er „monumental, scharfsinnig, plastisch, dramatisch, hervorragend“ nennt, der Nachweis der Tätigkeit Arnims gelungen sei, wie auch die Verbundenheit Wallensteins mit den Exulanten. Was er aber Pekaf entschieden abstreitet, ist das egoistische Motiv des Verrates Wallensteins. „Beherrschend“ — das ist der Tenor des Srbik-Buches —■ „stand über allem die Friedensidee“ (S. 50). „Die Tragik liegt darin, daß Wallenstein immer klarer wurde, sein Friedensplan sei mit Zustimmung des Kaisers nicht zu erreichen, sondern nur durch Rebellion und Verrat“ (S. 49). „An Stelle des Kaisers trat im Plane des Friedländers das Reich“ (S. 42). „War es nicht eine sittliche Tat, mehr denn je auf einen ehrenvollen Frieden hinzuwirken?“ (S. 82). Pekaf habe dies nicht erkannt. „Zu diesem Ziel führt Pekaf seine innere Fremdheit gegenüber den geschichtlichen deutschen Reichsgedanken“ (S. 3).

Welcher von beiden Forschern ist nun der Sieger in diesem Duell? Srbik, der in Wallenstein den nationaldeutschen Helden sieht, der Pekar vorwirft, er habe „gegenüber diesem psychologischen Rätsel versagt“ (S. 35), oder Pekar, der in Wallenstein den großen Kondottiere sieht, eine dämonische slawische Figur, von maßlosem Ehrgeiz, Macht-und Besitzgier getrieben und von dem einzigen Wunsch beseelt, sich am Kaiser zu rächen? Für welches Ziel ihm jedes Mittel recht ist?

Man wird Wallenstein leichter begreifen, wenn man ihn als das nimmt, was er war: als einen Tschechen und ein Mitglied des böhmischen Herrenstandes. Wallenstein ist ein typischer Vertreter seines Volkes. Irgendwie wird er immer undurchdringlich und unerforschlich bleiben, wie alle slawischen Menschen. Dann besitzt er die geradezu geniale Virtuosität des Sabotierenkönnens aller Tschechen: als z. B. im Frühjahr 1632 die Franzosen Bayern zu erobern beginnen und der Kurfürst dringendst um Hilfe ruft, verspricht Wallenstein, ihn bis zum letzten Blutstropfen zu verteidigen. Aber er schickt statt der versprochenen Truppen nicht einmal ein Zehntel, dann schickt er endlich mehr, aber es befinden sich bei der Truppe keine höheren Offiziere, schließlich setzt er sich mit der ganzen Armee in Marsch, aber so langsam, daß inzwischen der Feind ganz Bayern erobern kann. Gegen Ende 1633 wiederholt er dieses „Spiel“ noch einmal, mit dem gleichen Erfolg. Oder er läßt sich vom Kaiser ausdrücklich die Erlaubnis erteilen, mit den Dänen zu unterhandeln, um sie auf die kaiserliche Seite zu ziehen, und benützt diese Erlaubnis, um sie auf die antikaiserliche Seite zu bringen. Das ganze Jahr 1633 macht er, trotzdem er eine Riesenarmee hat, nichts. Als der Hof deshalb unruhig wird, greift er nicht die Hauptmacht des Gegners an, sondern ein ganz kleines Korps, und kann mit diesem Sieg den Hof beruhigen. Echt slawisch ist sein maßloser Zorn und seine erschauende Dämonie. Echt tschechisch die seltsame Verbundenheit mit seinem Volk: wie schon erwähnt, ist unter den rein egoistischen Motiven seines Handelns das Hinneigen zu den Plänen der böhmischen Emigration vielleicht der einzige ideale Zug. Als er 1632 das Meißner Land verwüstet, befiehlt er seinem General Gallas ausdrücklich, den böhmischen Exulanten, die er doch als kaiserlicher General als Feinde betrachten müßte, nichts zu tun. Und 1633 nimmt er sogar Exulanten in seine Herzogtümer Sagan und Glogau auf. Echt tschechisch ist seine Lethargie, sein seelisches Zerbrochensein, das ihn lähmt, den letzten, entscheidenden Schritt zu tun, die Sterne, die er zum Greifen nahe hat, zu erlangen, so daß ihm alle Chancen immer wieder entgleiten.

Wallenstein war aber auch Mitglied des böhmischen Herrenstandes. Einer Schicht also, die um 1600 eine Kaste darstellte, die von maßlosem Ehrgeiz und einem dämonischen Machtrausch besessen war. Die Entlassung im Jahre 1630 mußte für ein Mitglied dieser Kaste eine tödliche Beleidigung darstellen. Und tatsächlich sprach Wallenstein oft von dem „Regensburger Affront“ und wie „der Kaiser und sein ganzes Haus es schmerzlich empfinden würden, einen Kavalier affrondieret zu haben“. Er wolle, so sagte er, den „Kaiser und den König von Spanien von Grund auf verderben.“ Die Habsburger sollten aus Mitteleuropa ganz verschwinden und nur noch in Spanien regieren. Höchstens sollten Tirol und die Vorlande dem Kaisertum verbleiben. Böhmen sollte wieder ein Wahlkönigreich werden und im Reich die Zustände vor 1618 wiederhergestellt werden. Zur Erreichung dieses Zieles war Wallenstein jedes Mittel recht, das Verhandeln mit den Feinden des Kaisers ebenso wie das Vorschieben der deutschen Friedensidee.

Srbik hält trotz aller Argumente und Beweise Pekaf' an seiner Idee fest: Wallenstein habe nur Verrat aus höheren Motiven verübt. Welcher von beiden Forschern hat nun recht in diesem Duell?

Der Leser beider Bücher wird sich wohl der Seite Pekaf' zuneigen müssen. Nicht nur, weil Pekaf Wallenstein aus seinem böhmischen Ursprung erklären kann, sondern weil noch zwei andere Argumente für seine Thesen sprechen: daß erstens der Kaiser selbst nicht einem „mittelmäßigen“ Frieden abgeneigt war, Wallenstein also nicht einen eigenen Friedensplan haben mußte. Und daß zweitens das Verschwinden des Hauses Habsburg aus Mitteleuropa Deutschland nicht den Frieden, sondern nur das endgültige Chaos gebracht hätte. Deutschland wäre ohne starke Hausmacht eines Geschlechtes verloren gewesen. Und nach der Vernichtung der Habsburger (und der Wittelsbacher, die Wallenstein ja auch vertreiben wollte) hätte es kein Geschlecht mehr gegeben, das genug stark gewesen wäre, mit eigenen Mitteln Deutschland zu verteidigen. Man denke nur an die Türkenkriege, die zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges wieder aufflammten. Wie hätte sich Deutschland ohne habsburgische Truppen geschützt? Die Pläne Wallensteins wären tödlich nicht nur für die Habsburger, sondern auch für Deutschland gewesen.

Eirie ungeschriebene Regel aller Geschichtsforschung sagt, daß man ohne Kenntnis der Sprache eines Landes nicht völlig in die Vergangenheit dieses Landes eindringen könne. Nur bezüglich der böhmischen Geschichte wurde dieses Gesetz sehr oft außer acht gelassen, hervorgerufen durch den zweisprachigen Charakter dieses Landes. Vielfach glauben deutsche Forscher, mit den deutschen Quellen und der deutschen Literatur allein auskommen zu können. Wie gefährlich aber die Verletzung dieses Gesetzes ist, zeigen gerade die deutschen Forschungen über Wallenstein einschließlich Srbiks, die deshalb immer ein Torso bleiben müssen. Einschließlich des Srbik-Buches, von dem Pekaf ausdrücklich sagt, daß es die letzte bedeutende deutsche Arbeit über das Walleinsteinproblem sei, die viel Neues und Wertvolles gebracht hat. DDr. Willy Lorenz

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