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Vom Vormrz zum November

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THE FALL OF THE IIOl'SE OF HABSBURG. Von Edward Crankshaw. Lonemans, London, 1083. 460 Seiten, mit Bildtafeln.

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THE FALL OF THE IIOl'SE OF HABSBURG. Von Edward Crankshaw. Lonemans, London, 1083. 460 Seiten, mit Bildtafeln.

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Diesmal haben wir ein Werk zu besprechen, das bei dem österreichischen Leserpublikum schon beliebt ist. Diese Beliebtheit ist verständlich: gehört doch Crankshaws Erzählung vom Fall des Hauses Habsburg zu jenen Arbeiten, welche die habs-burgfeindliche — seit 1918 in manchen Ländern offizielle — Version zurechtsetzen sollen. Nun haben es ja die seit 1938 im Donauraum herrschenden Gewalthaber den Verteidigern der Habsburger leicht gemacht: Es gibt kaum ein Regime, mit dem verglichen die Monarchie der Habsburger nicht im paradiesischen Licht des freiheitlichen Rechtsstaates erglänzt. (Österreich ist gottlob frei... aber ein k. u. k. Minister hätte über die k. u. k. obersten Richter nicht in jenem Tonfall geredet, welcher — nun eben.) Daher manche Apologeten deg Guten zuviel getan, und das Kaiserreich mancher Altwiener und Soldatenromane heißt nicht Österreich-Ungarn, sondern Schlaraffenland. Da ist es wiederum den nationalen und sozialen Gegnern der Monarchie leicht gemacht, Kritik zu üben. In diesen Fehler verfällt Crankshaw keinesfalls; er will mit Verständnis schreiben, bewahrt sich aber so viel Distanz zum Thema, daß seine Arbeit durchaus eine kritische bleibt.

Es findet sich freilich, daß die Distanz allzu groß ist: Der Leser sieht immer wieder, daß hier ein Ausländer schreibt. Freilich, wenn der Autor auf S. 152 über die Kavallerieuniformen, auf S. 329 über die Abstammung Aehrenthals, auf S. 358 über die politische Affiliation von Ottokar Czernin irreführende Angaben macht usw., sind das Details, die nur den „gelernten“ Österreicher stören. Doch auch in allgemeinen Angaben vergreift sich Crankshaw zuweilen. Wenn er auf S. 34 die ungarischen und böhmischen Staatsrechtsansprüche als willkürliche, unsolide Altertums-krämereien abtut und dies mit der erstaunlichen Behauptung begründet, „Mittel- und Osteuropa waren jahrhundertelang völlig im Fluß“, dann muß man daran erinnern, daß die Grenzen Böhmens und Mährens vielmehr seit Jahrhunderten fast völlig stabil, die Grenzen Ungarns aber nur durch die Türkenkriege verschoben waren; daß ferner die Rechtspersönlichkeiten der Kronen von Ungarn und Böhmen legal — in den damals gedruckten Gesetzessammlungen — bis 1848 anerkannt waren. Es wären auch ein paar Worte zu Crankshaws Schilderung der kaiserlichen Einstellung zu sagen, welche auf S. 253 — kurz vor dem meisterlichen Absatz über Schäffle — steht. „Franz Joseph fühlte nicht deutsch; er war supranational; er war habsburgisch.“ Gewiß war der Kaiser nicht deutschnational; gewiß konnte er gegen die Deutschnationalen handeln — so, als er höchstpersönlich den Tschechen zu einer Universität verhalf. Aber einen Deutschen nannte er sieh ausdrücklich: er war lange vor 1866 aufgewachsen...

Doch im Ganzen ist das Bild, welches der Autor vom alten Kaiser und Kaiserin Elisabeth gibt, ein höchst lehrreiches welches zumal der ausländische, westliche Leser mit größtem Nutzen lesen mag. Um so bedauerlicher ist es, daß der Person des letzten regierenden Kaisers fast gar keine Aufmerksamkeit gewidmet wird; und was über ihn gesagt wird, ist falsch. Es wird „seine förmliche Abdankung (von was?)“ erwähnt — als wüßte man nicht ganz genau, daß Kaiser Karl auf die Ausübung der Herrscherrechte in Österreich, nicht aber auf die kaiserliche und noch viel weniger auf die ungarische Krone verzichtet hat. Die Angabe, er sei „nach einigen absurden Abenteuern“ auf Madeira gestorben, zitieren wir mit „no comment“; zum Ausgleich verweisen wir auf die eindringlichen Sätze auf S. 417, welche den Kämpfern der Südfront gerecht werden. Auch ihnen geschieht freilich gleich darauf, S. 419, Unrecht durch die Behauptung, daß sie „am Ende einfach auf und davon gingen“; sie sind bekanntlich dageblieben, bis die italienische Interpretation der Waffenstillstandsbedingungen sie in Kriegsgefangenschaft brachte. Und so kann der österreichische und austrophile Leser das Buch nicht mit reiner Befriedigung aus der Hand legen.

Ärgerlich — im westlichen Schrifttum leider heute üblich — ist die im Wesen unchristliche Sitte, christliche Taufnamen unübersetzt zu lassen — auch bei Persönlichkeiten, die selbst ihren Namen jeweils zu übersetzen pflegten. Doch wenn all das gesagt ist, muß man dem Autor Dank wissen; einem weiten Leserkreis hat er zu einem sehr viel besseren Verständnis der Regenten, der Völker und der Geschehnisse in Mitteleuropa verholfen. Daß das Werk mit gründlichen Belegen versehen, reich und passend illustriert ist, versteht sich bei einer so wertvollen Arbeit von selbst.

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