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Wechselspiel der Kulturen

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ISLAM UND,.ABENDLAND. Eine Vprtragsfolgc. Herausgegeben von Mukimmad Asad uiSj Hans Z fein den. 12 Bilder Tind eine K.irfe -WinWVetllfTSten. 238 Seiten. 'Preis 11.80 DM.

Warum sind zwei Religionen und zwei Kulturen, die sich so ähnlich sind wie der Islam und das christliche Abendland und die so nah beieinander sich jahrhundertelang parallel zueinander entwickelt haben, sich fremd geblieben? Um diese Frage zu klären, haben einige Professoren — Orientalisten, Historiker und Religionskundige — gemeinsam eine Vortragsfolge in Radio Bern in die Wege geleitet, die jetzt in Buchform vorliegt

Die Gemeinsamkeiten beider Religionen sind groß. Als im 7. Jahrhundert in Arabien Mohammed zu verkünden begann, so -schah dies in einer Zeit, da das Christe.ijum zwar über Mesopotamien, Syrien, Palästina, Ägypten, Nubien, Abes-sinnien verbreitet war und auch weit in das Innere Arabiens eindrang, aber es war auch die Zeit der ersten großen inneren Zersplitterung der Christengemeinde. Es war dies die Auseinandersetzung, ob man Christus nur als Menschen, als Propheten verehren sollte, oder als Gottes Sohn, der auch Gott selbst ist. So ist es verständlich, wenn wir im Koran, dem heiligen Buch der Moslems, starke Anklänge an das Alte und Neue Testament finden; es ist aber ebenso verständlich, daß Mohammed, der dem absoluten Monotheismus huldigte, in jener Streiterei und in der Verehrung Marias ein erneutes Zurücksinken in einen Vielgötterglauben sehen mußte. Viele der Eigenheiten des Islams sind auf dieses — in unserem heutigen Sinne — Mißverstehen der Dreieinigkeit zurückzuführen.

Es ist bezeichnend, daß in den Jahren, da das kirchliche Dogma zurücktritt, es zur Entfaltung der Wissenschaften und Kultur kommt. Im 9. Jahrhundert begann die Blütezeit des Islam. Sein Einflußgebiet reichte von Spanien bis Indien, von Südostafrika bis Südeuropa. Bagdad war mit zwei Millionen Einwohnern in jenen Jahrhunderten der Angelpunkt der Welt. Hier trafen einander die Kaufleute aller Länder. Hier stapelten sich die Bücher aller Wissenschaftler aus allen Forschungszweigen. Ein ähnliches Zentrum war Toledo in Spanien. Als 1085 Toledo von den Spaniern zurückerobert wurde, war es dem weisen Erzbischof Raymund zu verdanken, daß die wertvolle Bibliothek nicht ein Opfer der Flammen wurde. Toledo wurde so ein Zentrum der Wissenschaft. Generationen von christlichen Theologen, Philosophen und Wissenschaftlern haben sich dort die Forschungen der Moslems zunutze kommen lassen. Das Abendland wäre undenkbar ohne Toledo. In Toledo lernten Thomas von Aquin, Duns Scotus und Wilhelm von Occam die arabischen Kommentare zu Aristoteles kennen. Michel Scot, Daniel Morley, Leonard von Pisa wurden mit den verschiedensten Wissenschaften vertraut, die vorher in Europa nicht existierten. Roger Bacon, einer der bedeutendsten Anreger der europäischen Wissenschaft, las hier Abhandlungen über „Optik“, über Geologie und Mathematik. Die Einflüsse auf die Mathematik, Algebra, Astronomie und vor allem die Medizin sind hinlänglich bekannt. Weitere Reichtümer an ethnologischen, zoologischen und botanischen Werken sind bis heute noch nicht gänzlich ausgeschöpft.

Während sich in Europa langsam die Wissenschaften von den kirchlichen Einsprüchen befreiten, um sich zur heutigen abendländischen Kultur durchzuringen, verfiel der Islam in eine religiöse Orthodoxie, und seine kulturelle Bedeutung versiegte. Heute stellt sich an die islamischen Staaten die Forderung, von ihren europäischen Nachbarn zu lernen, wie diess einmal in Toledo lernten.

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