In einer Kultur des PESSIMISTEN

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Gott ist in der Krise, und das schon länger. Um 1840 diagnostizierte Ludwig Feuerbach Gott als "das Wesen des Menschen bloß ins Unendliche projiziert"; wenige Jahre später nannte Marx die Religion das Opium des Volkes, Nietzsches "toller Mensch" verkündete 1891 den Tod Gottes -"wir sind seine Mörder", schreit dertolle Mensch und stimmt in den Kirchen das Requiem aeternam deo an. Sigmund Freud sah Gott als idealisierte Vaterfigur, Ernst Haeckel meinte, Gott sei ein gasförmiges Wirbeltier, usw ... Die Liste ließe sich mühelos verlängern und ergänzen zum Beispiel durch Philosophen wie Heidegger, der die Seinsvergessenheit des Redens über Gott kritisierte; aber auch durch Theologen wie Karl Rahner oder Eugen Biser und ihrer Kritik an den alten Gottesbildern und ihren neuen Entwürfen.

Man könnte aber auch den anglikanischen Theologen und Priester Don Cupitt nennen, dessen Buch "After God"(1997, deutsch als "Die Zukunft der Religion" 2001 erschienen) den bemerkenswerten Versuch einer De-Naturalisierung des Christentums darstellt. Denn, so Cupitt, Gott ist nicht real in jenem Sinn, in dem ein Auto oder ein Haus oder ein Baum real sind. Nietzsches "toller Mensch" hätte in diesen Überlegungen vielleicht den Gott wiedergefunden, den er am Marktplatz und in den Kirchen vergeblich suchte.

Von der Sterblichkeit der Unsterblichen

Und nun publiziert Peter Sloterdijk ein Buch "Nach Gott", das mit einem Text zur Sterblichkeit der Unsterblichen, zur "Götterdämmerung" beginnt, mit anderen Worten das Ende der Gottesfigur deklariert - eine weder neue noch überraschende These. Als alteuropäischer Bildungsbürger - dies zu sein beansprucht Sloterdijk für sich - kennt er die relevanten Gottesbilder, an denen er sich abarbeiten möchte. Demnach ist Gott ein alter Mann mit langem wehenden Gewand und mächtigem Bart. So ist es festgeschrieben in der Meme des europäischen Gedächtnisses spätestens seit Michelangelos grandioser Sixtinischer Kapelle. Danach findet sich dieses Bild viele Male variiert wieder, zuletzt prägend in den Bibelillustrationen des Julius Schnorr von Carolsfeld von 1860, die wiederum die Vorlage bildeten für Religionsbücher und Katechismen bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil. Schnorr von Carolsfeld gehörte zur Malerschule der Nazarener, einer Gruppe von Malern, die von der deutschen Romantik inspiriert wurden. Im historisierenden Rückgriff aufs Mittelalter wollten sie die christliche Bildwelt wieder beleben, ein Unternehmen, das sich am Ende als Produktion von Schablonen für die Serienproduktion von Bildern erwies, die bald als blutleer und kitschig empfunden wurden.

Sloterdijk spricht von "Gott", wenn er sich gegen Gottesbilder wendet und ortet mit kulturkritischem Pathos und einem ziemlichen Aufwand das Ende philosophischer Rhetorik. Da mag er recht haben. Denn in der Zwischenzeit haben Theologinnen und Theologen neue, befreiende und lebendige Gottesbilder entworfen, die jene, die sie entdecken, beleben. Doch dies entgeht Sloterdijk, vermutlich weil sein Interesse und seine Faszination dem "immer rascheren Abfließen von Menschenreflexion in Maschinenreflexion" gilt, also der zunehmenden Dominanz künstlicher Intelligenz. Der Mensch, so die These Sloterdijks schon seit längerem, muss durch kybernetische und andere Maschinen ergänzt und verbessert werden.

Das Interesse am kybernetischen Menschen

Er teilt die Begeisterung für dieses Projekt mit einer ganzen Reihe anderer Größen. Da ist etwa Ken Wilber, der Protagonist des Integralen Zeitalters, auf dessen Homepage eine durch eine Flugmaschine ergänzte Frau - wohl das technoide Korrelat eines Engels - ein Symbol integraler Ganzheit in Händen hält. Das Interesse am kybernetischen Menschen teilt der Philosoph aber auch mit Industriekonglomeraten wie Siemens oder auch dem Pentagon, die seit längerem forschen, wie elektronische Bestandteile in den lebendigen menschlichen Organismus eingebaut werden können -nicht aus medizinischem Humanismus, sondern zur Effizienzsteigerung im eigenen Konzerninteresse. In einem kleinen Beitrag über die Geschichte der "Menschenverbesserung" führt er als erstes Beispiel dafür Jesus Christus an. Als wahrer Mensch und wahrer Gott scheint er Sloterdijk ein Prototyp und Paradigma kommender Anstrengungen zur Verbesserung, zu der er auch die Eugenik zählt. Sloterdijks Menschenverbesserung zielt auf die Heranzucht einer neuen Elite. Diese Menschenverbesserung ist ein Projekt, das sich weder an Menschenrechten orientiert, noch -auch christlich gesprochen -den Menschen als Ebenbild Gottes sieht. Wie man bei dem Renaissance-Denker Pico della Mirandola lesen kann, den Sloterdijk zitiert, liegt es deswegen in der Verantwortung des Menschen, sich selbst zu entwerfen. Nur scheinen für Sloterdijk Maschinen gottgleich zu sein, und er schreibt: "Wollte Gott, nach christlicher Grundlehre, Mensch werden, dürfte jemand sich wundern, dass der Mensch, seiner noblen Herkunft von einem Macher gewiss, zweite Maschine werden will?"

Inzwischen weiß allerdings jeder angehende Theologe, der seine ersten Exegese-Seminare absolviert hat, dass Gott kein "Macher" ist. Gerade die historisch-kritische Exegese hat der Suche nach neuen Bildern enorme Kraft verliehen. Diese neuen Gottesbilder orientieren sich am Auszug aus Ägypten als einer Metapher für den Auszug aus Unrecht und Unterdrückung. Doch sind diese sehr oft nicht-europäischen Ursprungs, und für den Philosophen Sloterdijk ist nur Europa maßgebend. Die Ignoranz, mit der er den Rest der Welt behandelt, führt nicht nur zu falschen Einschätzungen, sondern unterstützt auch das Ressentiment. Doch selbst die eigene Tradition kennt Sloterdijk nicht so genau. "Mündigkeit" etwa kommt nicht, wie er meint, von "Mund" und der Fähigkeit zu reden, sondern von "munt","Schutz und Schirm gewähren".

Alle Aufsätze in dem Band sind Nachdrucke von bereits erschienen Artikeln oder Auszüge aus Büchern, mit Ausnahme des ersten Abschnitts über die "Götterdämmerung". Dass manche Texte deswegen mehr als 20 Jahre alt sind, macht sie nicht besser.

Die Ignoranz, mit der Peter Sloterdijk den Rest der Welt behandelt, führt nicht nur zu falschen Einschätzungen, sondern unterstützt auch das Ressentiment.

Apokalypse als Paradigma der Zeitkritik

Sloterdijks Tonart ist der Kulturpessimismus, und so ist es nicht überraschend, dass die Apokalypse von ihm immer wieder als Paradigma der Zeitkritik genützt wird. Auch hier ist Sloterdijk der Gegenwart hinten nach. Das apokalyptische Denken, das mit dem Ende der Welt plus folgendem Jüngstem Gericht Angst vor dem strafenden Gott verbreitete, ist ein historisches Projekt, das nur noch für fundamentalistische und militante religiöse Gruppierungen von Bedeutung ist.

Doch in der Bibel ist im Fokus der Apokalypse nicht der Untergang, sondern das Neue, das Unwahrscheinliche -Hoffnung ist das Charakteristikum der jüdisch-christlichen, auch islamischen Lebensperspektive. Umberto Eco konstatierte schon vor 20 Jahren, dass der apokalyptische Pessimismus und "der Gedanke an ein Ende der Zeiten heute typischer für die Welt der Nichtgläubigen als für die der Christen ist". Und er fragte Carlo Maria Martini, damals Kardinal von Mailand: "Gibt es einen Begriff von Hoffnung (und von unserer Verantwortung für das Morgen), der Gläubigen und Nichtgläubigen gemeinsam sein könnte? Wenn nicht, so könne man auch denken: Zum Teufel mit denen, die nach uns kommen." Martinis Antwort: Hoffnung liegt im Hier und Heute und ist in Transzendenz gegründet, auf Transzendenz bezogen. Doch was bedeutet Transzendenz? Wer, wie Sloterdijk Transzendenz als Gegenteil von Immanenz denkt, hat es schwer mit der Hoffnung. Denn die übersteigt das Vorstellbare.

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