Peter Henisch - © Foto: imago / Viennareport

Peter Henisch: „Nichts als Himmel“ - ein Porträt zum 80. Geburtstag

19451960198020002020

Der bekannte und vielfach ausgezeichnete österreichische Autor Peter Henisch feiert im August seinen 80. Geburtstag. Rechtzeitig zu diesem Anlass erscheint sein neuer Roman „Nichts als Himmel“. Ein Porträt.

19451960198020002020

Der bekannte und vielfach ausgezeichnete österreichische Autor Peter Henisch feiert im August seinen 80. Geburtstag. Rechtzeitig zu diesem Anlass erscheint sein neuer Roman „Nichts als Himmel“. Ein Porträt.

Werbung
Werbung
Werbung

„Ich schreibe in vielen Schichten wie ein mittelalterlicher Tafelmaler“, antwortet der österreichische Autor und Liedermacher Peter Henisch einmal auf die Frage nach seinem ästhetischen Programm. Von einem politischen Bewusstsein imprägniert ist die Literatur dieses großen Erzählers und Chronisten der Zweiten Republik jedoch allemal, von Anfang an und selbstverständlich auch heute noch, wie sein soeben erschienener neuer Roman „Nichts als Himmel“ beweist.

„Außersprachliche Wirklichkeit“ von gesellschaftlicher Relevanz und leichte Lesbarkeit trotz eines ungemeinen, auch sprachlichen Facettenreichtums liegen ihm für sein Schreiben besonders am Herzen. Diese Ansprüche zu verbinden, ist tatsächlich wahre Kunst.

Navigator Header

Liebe Leserin, lieber Leser,

diesen Text stellen wir Ihnen kostenlos zur Verfügung. Im FURCHE‐Navigator finden Sie tausende Artikel zu mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte. Neugierig? Am schnellsten kommen Sie hier zu Ihrem Abo – gratis oder gerne auch bezahlt.
Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger‐Fleckl (Chefredakteurin)

Liebe Leserin, lieber Leser,

diesen Text stellen wir Ihnen kostenlos zur Verfügung. Im FURCHE‐Navigator finden Sie tausende Artikel zu mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte. Neugierig? Am schnellsten kommen Sie hier zu Ihrem Abo – gratis oder gerne auch bezahlt.
Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger‐Fleckl (Chefredakteurin)

Als Vertreter der revolutionären 68er-Generation ist Henisch, der in diesen Tagen seinen 80. Geburtstag feiert, in eine Zeit des Aufbruchs und der gesellschaftspolitischen Neuorientierung hineingeboren. Diese Phase hat ihn fernab avantgardistischer Strömungen zu sozialkritischen Zeitdiagnosen inspiriert und sein politisches Interesse verstärkt.

Zum ersten Paukenschlag wird sein berühmt gewordener Roman „Die kleine Figur meines Vaters“. Damit hat er die Väterliteratur, nämlich die Vergangenheitsbewältigung der Kriegsgeneration, die Fragen der Söhne und das Brechen des Schweigens angestoßen. Obwohl sein Vater jüdischer Herkunft ist, kollaboriert er mit den Nazis, wird Parteimitglied und hält als Pressefotograf Kriegspropaganda fest.

Im Roman „Suchbild mit Katze“ reflektiert Henisch seine Kindheit zur Zeit der Besatzungsmächte und die einstige Funktion des Vaters erneut, indem er sich auf Spurensuche aus unterschiedlichen zeitlichen Blickwinkeln begibt und sie mit dem Öffnen zahlreicher „Fenster der Erinnerung“ verbindet. Die Verdrängung der Kriegsvergangenheit bleibt für ihn ein präsentes Thema.

Unwidersprochenes und Aspekte der Schuld werden 1988 auch zum Hauptmotiv seiner Prosa „Steins Paranoia“, die 2018 aufgrund der innenpolitischen Ereignisse in Österreich eine Fortsetzung im Roman „Siebeneinhalb Leben“ findet, quasi als beharrliches Anschreiben gegen das Vergessen und als Zeichen des Widerstands. Der Mut zum Widerspruch, ja die Courage, „gegen den Ungeist der Zeit zu arbeiten“, wozu er in seiner Feierrede anlässlich der Verleihung des Kunstpreises 2014 aufruft, ist seinem Schaffen geradezu inhärent.

Henisch ist auch eine wertvolle literarische Dokumentation der unmittelbaren Nachkriegszeit in Wien zu verdanken, weil er aufgrund seines Interesses für Zeitgeschichte, für sprachliche Varietäten und Milieustudien aus einem lebendigen Erinnerungsreservoir seiner Kindheit schöpfen kann. Diese Zeit bildet für ihn die „Basis der Erfahrungen“, „die Zeit, in der das Bewusstsein des Kindes aufwacht“, heißt es in einem seiner Texte. Besonders prägend sind damals die Spaziergänge mit seiner Großmutter durch das zerstörte Wien, die Fotos seines Vaters von den Schutthalden der Stadt, die dieser in Alltagsbildern festgehalten hat, oder die Erinnerung an das eigene Haus, das über Nacht aufgrund einer Bombendetonation plötzlich zu einem halben geworden ist.

Tief eingesenkt in sein Schaffen hat sich ein Crossover von Anspielungen aus Literatur, Kunst und Musik, womit sich der Kreis zur Vielschichtigkeit seiner Texte wieder schließt. Literarische Traditionen wirken in Form mannigfaltiger intertextueller Bezüge fort, etwa in Rückgriffen auf
E. T. A. Hoffmann, Nestroy oder Kafka. Oft hat er schon erwähnt, dass ihm seine Großmutter die erste literarische Bildung vermittelt hat. Ein besonders feinsinniges Spiel mit dieser Art von Querverbindungen treibt Henisch in seinem vor kurzem erschienenen „Jahrhundertroman“.

Wien und Toskana

Und Wien? Diese Stadt ist untrennbar mit seinen Werken verbunden, und zwar nicht nur als Schauplatz. Aufgrund seiner luziden Erinnerungen und genauen Beobachtungsgabe kann er eine Sicht quer durch die Zeiten mit oft erstaunlichen Blickachsen auf Gegenden und Bezirke bieten, auf brachliegende, verwunschene Orte an der Peripherie und überhaupt auf die Wiener Mentalität.

Und Wien? Diese Stadt ist untrennbar mit seinen Werken verbunden, und zwar nicht nur als Schauplatz.

Eine besondere Liebe verbindet Henisch aber auch mit der Toskana. Die Handlung seines jüngsten Romans spielt wie bereits „Mortimer & Miss Molly“ im fiktiven Dörfchen San Vito. An diesem Ort tauchen wieder Figuren aus früheren Romanen auf - als Klammer quer durch sein Werk, die Henisch laut einem Interview bewusst setzt: „Ich halte ja viele meiner Bücher prinzipiell für nicht abgeschlossen und arbeite gegebenenfalls auch daran weiter.“ Den Protagonisten Paul Spielmann, einen Musiker und aus dem Beruf ausgestiegenen Lehrer, kennt man bereits aus anderen Büchern wie etwa aus den Romanen „Eine sehr kleine Frau“ oder „Siebeneinhalb Leben“. Diese Figur, sagt er, habe es ihm als sein Alter Ego schon öfters erlaubt, aus einem gewissen Abstand heraus verschiedene Versionen durchzuspielen und mit Autofiktion zu verweben.

Das Liebespaar aus „Mortimer & Miss Molly“, Julia und Marco, bildet diesmal nur einen Bezugsrahmen. Die beiden sind Pauls Freunde. Trotz dessen Liebe zu Julia werden sie nie zu direkten Handlungsträgern, sondern stellen vielmehr eine Art Kommunikationsbrücke dar. Weil Paul angesichts der Pandemie und aus persönlichen Gründen eine Auszeit braucht, reist er nach San Vito und bezieht dort deren „toskanisches Refugium“. Der Blick von der Dachwohnung in den Himmel hoch über der „ziegelroten Dachlandschaft“, den Paul unentwegt in Fotos bannt, ist atemberaubend. Eine „Hügellandschaft – wie hingemalt in zartesten Farben. Schicht um Schicht.“ Henisch beschreibt das langsame Ankommen und die Konzentration auf die kleinen Dinge, auf Farben, Sinne und den Dialog mit den Tauben auf der Terrasse als nötigen Prozess für den Protagonisten, um Abstand gewinnen zu können. Rein äußerlich schlüpft er in Marcos Rolle, indem er draußen dessen Jacke trägt.

Was eigentlich ein unkomplizierter Aufenthalt werden hätte sollen, das wächst sich, während Paul ob des Müßiggangs beinahe die Zeit entgleist, zu einem abenteuerlichen, gewagten Unterfangen aus. Mit leichter Hand streut Henisch zunächst aktuelle gesellschaftspolitische Themen ein wie das langsame Erwachen des Lebens nach den Einengungen durch Corona, das Geschäfte­sterben im Ortskern oder den Ansturm der Touristenmassen, die von diesem kleinen Ort kaum bewältigt werden können. Kampfflugzeuge donnern mit ohrenbetäubendem Lärm über den Himmel und verpesten die Atmosphäre. „Wer den Frieden will, muss den Krieg vorbereiten – oder wie war das?“, wird hier sinngemäß Platon zitiert.

Der politische Umsturz in Afghanistan ist ebenso Thema wie die Abholzung des Regenwaldes oder rücksichtslose Bodenversiegelung mit unvollendeten Baustellen. Seinen kritischen Blick auf das Leben mit der Natur verbindet Henisch auch mit Historischem, mit Naziverbrechen und Zeitgeschichtlichem.

Zum inhaltlichen Kulminationspunkt wird allerdings die aktuelle Flüchtlingsproblematik, vor allem im Süden Italiens. Dabei gibt es Verweise auf Giorgia Meloni und Matteo Salvini als politische Akteure sowie auf die Verhaftung Domenico Lucanos, der eine „Stadt der Zukunft“ für Migranten errichten wollte und daran gescheitert ist. Menschliche Katastrophen, Schlepperwesen und unwürdige Lagerbedingungen – „I‘m coming from nowhere“ – gehören dort zum Alltag.

Und dann setzt Paul diesen irgendwie fast schon absurd anmutenden Solidaritätsakt, als plötzlich ein unbekannter junger Mann, der vielleicht sogar ein Gewaltverbrechen begangen hat, über die Terrasse in seine Wohnung eindringt und ihm eine Pistole vor die Nase hält. Das Bild vom Fresko mit der Madonna del Parto in der Küche – sie ist bereits für einen früheren Roman titelgebend – erhält hier Symbolfunktion. Das sommerliche Sich-Treiben-Lassen unterminiert Henisch gewandt mit den Nöten des Alltags, aber vor allem auch mit den großen Fragen der heutigen Zeit. Das Widerständige bleibt und nimmt hier fast anarchische Züge an.

Naturschilderungen

In all das eingebettet, finden sich elliptische Naturschilderungen, sei es beim Durchstreifen der Landschaft oder beim Betrachten des Himmels: „Und zwischen den Feldern der Weg. Die rötliche Erde. Und die glühenden Mohnblumen am Wegrand. Und der Ginster natürlich, der gelbflammende Ginster.“ Auch „Scherenschnitte“ am Horizont, Licht und Himmel mit Wolkenpanoramen werden im Sekundenstil wahrgenommen und in pralle, metaphorisch aufgeladene, konzentrierte Poesie gegossen: „Der Himmel ist hellblau, seidig, die Erde duftet frisch gewaschen.“ Oder: „Wolkentürme, Wolkengebirge … Jede Menge Luftschlösser, siehst du. Wolkenkuckucksheime … Diese Kondensstreifen wie Kometenschweife. Im Romantikerblau. Im Surrealistenblau.“

Schon viele Jahre durchmisst Peter Henisch als aufmerksamer und kluger Chronist seiner Zeit seine Stoffe mit gesellschaftspolitischem Gespür für die Anliegen und Erfordernisse der Gegenwart. Seine Werke sind aber auch – wie sein neuer, dicht gesponnener Roman „Nichts als Himmel – getragen vom grundsätzlichen Vertrauen in die Kraft der Menschlichkeit, voller kulturgeschichtlicher Anspielungen und immer wieder überzogen vom Firnis feiner Poesie.

Der Beitrag erschien in der Printausgabe unter dem Titel "Gegen den Ungeist der Zeit arbeiten".

Nichts als Himmel - © Residenz
© Residenz
Literatur

Nichts als Himmel

Roman von Peter Henisch
Residenz 2023
256 S., geb., € 26,–

Navigator Header

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?

Mit einem Digital-Abo sichern Sie sich den Zugriff auf mehr als 175.000 Artikel seit 1945 – und unterstützen gleichzeitig die FURCHE. Vielen Dank!

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?

Mit einem Digital-Abo sichern Sie sich den Zugriff auf mehr als 175.000 Artikel seit 1945 – und unterstützen gleichzeitig die FURCHE. Vielen Dank!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung