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Brecht — Propagandist seiner selbst

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SCHRIFTEN ZUM THEATER. 1 und 2. 1918—1933. Von Bertold Brecht. Redaktion Werner Hecht. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt am Main, 1963. 276 und 299 Seiten. Preis je 14.80 DM, kartoniert. — GEDICHTE UND LIEDER AUS STÜCKEN. Von Bertold Brecht. Edition Suhrkamp 9. 168 Selten. Preis 22.2D

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SCHRIFTEN ZUM THEATER. 1 und 2. 1918—1933. Von Bertold Brecht. Redaktion Werner Hecht. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt am Main, 1963. 276 und 299 Seiten. Preis je 14.80 DM, kartoniert. — GEDICHTE UND LIEDER AUS STÜCKEN. Von Bertold Brecht. Edition Suhrkamp 9. 168 Selten. Preis 22.2D

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Deutsche Dramatiker haben, im Gegensatz zu französischen oder angelsächsischen, selten Theorien entwickelt. Bertold Brecht hat mit Theorie nie gespart. Vielleicht liegt in den nie abreißenden Veröffentlichungen, mit denen er seit seinem siebzehnten Lebensjahr seine Umwelt auf sich und seine Art Theater zu sehen und zu produzieren aufmerksam machte, ein gut Teil seiner Popularität und möglicherweise auch seiner Überschätzung. Es wird niemand bestreiten wollen, daß auch andere Dramatiker unseres Jahrhunderts Neues schufen, nur forderten sie nicht permanent zur theoretischen Auseinandersetzung mit ihrem Werk heraus.

Auf sieben Bände innerhalb der Gesamtausgabe hat der Suhrkamp-Verlag Brechts „Schriften zum Theater“ (darunter fallen nicht die „Versuche“) anberaumt. Die beiden ersten mit Artikeln, Ausschnitten, Anmerkungen, Notizen und Notaten aus dem Zeitraum von 1918 bis 1933 liegen nun vor. Viel Material — es wird nie kontrollierbar sein — wurde, laut dem Betreuer der Ausgabe, Werner Hecht, nicht aufgenommen („frühe Fassungen von Artikeln, Bruchstücke, Skizzen, Beiträge über Probleme, die Brecht später in einer endgültigen Form behandelt hat“). In einer ganzen Anzahl von Fällen ist genaue Datierbar-keit nicht mehr möglich; Un voll -kommenheiten dieser ersten Ausgabe, die vor allem zur sachlichen Auseinandersetzung mit Brechts Theatertheorie und -praxis anregen will und soll, hofft die Redaktion später durch hilfreiche wissenschaftliche Forschungsarbeit ausgeglichen zu sehen. Da Brecht auch seine Theorien im Hinblick auf ihren „Gebrauchswert“ abgefaßt hat, sollen den siebenten Band ausführliche Register abschließen (was auch ohne Hinweis auf den „Gebrauchswert“ eine Selbstverständlichkeit sein müßte).

Band eins enthält die frühen Augsburger Theaterkritiken, Berliner Zeitungsaufsätze, Antworten auf Umfragen und Rundfunkgespräche, an denen sich der Propagandist seiner eigenen Werke, Brecht, stets eifrig beteiligt hat; Band zwei umfaßt Skizzen aus Notizbüchern, Anmerkungen zu den Stücken zwischen „Baal“ und „Die Mutter“, einiges „Über Film“, „Über Kritik“ und im Anhang Protokolle von nichtauthentischen Gesprächen.

Die qualitativ unterschiedlichen, gelegentlich widersprüchlichen

Äußerungen begleiten hier also den Weg des noch unreifen, provokanten, begeisterungsfähigen jugendlichen Anarchisten Brecht, dem der herkömmliche, rein ästhetisch ausgerichtete Theaterbetrieb begreiflicherweise nicht paßt, zum parteiorthodoxen, intellektuellen Edel-kommunisten, der in Karl Marx den „einzigen Zuschauer“ für seine Stücke erkannte („als ich ,Das Kapital' las, verstand ich meine Stücke“), für den sie — nach Meinung Brechts — „Anschauungsmaterial“ gewesen wären. Ab nun — etwa 1926 — wird der Schlagwortpräger des „epischen Theaters“ bewußt zum Verfechter des „dialektischen“, wird die Spannung zwischen dichterischem und politischem Engagement immer größer. Die zusammenhängende, komprimierte Lektüre der Schriften macht vor allem anderen offenbar, mit wie wenigen Leitsätzen Brecht arbeitete und wie sehr er die Breite seiner Wirkung der ständigen Wiederholung seiner akustischen und theoretischen „Spruchbandtechnik“ verdankt. Seine Hauptslogans: Theater hat mit einer geistigen Sache nichts zu tun (anderseits fordert er wieder „Literarisierung des Theaters“!), Kunst ist der einzige Spaß der Großstädte, Theater muß guter Sport sein, das ideale Theater ist scharf und naiv, das ideale Publikum das des Sport-palasts, Soziologie ist über das Drama zu stellen, die Gegenfrage muß lauten „Wem nützt es?“, der Kritiker hat nicht nach „gut oder schlecht“, sondern nach „richtig oder falsch“ zu fragen. Wie sehr sich diese Theorien von Kunstkriterien entfernen, muß nicht erst erläutert werden. Der vielleicht naivste Irrtum Brechts: Mit einem solcher Theater müsse sich „eine neue Wirkung ins Leben hinein“ ergeben Oder umgekehrt: „Für einen Mann der ein akutes Gallenleiden hat, isl ,Der Kaufmann von Venedig' nichl spannend genug.“

Praktisch angewendet, bedeutel das: demonstrativer, nicht kulinarischer Stil, Arbeit mit dem Paradox Spaß und Ernst sind keine Gegensätze, Vermischung der Stile nach Notwendigkeit, mehrfache Verfremdung, letztliches Immer-noch-Drü-berstehen, Einfachheit der szenischen und sprachlichen Darstellung.

Nimmt man sich dazu etwa die „Gedichte und Lieder aus Stücken“ vor, dann wird die ganze unselige Problematik Brechts, der so gerne der „Dichter für einfache Menschen“ gewesen wäre, augenfällig. Die angestrebte, in manchem erreichte, in vielem allzu gewollte Einfachheit der sprachlichen Darstellung entlarvt sich letztlich als Kunstgewerbe. Pseudovolkstüm-lichkeit entartet in Formalismus; aus diesem Grunde versagte der säkularisierte Massenprediger zuletzt auch vor den eigenen Parteigängern, deren Argwohn erwacht war. Seine „Vereinfachungen“ gingen zuletzt so weit, daß nur mehr die Intellektuellen Zugang zu ihnen fanden. Und ein Zweites beweist die Lektüre: Das politische Engagement Brechts hat — entgegen oft vorgebrachten Ansichten — sein schöpferisches nicht nur arg beeinträchtigt, sondern es hat es zerstört.

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