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Die zehnte Muse

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„Kunst oder Werbung im Plakat“ heißt die Fragestellung, die in jüngster Zeit vor einem illustren Fachauditorium im Rahmen eines breitkonzipierten Vortrags behandelt wurde, dessen Hauptthesen bereits durch die Presse gingen, dessen öffentliche Diskussion jedoch noch aussteht.

Es handelt sich hierbei um mehr als um einen Kompetenzstreit zwischen zwei scheinbar unversöhnlichen Parteien: hie Künstler, lue Werbefachleute, veranlaßt durch die (gleich der Schweiz und Deutschland) auch hierzulande periodisch vorgenommenen Plakatwertungen.

Nun bedarf die obige Fragestellung aber einer Modifizierung in erster Linie vom Gehaltlichen her, woraus sich zugleich eine Begründung, ja eine gesinnungsmäßige Berechtigung der bisher geübten Jurierungen bei Plakatwertungen ergäbe: da Kunst und Werbung evidenterweise grundverschiedenen Begriffskategorien angehören, können, ja dürfen sie nicht gegeneinander ausgespielt werden! Die Frage müßte vielmehr lauten, ob bei der Schaffung und sodann bei der Beurteilung von Plakaten künstlerischen Lösungen gegenüber solchen nach werbegesetzlichen Gesichtspunkten der Vorrang zu geben sei.

In dieser Formulierung bekennen wir uns entschieden und grundsätzlich für die künstlerische Lösung. Denn wir sehen keinen zwingenden Grund dafür, daß eine künstlerische Lösung werbungsgemäßen Forderungen zuwiderlaufen müßte.

Im Gegenteil: werbliche Absichten und Ziele können durch künstlerische Formgebung nur gewinnen, müssen aber keineswegs Einbußen erleiden. Der Standpunkt, Künstlern Mangel an Verständnis für Oekonomie zuzuschreiben (und „Oekonomie“ vertrete hier die Berücksichtigung und Einbeziehung sämtlicher von einem erfolgreichen Werbeplakat erwarteten Wirkungselemente), ist unhaltbar. Denn höchster Sinn für Oekonomie ist Voraussetzung für die Schaffung eines vollendeten Kunstwerkes, das nichts Ueber-flüssiges enthält und dem nichts fehlen darf. Aus Bequemlichkeitsgründen oder Momentanerfolgen zuliebe der Oberflächlichkeit weiter entgegenzukommen, bedeutete auch im werbewirtschaftlichen Sektor des öffentlichen Lebens unsere Zukunft nicht sichern, sondern die Kommenden vor unlösbare Probleme stellen. Wer also der weiter ansteigenden Verflachung nicht Gegenwehr bieten will, kann niemals Garant unseres Wirtschaftslebens sein. Gewiß ist es nicht leicht, eingebürgerte Mißbräuche der Vergangenheit in der Plakatwerbung durch derzeit forcierte Qualitätssteigerungen wettzumachen; doch zunehmendes Gefallen an diesen und durch sie Vertrauen für die Werbung schlechthin zu wecken, scheint uns eine ethische Aufgabe unserer Wirtschaft. Kein Wunder aber, wenn Werbung einem weitreichenden Odium deshalb verfallen ist, weil die Edelbegriffe ihrer Funktion verlorengegangen sind.

Einst wurden alle Anliegen des Brauchtums und jeder Bedarf des Alltags über den Weg der Kunst geleitet — von den ägyptischen Königsgräbern über die Madonnenbilder der Renaissance bis zum Bauernkasten des 18. Jahrhunderts. Alles, was im Leben „gebraucht“ wurde, war vom Schöpfungsgeist durchdrungen. Es enthielt das Geheimnis stärkster Tiefenwirkung. (Diesen Erscheinungen begegnen wir heute noch überall dort, wo echte Volkskunst lebendig ist.) Kein Handwerker konnte in die Zunft aufgenommen werden, wenn er fticht außer handwerklichem Können das Gefühl für edle Form hatte.

Ein großer Unternehmer der Gegenwart sagte einmal: „Amusisches Verhalten ist bei mir erster Entlassungsgrund.“ Dieser Mann hat die größte Lücke unseres heutigen Wirtschaftslebens erfaßt. Denn die Einsicht, daß Kunst die Erkenntnis des Wesentlichen innerhalb eines Schöpfungsbildes darstellt, ist dem heutigen Wirtschaftsleben meist schon abhanden gekommen. Als nämlich die Technik im 19. Jahrhundert ihren eigenwilligen Siegeszug begann, versuchte man, die Kunst aus ihrer Zentralstellung im menschlichen Leben zu verdrängen, sie etwa als eine Finesse extravaganter oder gutsituierter Leute hinzustellen. Man hatte vollkommen verlernt, daß Kunst und Leben eine Einheit sind, daß sie1 keinen Luxus, sondern eine Existenznotwendigkeit bedeutet, auf die selbst der einfachste Mensch ein Anrecht hat.

Zu allen Zeiten (und gerade in den künstlerisch fruchtbarsten!) weckte die Kunst das Mäzenatentum der Mächtigen, der Einflußreichen. Niemand anderer als die Wirtschaft ist aber heutzutage infolge ihres dominierenden Einflusses zu solchem Mäz e-natentum aufgerufen, müßte sich berufen fühlen, den Mangel an Tiefenwirkung gerade in ihren Bereichen zu erkennen. Ein abschreckendes Verhalten: Wer heute nach Florenz reist — und es sind jährlich Tausende, die von den alten künstlerischen Leistungen dieser Stadt angezogen werden, durch die also die dortige Wirtschaft heute noch einen wesentlichen Auftrieb erfährt! —, erlebt unweigerlich einen Schock, wenn um 17 Uhr die sogenannten Werbeautos ausgelassen werden, die sich in ihrem Spektakel gegenseitig zu übertreffen suchen. Ein wahrhaft negatives Werbemittel, das die Fremden fast veranlassen könnte, die Stadt fluchtartig zu verlassen!

Das Plakat gehört zum öffentlichen Leben, die Plakatwand zu unserem Stadtbild. Noch steht e s in der erhobenen Streitfrage jedem frei, seinen Namen nach oben oder nach unten herzugeben. Es kommt nur darauf

an, ob er dabei am Kulturleben mitwirken will und auf wessen Kritik er Wert legt. Man kann auch mit Plakatwänden das Kulturbild einer Stadt günstig beeinflussen oder es verderben helfen. — Praktische Beispiele von mutigen Unternehmern und Künstlern gibt es wohl, nur sind ihrer zu wenig, um das Gesamtbild zu retten. Unser Kulturamt hat die Aufgabe, für den kulturellen Ruf unserer Stadt, unseres musischen Landes zu sorgen; wer kann es ihm verübeln, wenn es sich pflichtgemäß bei einschlägigen Wertungen dem Standpunkt „Kunst auch im Plakat“ gegenüber aufgeschlossen zeigte? Jedes Qualitütsstreben hat einen allgemeinen pädagogischen Wert; die Weckung des Sinnes für das Bessere kann aber für die Wirtschaft selbst nur von Vorteil sein.

Die Kunst mit Kulturgroschen, Stipendien oder Almosen retten zu wollen, ist ein Versuch mit kurzlebigen Mitteln. Kunst gehört mitten ins Leben! Geben wir dieäfcm unentbehrlichen Kulturfaktor gerade über den Weg der Wirtschaft Gelegenheit, alles, was uns umgibt und was wir brauchen, zu veredeln und unser Leben dadurch — im besten Sinne — schöner zu gestalten!

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